Worte sind Waffen, sagt Frank Brettschneider, denn sie wecken beim Zuhören Assoziationen, setzen Vorurteile in Bewegung und erzeugen ihr eigenes Echo. Der Kommunikationswissenschaftler erklärt, wie Sprache wirkt und warum Politikern oft niemand mehr zuhört.
Herr Brettschneider, wie beurteilen Sie als Kommunikationswissenschaftler das jüngste Berliner Theater mit Seehofer, Merkel und Dobrindt? Steckte dahinter eine Kommunikationsstrategie der CSU?
Das Verhalten der CSU-Führung ist ein Musterbeispiel für Symbolpolitik. Da wurde kommunikativ aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Die drei bis fünf Grenzübertritte zwischen Österreich und Bayern, um die es vordergründig geht, stehen in keinem angemessenen Verhältnis zu den Diskussionen, die das Thema ausgelöst hat. Um das Thema geht es auch gar nicht. Sondern der CSU-Führung ging es darum, im Vorfeld der Landtagswahl in Bayern Härte bei einem Law-and-Order-Thema zu demonstrieren. Dahinter dürfte schon eine Kommunikationsstrategie stehen. Aber die falsche.
Hauptsache, man wird wahrgenommen. Was ist daran falsch?
Durch das unrealistisch starke Betonen des Flüchtlingsthemas verschärft sich eine ebenfalls unrealistische Problemwahrnehmung in Teilen der Bevölkerung. Und davon profitiert die AfD. Die CSU stärkt also gerade die Partei, die sie zu bekämpfen vorgibt. Und bei Horst Seehofer dürften noch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben – vor allem seine Abneigung gegenüber Angela Merkel. Das sieht mir dann nicht mehr nach einer Strategie aus, sondern nach einer aus dem Ruder gelaufenen Aneinanderreihung von Ad-hoc-Entscheidungen Seehofers, die selbst Parteifreunde verwirrt hat.
Welche Assoziationen wecken Begriffe wie „Asyltourismus", „Zurückweisung an der Grenze", „beschleunigte Verfahren", „Fiktion der Nichteinreise", „Sekundärmigration"?
Einige dieser Begriffe wecken bei den meisten Menschen negative Assoziationen. Und genau das sollen sie auch. Das ist die Absicht ihrer Urheber. Beim Begriff „Asyltourismus" wird das besonders deutlich. Als würden sich Flüchtlinge die Reise nach Deutschland in einem Urlaubskatalog aussuchen, um dann mit Weißbier und Weißwurst auf dem Badelaken am Starnberger See zu liegen. Andere Begriffe sollen eine Distanz zu den Menschen, um die es sich bei den Geflüchteten handelt, schaffen. Sie werden als Verwaltungsvorgang gesehen. Und 2015 waren es Begriffe wie „Flüchtlings-Tsunami", „Flüchtlings-Welle", „Dammbruch" – das sind Begriffe aus der Katastrophen-Sprache. Sie erwecken den Eindruck, als habe man es mit einer todbringenden Naturgewalt zu tun, gegen die man sich mit allen Mitteln schützen müsste.
Politiker reden jetzt von Transitzonen, Transitzentren, Anlandeplattformen und dergleichen mehr. Was bedeuten solche Begriffe? Reine Verschleierungstaktik?
Das alles sind Versuche, das Thema rhetorisch nicht in Richtung „Lager" entgleiten zu lassen. Also werden weniger anstößige Begriffe verwendet. In dem vermeintlichen Kompromiss der Großen Koalition ist dann nicht mehr von „Transitzentren" die Rede, sondern von „Transitverfahren". Es wird also sprachlich immer harmloser. Was substanziell tatsächlich passieren wird, wissen wir noch nicht. Mag sein, dass es am Ende wie mit einem Soufflé sein wird, in das man hineinsticht: Es fällt in sich zusammen.
