2019 soll das neue Album von Bad Religion erscheinen, aber vorher schauen sie noch in Deutschland und Österreich vorbei, um dort den bissigen Klassiker „Suffer" von 1988 in voller Länge zu spielen. Für viele ist es das beste Punk-Album aller Zeiten. Bad-Religion-Mitbegründer Jay Bentley im Interview.
Herr Bentley, prominente Punkmusiker wie Fat Mike von NOFX halten „Suffer" für Ihr bestes Album. Welche Beziehung haben Sie zu dieser Platte?
Nun, ich habe sie gemacht. Deshalb möchte ich sie hier nicht über den grünen Klee loben. Aber ich mag sie aus persönlichen Gründen. Es ist eine Scheibe, die vor 30 Jahren von ein paar enthusiastischen Jünglingen gemacht und erst viel später bedeutend wurde. (lacht)
Wie aktuell sind die Songs auf „Suffer"?
Darüber haben wir in der Band schon öfter diskutiert. Ich glaube, unsere Texte waren von Anfang an sehr gut, aber die Musik kam nicht auf Anhieb hinterher. Doch heute sind Greg Graffin und Brett Gurewitz fantastische Songschreiber, weil sie Hand in Hand arbeiten. Das gilt besonders für „Suffer".
Die „Suffer"-Tour führte Bad Religion 1989 erstmals nach Europa. Wie groß war hier das Interesse an der Band?
Wären wir damals nicht nach Europa gekommen, gäbe es uns heute wahrscheinlich nicht mehr. Die „Suffer"-Tour war also sehr wichtig für uns.
Stimmt es, dass Sie bei der Nordamerika-Tournee von 1988 Verluste einspielten?
Ja. Und deshalb wollten wir eigentlich nicht mehr auftreten. Wir hatten keine Lust, draufzuzahlen. Ich kann es mir nicht leisten, sechs Wochen auf Tour zu gehen und mit Schulden nach Hause zu kommen. Aber ein Veranstalter in Deutschland drängte uns, rüberzukommen. Einen Monat lang sagten wir „Nein". Aber dann hatte er uns so weit, dass wir „Alright, fuck!" sagten und in ein Flugzeug stiegen. Was für ein Glück, damals die richtige Entscheidung getroffen zu haben!
Wie lange haben Sie eigentlich an „Suffer" herumgefeilt?
Weniger als acht Tage. Es war das erste Album nach unserer Reunion. Die Band hatte sich ja 1985 aufgelöst. Aber ab 1987 waren wir wieder verstärkt im Probenraum und schrieben Songs. Wir trafen uns dreimal die Woche, und als wir schließlich ins Studio gingen, waren wir extrem gut eingespielt und hatten eine genaue Vorstellung von der Platte, die wir machen wollten. Wir sind da reingegangen, haben die Songs runtergespielt, und schon waren wir wieder weg. Es gab keinen Grund, noch an irgendetwas herumzufeilen.
„Suffer" war bereits Ihr drittes Album, aber fühlte es sich eher wie ein Debüt an?
Es gibt uns jetzt seit fast 40 Jahren. In diesem Zeitraum hatten wir drei oder vier verschiedene Leben. „How Could Hell Be Any Worse" markiert den Beginn und „Suffer" den Neuanfang. Mir hat diese Platte besonders viel Spaß gemacht, weil sie ohne Druck entstanden ist. Wir haben sie aus freien Stücken gemacht.
Spielen Sie die Songs genau so, wie sie auf Platte klingen?
Ja. Als unser jetziger Schlagzeuger Jamie Miller 2015 zu uns stieß, haben wir uns hingesetzt und uns all unsere Platten noch einmal angehört. Songs verändern sich im Lauf der Jahre, je öfter man sie live spielt. Aber beim Anhören von „Suffer" dachten wir, dass wir diese Songs auf keinen Fall verändern dürfen. Und es fühlte sich dann tatsächlich sehr gut an.
Dave Grohl von den Foo Fighters hasst Classic-Album-Shows. Er findet sie anmaßend und faul. Sind Sie faul?
(lacht) Ich sage Ihnen mal, wie wir es machen: Bevor wir zu unserem Albumklassiker kommen, spielen wir erst einmal eine reguläre Show, und als Zugabe präsentieren wir „Suffer". Nein, wir sind nicht faul!
Wie inspirierend ist es, jeden Abend das komplette „Suffer"-Album zu spielen?
Diese Platte ist 30 Jahre alt. Wir spielen sie nicht, weil wir glauben, dass sie heute noch besonders populär ist. Es macht uns einfach Spaß, diese Songs zu performen und zuzusehen, wie die Leute sie mitsingen. Wir spielen übrigens die Vinyl-Version. Nach der ersten Seite machen wir eine kleine Pause, dann drehen wir die Scheibe um und widmen uns der zweiten Seite. Das macht Spaß, aber ich würde nicht sagen, dass wir insgesamt wieder so klingen wollen wie 1988.
Woran litten Sie 1988?
Wenn du als Teenager in einem Vorort von Los Angeles aufwächst, siehst du dich unweigerlich konfrontiert mit der amerikanischen Ideologie: einem perfekten Haus, ein paar Autos in der Garage, zwei oder drei Kindern. Das ist der amerikanische Traum. Aber diesem ganzen Leben mangelt es an einem: Leidenschaft. Auf dem Cover von „Suffer" sieht man einen brennenden Jungen in einem Vorort. Soll heißen: Das ist nicht die echte Welt, das ist Disneyland! Dieses Leben ist nicht erstrebenswert.
Gibt es Parallelen zwischen damals und heute?
