Unternehmer Dirk Zimmerling und Künstler Patrick Jungfleisch alias Reso eröffneten vor vier Jahren die gleichnamige „Galerie Zimmerling & Jungfleisch" am Saarbrücker Euro-Bahnhof. Nun werden die Fühler sogar in Richtung internationaler Kulturszene ausgestreckt.
Beinahe mutet es großstädtisch im beschaulich wirkenden Saarbrücken an. Damen in Designeroutfits und High Heels: Draußen vor der Tür parken schicke Limousinen. Die „Galerie Zimmerling & Jungfleisch" hat zu einer Ausstellungseröffnung geladen. Die grandiosen, lichtdurchfluteten, hohen Räume der ehemaligen Buswerkstatt der Deutschen Bahn besitzen Industriecharme. Die Räume sind wie gemacht, um der Urban-Art-Galerie den perfekten Rahmen zu liefern. Seit dem Jahr 2014 entwickelt sich die Galerie zu einer gefragten Adresse für Sammler und Kunstliebhaber sowohl im Saarland als auch darüber hinaus.
Kürzlich wurde bereits die 21. Ausstellung in der Galerie eröffnet, diesmal eine Gruppenshow mit dem Titel „Spektrum". Sie vereint mit Heiko Zahlmann, Swiz, Augustine Kofie, Jean Faucheur, Reso und Sen2 einen Querschnitt der von der Galerie vertretenen Urban Art-Künstler und damit auch der Ausstellungen der vergangenen Jahre.
Begonnen hat die Erfolgsstory der „Galerie Zimmerling & Jungfleisch" mit einer nachbarschaftlichen Plauderei am Gartenzaun der beiden Familienväter Dirk Zimmerling und Patrick Jungfleisch, deren Kinder in die gleiche Schule gehen. Sonst verbindet sie zu diesem Zeitpunkt wenig. Zimmerling ist als erfolgreicher Unternehmer in der Versicherungsbranche tätig, Jungfleisch ist Künstler und im Brotberuf Lehrer für Geschichte, Französisch und Kunst. Doch Patrick Jungfleisch alias Reso hat ehrgeizige Ziele und möchte als Künstler etwas erreichen. Die Frage ist nur: Wie kann er das anstellen? Die Urban-Art-Szene hat sich in den vergangenen zehn Jahren stark verändert. Die Kunst ist von der Straße in den Innenraum transferiert worden. Die Künstler – vielleicht liegt das auch am fortgeschrittenen Alter – stehen nicht mehr nachts auf abgelegenen Gleisen mit der Spraydose in der Hand um ihr „Tag" (Signaturkürzel) auf Vorstadtzügen anzubringen, sondern sind tagsüber im Atelier und malen mit Pinsel oder Spachtel auf Leinwand. Ihrem Stil sind die meisten treu geblieben, aber die äußeren Faktoren haben sich verändert. So auch bei Reso. Da der Erfolg eines Künstlers entweder von einem sehr cleveren Eigenmarketing oder zumeist von einem klugen und vernetzten Galeristen abhängig ist, braucht er entweder das eine oder das andere. Warum nicht beides miteinander verbinden: der aufstrebenden Urban-Art-Szene eine Plattform geben und sich selbst gleich mit vermarkten?
Die Urban-Art-Szene hat sich verändert
Gemeinsam beginnen die Nachbarn, über diese Idee nachzudenken. Zimmerling glaubt an den Künstler Reso und seine Vision. Ein Businessplan wird erstellt, und zusammen stemmen sie die Finanzierung für den gemeinschaftlichen Aufbau einer Galerie für zeitgenössische Kunst mit dem programmatischen Schwerpunkt Urban Art. Jeder ist finanziell zu 50 Prozent beteiligt. Die Aufgaben sind klar verteilt: Patrick Jungfleisch vertritt die Galerie nach außen und kuratiert die Ausstellungen. Aufgrund seiner eigenen künstlerischen Tätigkeit – früher als Graffiti-Sprayer, heute vornehmlich als Maler –
verfügt er über ein exzellentes globales Netzwerk in der Urban-Art-Szene. Sein Partner Dirk Zimmerling ist stiller Teilhaber. Sein Engagement für die gemeinsame Galerie ist mittlerweile auch zu seiner Leidenschaft geworden, er ist inzwischen –
wie seine gesamte Familie – infiziert von der Kunstrichtung Urban Art. „Ich bin Unternehmer. Zunächst habe ich mich hier nur als Investor gesehen, an Reso und seine Ideen geglaubt. Mittlerweile ist die Galerie auch meine Passion geworden. Gegenseitiges Vertrauen war von Anfang an die Basis unserer Zusammenarbeit. Das brauchte ich auch, denn ich bin branchenfremd", erinnert sich Zimmerling an die Anfänge der Galerie.