Nicht nur regierende Politiker, auch Aktivisten und Kritiker der Regierungspolitik achten genau auf Sprache. Warum sollen wir nun „Geflüchtete" statt „Flüchtlinge" sagen?
An dem Begriff „Flüchtlinge" wird bemängelt, dass diese Verniedlichungsform den Geflüchteten nicht gerecht werde. Aber ganz ehrlich: Diese Unterscheidung halte ich für übertrieben. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass der Begriff „Flüchtling" in verniedlichender oder gar in abwertender Absicht verwendet wird.
Seit Machiavelli wissen wir: Wer politische Begriffe besetzt, bestimmt das Denken der Menschen. Bei Kernenergie statt Atomkraft hat das ja nicht so ganz geklappt. Wie funktioniert das genau? Kennen Sie andere Beispiele?
Ja, Worte sind „Waffen" in der politischen Auseinandersetzung. Und sie wecken immer bei den Zuhörern oder Lesern Assoziationen. Atomkraft weckt Assoziationen mit der Atombombe. Kernenergie klingt viel harmloser. Also haben Befürworter dieser Form der Energieerzeugung von Kernenergie geredet, während Gegner den Begriff Atomenergie durchsetzen wollten. Ähnlich ist es mit der Verharmlosung von Atommüll-Endlagerstätten als „Entsorgungspark". Oder bei den Begriffen „Giftmüll" und „Sondermüll". Auch macht es einen Unterschied, ob man von „Steuerlast" oder von „Steuerbeitrag" spricht. Von Last will man sich befreien – also ergibt sich daraus die Forderung nach weniger Steuern. Einen Beitrag leistet man hingegen zum Gelingen einer Gemeinschaftsaufgabe. Zu einer Party im Freundeskreis leistet man einen Beitrag, indem man einen Salat oder ein Getränk mitbringt. Das ist positiv besetzt.
Welchen Einfluss hat das Twittern auf die politische Sprache?
Tweets sind ja sehr komprimierte O-Töne von Politikern. Komplexe Sachverhalte, Argumentationslinien und ein abwägendes Für und Wider werden ersetzt durch einen Slogan, durch Schlagworte. Das muss nicht problematisch sein, wenn es neben dem Slogan auch noch zusammenhängende Gedankengänge gibt, die geteilt werden. Problematischer ist eher, wenn Twitter der zentrale, mitunter sogar der fast exklusive Kanal für politische Kommunikation wird – wie etwa bei Donald Trump. Ein Diskurs, ein Argumentieren ist auf Twitter nicht möglich. Daher läuft es Gefahr, eher zum Propaganda-Instrument zu werden.
Was sollten Politiker beim Twittern beachten?
Erstens: Andere Kommunikationskanäle sind wichtiger. Zweitens: Der Slogan darf das Argument nicht ersetzen. Drittens: Tweets werden von Journalisten aufgegriffen und als Quelle für Berichterstattung verwendet. Manche Politiker nutzen das als Form der Kurz-Pressemitteilung. Andere Politiker wundern sich, dass ihre Tweets genauso ernst genommen werden, wie eine Aussage in einem Interview. Das kann leicht nach hinten losgehen.
Zusammenhänge herstellen oder Hintergründe beleuchten – dafür braucht man Platz und Zeit zum Lesen. Offenbar geht das in unserer schnelllebigen Zeit verloren. Sehen Sie noch eine Chance für den Qualitätsjournalismus?