Menschen sind Menschen. So schnell verändern sie sich nicht. Natürlich nimmt man in hochtechnisierten Zeiten wie heute die Welt anders wahr. 1988 erschien einem die Welt als riesiger Ort. Man musste ein Flugzeug besteigen, um sie sich anzusehen. Heute kann man virtuell überall hinreisen. Das Reisen ist schneller und die Welt kleiner geworden. Und ich glaube, die Menschen sind heute insgesamt zynischer als früher.
Wie fühlt es sich für einen politischen Künstler wie Sie an, unter Präsident Trump zu leben?
Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, dass Musik die Verhältnisse verändern kann. Aber wir sehen es als eine wichtige Aufgabe an, in unseren Songs die Gesellschaft widerzuspiegeln. Punkrock ist viel mehr als kurz rasierte Haare und löchrige Jeans.
Definieren Sie sich noch immer als Punkrocker?
Ja, das ist mein Leben! Aber vielleicht ist Punk ja auch nicht mehr als ein gesunder Zynismus, was den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft oder der Politik angeht. Egal, ob man jetzt Student oder Wissenschaftler ist; man sollte stets infrage stellen, was einem gesagt wird. In Amerika findet nämlich gegenwärtig eine ziemliche Indoktrination statt. Das Fernsehen und das Internet sind wirklich zu gefährlichen Orten geworden.
Wie stark ist die Anti-Trump-Bewegung innerhalb der amerikanischen Musikszene?
Es fühlt sich an, als würden alle Künstler gegen ihn sein, aber ich weiß, dass dem nicht so ist. Amerika war noch nie so gespalten wie heute. Der Riss geht auch durch die Film- und Musikwelt. Es sind keine schönen Zeiten, in denen wir leben.
Wer könnte den Riss wieder kitten?
Ich weiß es nicht. Es müsste jemand aus der Mitte sein. Aber ich sehe da niemanden. Wir haben es in Amerika gerade mit einem Menschenschlag zu tun, dem es gefällt, dass Andersdenkende leiden. Das gilt sowohl für die politisch rechte als auch linke Seite. Ich habe noch nie so viel Ignoranz erlebt.
Können die Demokraten Donald Trump etwas entgegensetzen?
Im Moment machen sie keinen guten Eindruck auf mich. Sie versuchen gerade herauszufinden, wie man den Elefanten aus dem Porzellanladen wieder herauskriegt. Ich befürchte, wir Amerikaner müssen uns auf noch mehr Aggression, noch mehr Waffen und noch mehr Religion einstellen.
Ihr aktuelles Album „True North" ist Ihr bisher erfolgreichstes. Markiert es ein neues Kapitel in der Geschichte der Band?
Ein neues Kapitel insofern, als dass wir im Moment unheimlich viel Spaß miteinander haben. Das war beileibe nicht immer so. Wir hätten diese Platte nicht gemacht, wenn wir nicht hundertprozentig überzeugt gewesen wären, dass sie die beste Musik enthält, die wir zu dem Zeitpunkt zu bieten hatten. Wir versuchen immer, authentisch zu klingen. Wenn wir uns einen Song von zum Beispiel David Bowie vornehmen, klingt er spätestens nach zwei Stunden wie einer von uns. Weil wir nur so spielen können, wie wir spielen.
Viele Ihrer Punk-Songs sind sehr kurz. Macht es Ihnen besonders viel Spaß, solche skizzenhaften Songs zu spielen?
Yeah! Es gibt nicht viele Bands, die 36 Songs in 85 Minuten spielen können. Aber wir schaffen das!
Hatten Sie beim Schreiben Ihrer Songs mal den Gedanken: Diese Idee ist eigentlich zu gut, um in einem kurzen Song verbraten
zu werden?
Nein. Punkrock war ursprünglich eine Reaktion auf die epischen Rocksongs der 70er-Jahre mit ihren 35-minütigen Gitarrensoli. Wir wollten es anders machen. Greg sagte mir einmal, für ihn als Songschreiber sei es die Herausforderung seines Lebens gewesen, eine Möglichkeit zu finden, eine sehr emotionale Geschichte in zwei Minuten zu erzählen. Mir gefällt seine Herangehensweise.
Die Platten von Bad Religion erscheinen bis heute bei dem Indie-Label Epitaph Records, welches Ihrem Bandkollegen Brett Gurewitz gehört.
Als ich dort arbeitete, gab es nur Brett und mich. (lacht) Die Idee hinter diesem Label war, gleichgesinnten oder befreundeten Bands dabei zu helfen, ein größeres Publikum zu finden. Wir hatten kein bestimmtes Geschäftsmodell entwickelt, wir haben einfach nur alles selbst gemacht.
Wie unabhängig ist die Band Bad Religion heute?
Wir sind 100 Prozent unabhängig und haben mit niemandem einen Vertrag. Nicht einen einzigen! Wir haben im Lauf der Zeit auch andere Wege ausprobiert, aber wir machen es dann doch lieber auf unsere Weise. Weil wir am besten sind, wenn man uns alleine lässt. Wir hätten anfangs nie gedacht, dass es uns nach 37 Jahren noch geben wird. Das ist toll! Ich wünsche mir, dass es immer so bleibt wie jetzt.
Gene Simmons von der Band Kiss behauptet, Rock’n’Roll sei tot. Wie denken Sie darüber?
Gene Simmons ist mir egal! Was er sagt, interessiert mich nicht. Bitte sagen Sie ihm, er solle sich einmal mit Frank Carter über den Zustand des Rock‘n‘Roll unterhalten. Rock’n’Roll ist nach wie vor ein Forum für revolutionäre Ideen. Er ist nicht tot. Aber vielleicht ist Kiss ja tot!