Er war es auch, der den Vertriebs- und Marketingmann Chris Kirsch ins Galerieteam holte. Der sollte neue Märkte und Käufergruppen erschließen – und das hat er mittlerweile auch erfolgreich umgesetzt. „Chris ist seit Mai 2017 bei uns. Seit dieser Zeit hatten wir eine Umsatzsteigerung von 75 Prozent. Das ist zum einen auf seine hervorragende Arbeit zurückzuführen, und zugleich ist diese Steigerung auch das Ergebnis von drei sehr intensiven Vorjahren, in denen man sich bereits Stammkunden erarbeitet hat", erklärt Jungfleisch die positive Umsatzentwicklung. „Am Anfang habe ich fast alles alleine gemacht. Irgendwie ging das auch. Aber Chris hat als Baustein in unserem Team gefehlt. Eine Galerie funktioniert anders. Man muss Allrounder sein, Feingefühl und Affinität zum Thema mitbringen und zugleich sensibles Verkäufergeschick beweisen", fügt er ergänzend hinzu. Zum Team gehören auch Jungfleischs Ehefrau Silvia als Geschäftsführerin und zwei weitere Galerieassistenten.
Die Galerie ist – laut Webseite – eine „Anlaufstelle für strategische und kuratorische Belange". Was heißt das? „Käufer werden beim Aufbau ihrer Sammlung beraten. Ob sie ihre Sammlung erweitern oder vielleicht frühere Ausrichtungen ändern, neue Sammlungsschwerpunkte setzen möchten. Wir sind weltweit vernetzt und kennen die Szene", erläutert Jungfleisch. Neben seiner Funktion im Team der Galerie Zimmerling und Jungfleisch war er in den vergangenen Jahren als Kurator und künstlerischer Berater bei der „Urban Art Biennale" im Völklinger Weltkulturerbe und auch beim sogenannten Artwalk, der im vergangenen Jahr in Saarbrücken stattfand, tätig. Das sind zwar „Nebenschauplätze", aber für das Networking entscheidende Mosaiksteinchen. Und last but not least ist Patrick Jungfleisch alias Reso sowohl in der hauseigenen Galerie mit seinen Gemälden und Papierarbeiten als auch beim Artwalk und anderen Aktionen mit Wandmalereien vertreten. Genau deshalb hat er sich vor vier Jahren aus seinem häuslichen Atelier aufgemacht und hat sich auf das finanzielle Wagnis einer eigenen Galerie eingelassen. Ist das nicht alles ein bisschen viel? Wann findet er Zeit, sich seiner eigenen Kunst zu widmen? Denn auch einem Fulltime-Job geht er täglich nach. Das ist seine Absicherung für die Familie, wenn doch nicht alles so rosig verläuft wie geplant. „Struktur ist alles. Wenn ich selbst künstlerisch arbeite, wird keine Zeit verplempert. Ich bin dann sehr konzentriert ", erklärt Reso überzeugend.
„Man muss Allrounder sein"
Im Jahr 2018 wurde das Galerieprogramm neu strukturiert und damit noch attraktiver gestaltet. Es gibt nur noch vier anstatt sechs Ausstellungen pro Jahr, dafür aufwändiger inszenierte Präsentationen wie bei Jef Aérosol und jüngst bei Remi Rough und LX One zu sehen war. Man denkt global. „Wir wollen und müssen uns weiterentwickeln, wenn wir erfolgreich sein wollen. Saarbrücken ist ein toller Standort, aber wir checken bereits andere europäische Märkte. Vor allem Paris und London sind interessant. Wir haben im vergangenen Herbst in London und jetzt im Frühjahr in Paris eine Pop-up-Show auf die Beine gestellt. Das bedeutet, dass wir in diesen Metropolen in temporär angemieteten Räumen eine zeitlich begrenzte Ausstellung mit einer Auswahl unserer Künstler gezeigt haben, um den Markt abzuchecken, Trends zu erspüren und um neue Laufkundschaft zu gewinnen. Das erschien uns sinnvoller als teure Messe-Auftritte zu konzipieren. Und wir waren mit den ersten beiden Pop-ups sehr zufrieden", resümiert Jungfleisch die internationalen Gehversuche der zurückliegenden Monate.
Als nächste Station steht im Frühjahr 2019 Hongkong auf dem Strategiepapier der Galerie. Asien und vor allem die chinesische Kunstszene inklusive Käuferschicht sind für eine Eroberung vorgesehen. Gerade dort boomt die Blue-Chip-Kunst, und wie bekannt profitieren davon nur die Global-Player. Mit einer Pop-up-Ausstellung – flankierend zur Art Basel Hongkong – will man die Trends des asiatischen Marktes erspüren und sich hernach entsprechend positionieren. Das kostet alles viel Zeit und noch mehr Geld. „Aber das sind keine Kosten, sondern ein Invest in die Zukunft", sind Dirk Zimmerling und Patrick Jungfleisch überzeugt. Wer global denkt, muss auch so handeln.