Ja, die Chance für den Qualitätsjournalismus sehe ich durchaus. In den USA haben sich nach dem Wahlerfolg von Donald Trump wieder mehr Menschen Qualitätszeitungen zugewendet. Und nach dem Brexit-Beschluss in Großbritannien hat Pulse of Europe an Größe gewonnen. Von Populisten in die Welt gesetzte Fake News führen also zu Gegenreaktionen. Nur erreichen diese nicht immer die Menschen, die Fake News wahrgenommen haben und ihnen Glauben schenken. Wer sich am Ende durchsetzt, ist meines Erachtens derzeit offen. Qualitätsjournalismus ist auf jeden Fall als Grundlage für gesellschaftliche Debatten notwendig. Qualitätsmedien sind eine tragende Säule der Demokratie. Nicht umsonst genießt die Meinungs- und die Pressefreiheit einen besonderen Schutz durch das Grundgesetz. Demokratie setzt verlässliche Informationen voraus. Und ein breites Meinungsspektrum. Daher sind zum einen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF sehr wichtig. Und zum anderen brauchen wir die Qualitätszeitungen. Ohne sie würde die wesentliche Grundlage für die Meinungsbildung der Bevölkerung fehlen.
Politiker aller Couleur betonen immer wieder: Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Ist das wirklich ernst gemeint? Und was bedeutet das?
Einigen Politikern nehme ich das nicht ab – vor allem nicht den Populisten jedweder Couleur. Sie konstruieren Angriffe auf das „Volk". Diese kämen entweder von außen (Flüchtlinge), oder von innen (Eliten, „Lügenpresse"). Und diese Angriffe müssten abgewehrt werden. Da werden Sorgen von Menschen geschürt und instrumentalisiert. Den meisten Politikern nehme ich aber schon ab, dass sie die Sorgen von Menschen ernst nehmen wollen. Allerdings sehe ich eine Kluft zwischen dem Bestreben, Menschen ernst zu nehmen, und dem tatsächlichen Handeln. Ernst nehmen bedeutet aus meiner Sicht zunächst einmal zuhören – und dann verstehen. Und nicht gleich zu sagen, dass man als Politiker immer sofort weiß, wie eine Lösung auszusehen hat. Ein positives Beispiel ist der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Er hat bereits sogenannte Nachbarschaftsgespräche durchgeführt. Er ging zum Beispiel in einen Stadtteil von Pforzheim, um dort Menschen zuzuhören, was deren Probleme und Sorgen sind. Oft war das der geschlossene Tante-Emma-Laden um die Ecke oder der verdreckte Spielplatz. Also ganz konkrete Alltagsprobleme. Solche Nachbarschaftsgespräche sind meines Erachtens ein guter Ansatz. Ihnen müssen dann aber auch Handlungen folgen.
Verstehen die Menschen die Politiker überhaupt noch, oder hören die ihnen gar nicht mehr zu? Ist das ein Grund für die Stärke der AfD?
Das ist sehr vielschichtig. Zum einen haben wir die sogenannten Filterblasen oder Echokammern. Das heißt: Vor allem Menschen mit sehr ausgeprägten politischen Weltbildern wenden sich vor allem jenen Botschaften zu, die ihre Voreinstellungen verstärken. Andere Sichtweisen blenden sie aus. Diese selektive Wahrnehmung gab es immer schon – aber die Such-Algorithmen im Internet erleichtern diese Selektion. Zum anderen hört ein Teil der Bevölkerung tatsächlich nicht mehr zu, weil sie meinen, Politik habe mit ihrem Leben nichts mehr zu tun. Und drittens tragen auch viele Politiker selbst dazu bei. Vor allem dann, wenn sie im abgehobenen Politiker-Sprech für viele nicht verständlich sind. Dabei ist Verständlichkeit eine Voraussetzung für Verstehen. Da wäre mehr Klartext statt Kauderwelsch wünschenswert. Vor allem politische Fachbegriffe aus der Expertensprache müssten viel häufiger in eine auch für Laien verständliche Sprache übersetzt werden. So würde dann aus dem Überwerfungsbauwerk eine Brücke. Und die „Restriktionen bei Agroenergieimporten" würden zu „Einschränkungen bei der Einfuhr von Bio-Diesel". Da sollten Politiker häufiger mal in den Humanreflektor schauen – also in den Spiegel.