Die 26-jährige Ausnahmemusikerin Sophie Pacini geht ihren Weg in einer um den Absatz kämpfenden Musikbranche – konsequent und selbstbewusst, von Erfolg zu Erfolg, von Auszeichnung zu Auszeichnung. Im Mai ist ihre vierte Solo-CD „In Between – Schumann und Mendelssohn" erschienen.
Ihre Lieblingsfarbe ist Gelb, ihr Lieblingskleid ist gelb. Sophie Pacini fühlt sich eins mit der Farbe der Sonne, der Kreativität und der Erleuchtung. Nicht zuletzt symbolisierte Gelb im alten Ägypten „das Weibliche" und einen Hauch von Unsterblichkeit, die unbestritten allem musikalischen Schaffen innewohnt. Und so war es folgerichtig, dass Sophie Pacini mit der Marketingabteilung von Warner Classic ein gelbes Cover für die neue CD gewählt hat. Transparenz und Leichtigkeit mit dem Bild einer Künstlerin, die mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Händen im gelben Abendkleid über weiche Wasserwellen gleitet.
Ein besonderes Cover sollte es werden, denn „In Between" erzählt von menschlichen und künstlerischen Beziehungen, von Robert Schumann und seiner Suche danach, was die Liebe zu Clara Schumann aus ihm und mit ihm macht und von der künstlerischen Beziehung des Felix Mendelssohn zu seiner Schwester Fanny Hensel, der Mendelssohn recht arrogant bescheinigte, sie sei „zu sehr Frau, um zu komponieren". Wie schon bei der Chopin-CD 2014, die ihr den Echo Klassik 2015 bescherte, vermittelt Sophie Pacini mit ihren Interpretationen ihre ureigene Sicht der Werke und jener Beziehungen. Sie bestätigt – wie bei dem viel gespielten Chopin – den Eindruck, der Kenner und alte Musikhasen stets aufs Neue begeistert und verwundert: Es ist, als erklänge die Komposition zum allerersten Mal, als sei sie nie zuvor gespielt worden. Bei Pacinis nach akribischer Werkanalyse vorgetragenen Chopin-Interpretationen mag es daran gelegen haben, dass sie auf die bis dahin unentbehrlich scheinenden „Akzente" verzichtete. Bei ihren Auftritten in Paris, Hongkong, Kapstadt, auf der Wartburg, beim Schumann-Fest in Bonn, in Hamburg oder Berlin und bei „In Between" bleibt als Erklärung nur das Nietzsche-Wort von der Kunst als „metaphysischer Tätigkeit". Und nicht selten bestätigt die Künstlerin diese Auffassung – etwa wenn sie von der Einspielung der CD im „Reitstadl-Kulturhaus" in Neumarkt in der Oberpfalz berichtet. Nach ihrem letzten Ton der „Variations sérieuses" von Felix Mendelssohn läuteten die Glocken der nahegelegenen Kirche. Da wusste sie: „Mendelssohn hat mir auf die Schulter geklopft!"
Wer Sophie Pacini spielen und reden hört, kommt der Überzeugung ein gutes Stück näher, dass die Musik der Schlüssel zum Verständnis des Universums sei. Die Tochter eines italienischen Literatur-Professors und einer deutschen Ärztin verfügt neben ihrer Musikalität und ihrem von der Kritik immer wieder in höchsten Tönen gelobten technisch-handwerklichem Können über ein breites Wissen und beeindruckende rhetorische Fähigkeiten – sie ist mehrsprachig, beherrscht Deutsch, Italienisch und Englisch. Sie ist aufgewachsen mit Heine und Rilke, mit der Musik der italienischen Ikone Lucio Dalla, des emotionsvollen Ennio Morricone und bei ihren Fahrten von München in die Pianisten-Schmiede am Mozarteum von Salzburg mit Elvis Presleys „Good Luck Charm". Als sie mit acht Jahren erstmals im Münchner „Herkules-Saal" gastierte, reichten ihre kurzen Beinchen kaum ans Pedal des Flügels. Doch der Aufstieg in den Olymp klassischer Musikinterpreten war unaufhaltsam. Ein markanter Punkt auf dieser mystischen Wegstrecke war die Begegnung mit ihrem Idol, der Pianistin Martha Argerich. Dieses Zusammentreffen war von dem Teenager Sophie selbst mit einiger Hartnäckigkeit herbeigeführt worden. Als sie bei einem Italien-Aufenthalt mit den Eltern erfuhr, dass die Argerich im selben Hotel logierte, stand ihr Plan fest. Stundenlang wartete sie auf die weltberühmte Pianistin, bis sie ihr – die ermüdet und gelangweilt ihr Einverständnis gab – vorspielen konnte. Sophie wählte eines der hinreißendsten und schwierigsten Klavierwerke der Romantik: die Robert Schumann gewidmete „Sonate in h-Moll" von Franz Liszt. Eine halbe Stunde Hammerschlag und Grandioso. Die Reaktion von Martha Argerich sagte alles: Mit einer liebevollen Umarmung lobte sie das große Talent der jungen Interpretin. Seither sind beide eng und freundschaftlich verbunden.
Mit acht Jahren gastierte sie im Münchner „Herkules-Saal"
Die angebliche oder tatsächliche Entfremdung der klassischen Musik vom Massenpublikum und die häufig beschworene „tiefe Krise der klassischen Musik" lassen Sophie Pacini in ihrer hingebungsvollen Arbeit nicht ungerührt. Dahinter stehen Fragen wie „Woran misst sich der Marktwert eines Künstlers?" oder „Brauchen CDs überdosierte Hochglanzbilder für den erfolgreichen Absatz?" Wer sich als Künstler nicht willenlos der Diktatur des Marketings beugt, hat Schwierigkeiten. In einer Zeit der Bilderwelten und der Oberflächlichkeiten ist es auch in der Musikbranche komplizierter geworden, auf Inhalt und Persönlichkeit zu setzen. „Ich lasse mich nicht verbiegen", lautet Sophie Pacinis Credo bei diesem aktuellen Thema, das die klassische Musik an ihren Wurzeln berührt. „Klassikkampf" heißt das 2017 erschienene Buch des Konzertagenten Berthold Seliger, das die „Verpuppung der Klassik", ihre Banalisierung und den Verlust des Geheimnisvollen und Metaphysischen zum Thema hat. Auf den ersten Blick könnte der Eindruck entstehen, Seliger reite auf der wohlfeilen Welle der weitgehend von Ignoranz gekennzeichneten Bildungspolitik. Wenn er etwa schreibt, dass die klassische Musik ihr Publikum zu verlieren drohe, in Ritualen erstarrt und ihr Repertoire konventionell sei. Doch weit gefehlt. Seliger bricht eine Lanze für die Kunst von Argerich und Pacini: Er pocht auf das „emanzipatorische Potenzial" der Klassik, verlangt ein Ende der Gängelung der Musik durch das Gewerbe und eine Wiederbesinnung auf den „Glutkern" der Klassik. Mit anderen Worten: der Gesang einer Maria Callas, die Werk-Interpretationen eines Herbert von Karajan und Schöpfungen von Chopin, Liszt, Schumann, Brahms, Beethoven und Saint-Saëns werden auch dann unvergänglich bleiben, wenn der Boulevard sich von der Vermarktung verabschiedet.
Sophie Pacini will nach eigenem strikten Bekunden als selbstbewusste Frau nicht auf ihr Aussehen setzen: „Keine Wimpern ankleben, nicht die Haare blondieren oder eine modische Tasche tragen!" Jede ihrer Interpretationen ist eine Liebeserklärung an den Komponisten und ein herzliches Angebot an ihr Publikum, mitzukommen auf die Entdeckungsreise in eine Welt des immer wieder Geheimnisvollen. Klare Haltung hat sie auch bewiesen, als die Rapper Kollegah und Farid Bang beim Echo Pop einen Skandal verursachten. Der Verband der Musikindustrie hat den Echo abgeschafft. Namhafte Interpreten haben ihre Auszeichnung zurückgegeben. Sophie Pacini hat ihren 2015 erhaltenen Echo Klassik behalten. Warum? Weil es gravierende Unterschiede zwischen dem Echo Klassik und dem Echo Pop gab und weil sie sich schwertut, das, was der Rapper Kollegah und Farid Bang tun, als „Musik" zu bezeichnen. Und: „Weil ich den Echo – wie andere auch – mit großer Freude entgegengenommen habe. Zumal mir diese Auszeichnung auf meinem Weg als Pianistin sehr geholfen hat." Aber mehr noch: Sie will mit ihrer Haltung auch einer Welt entgegentreten, die dauernd schreit – eine Erkenntnis, die Heinrich Böll bereits 1958 in seiner Satire „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen" thematisiere. Eine Welt, die laut ist und immer lauter wird – im öffentlichen Raum, in den sozialen Netzwerken und leider auch in Kunst und Kultur. Für Sophie Pacini, die Ausnahmepianistin, ist ihr Alltag harte Arbeit mit gründlicher Werkanalyse und – am Ende – immer wieder das Entschwinden in Sphären, die keine Grenzen kennen.