Erhebliche Differenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Die sieht Lorenz Caffier, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundesrat, bei der Bundeswehr an verschiedenen Stellen. Er sagt: Die Politik muss umsteuern. Nur mit Geld sei es nicht getan.
Herr Caffier, sind Sie zufrieden mit der Politik von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Sachen Bundeswehr?
Ich glaube, wir müssen den aktuellen Entwicklungen Rechnung tragen – und das heißt, wir müssen den Schwerpunkt wieder auf Ausrüstung, Ausstattung und Personal in der Truppe legen. Sicherlich gehören Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung der Truppe auch dazu. Aber ich habe das Gefühl, dass es in der Truppe jetzt vor allem einen Wunsch gibt: Man möchte eine vernünftige Ausstattung, wenn es in den Einsatz geht.
Haben Sie denn konkrete Beispiele?
Im Frühjahr war ich im Rahmen einer Nato-Übung eine Woche auf einem Tender der Bundesmarine auf der Ostsee unterwegs. Da habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie schwierig es für die Kameradinnen und Kameraden ist, die technische Einsatzbereitschaft auf dem Schiff zu gewährleisten. Grund dafür ist natürlich, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion über viele Jahre die Friedensdividende eingefahren und damit einfach weniger auf den Schiffen gemacht wurde. Es wurde weniger in die Erneuerung des Materials gesteckt. Doch nun ist es an der Zeit: Man muss jetzt im Bundesverteidigungsministerium Dampf machen, dass man aus dieser Schieflage wieder rauskommt.
Die Instandhaltung ist das eine. Aber geht es nicht auch um Neuanschaffungen, etwa von Drohnen?
Klar ist, dass heute Drohnen eine ganz wichtige Funktion haben: Zum einen im Verteidigungsfall, aber natürlich auch zur Informationsgewinnung, sodass man nicht immer Hubschrauber einsetzen muss – wobei die ja bei uns in der Truppe auch nur noch bedingt einsatzbereit sind. Drohnen sind also als Ausstattung sehr wichtig. Darum ist es notwendig, dass man solche Geräte anschafft.
Wobei ja Anschaffungen bei der Bundeswehr noch ein ganz eigenes Thema sind …
Wir stellen auch hier im Verteidigungsausschuss des Bundesrates immer wieder fest, dass die Anschaffung von Material ein ganz eigenes, hochkomplexes Gebiet ist. Das gilt übrigens für die gesamte Verwaltung im Bund und Land, aber im Besonderen für die Bundeswehr. Ich stelle das aber auch in meiner Funktion als Innenminister gerade bei der Beschaffung von IT-Technik fest: Da gibt es viele Regularien, die dringend überholungsbedürftig sind. Wenn neue Rechner benötigt werden, dann machen wir erst einmal eine europaweite Ausschreibung. Wenn dann nach zwei Jahren die neuen Rechner kommen, gibt es auf dem Markt längst die nächste oder übernächste Generation. Die Kriminellen haben diese Technik längst – und wir schauen in die Röhre. Das gilt auch für die Bundeswehr. Die Wege sind viel zu lang, da muss die Politik handeln. Da müssen Gesetze geändert werden, damit schneller und unkomplizierter Ausrüstung angeschafft werden kann.
Haben Sie denn konkrete Beispiele, wo die Bundeswehrführung bei der Beschaffung versagt hat?
Ich will das gar nicht an Personen festmachen, sondern einfach nur festhalten: Weder ist der Lufttransporter A 400 M einsatzbereit, da gibt es immer noch große Probleme, und niemand kann sagen, wann die behoben sind. Ich hatte es bereits angesprochen: Bei den Hubschraubern läuft es nicht rund. Und auch bei den Schiffen gibt es weiterhin Handlungsbedarf. Doch das sind alles Technik-Parameter, die für eine moderne Truppe zwingend erforderlich sind. Da muss gehandelt werden.
Mal ganz abgesehen von den Ersatzteilen.
Ja, sicher, im Bereich Ersatzteilbereitstellung gibt es auf jeden Fall eine Menge Luft nach oben. Vor allem, weil wir ja auch Ausrüstungsgegenstände wieder in den Einsatz zurückholen, die eigentlich längst ausgemustert werden sollten. Dafür brauche ich dann aber auch die entsprechenden Ersatzteile, sonst funktioniert das nicht.
Hat sich die Bundeswehr mit ihren vielen Auslandseinsätzen denn nicht vielleicht auch übernommen?
Nein, das würde ich nicht sagen, die Bundeswehr hat sich nicht übernommen. Aber an alle, die sagen, die Bundeswehr soll neue Aufgaben übernehmen, neue Felder bedienen: Dann muss auch die Politik umsteuern. Das ist offenbar nicht konsequent genug gemacht worden, sonst hätten wir ja diese Probleme nicht. Ich sehe aber auch, dass so ein Umsteuern mehrere Jahre dauern und nicht von heute auf morgen erfolgen kann. Das kenne ich aus meiner Tätigkeit als Innenminister. Wenn wir uns also zu mehr Auslandseinsätzen bereit erklären, dann ist das sicherlich richtig. Aber dann müssen wir auch gucken: Haben wir die Basis dafür? Also die Ausrüstung, die Menschen, um diese Aufgaben zu stemmen? Und da gibt es erhebliche Differenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Daran ist aber nicht die Bundeswehr Schuld, sondern bei der Umsteuerung sind Fehler gemacht worden. Und man muss auch den notwendigen Zeitraum für solch eine Umsteuerung geben.
Und neben Zeit auch Geld. Apropos: US-Präsident Trump hat auf dem Nato-Gipfel von Deutschland erneut gefordert, mehr Geld für die Verteidigung aufzubringen.
Das hat ja die Kanzlerin auch schon längst zugesagt, bis 2025 wird Deutschland die geforderten zwei Prozent leisten. Es ist ja auch schon mehr Geld für die Verteidigung in den Haushalt eingestellt. Ich habe nur die große Sorge, dass wir mit Geld allein die Grundproblematik nicht lösen werden. Denn wir müssen mit der Industrie, mit der Wirtschaft entsprechende Verträge abschließen, um die Truppe auch auszurüsten. Doch da scheint es ja große Probleme zu geben, dass uns in den gegebenen Zeiträumen die entsprechende Technik zur Verfügung gestellt werden kann. Wir haben es ja gerade beim Truppentransporter A 400 M erlebt, dass dieser immer noch nicht der Truppe zur Verfügung steht. Deswegen ist Geld die eine Sache – aber Logistik und technische Bereitstellung ist die andere.
Also Geld allein hilft nicht?
Nein, leider nicht. Denn ich kann der Bundeswehr eine bestimmte Summe bereitstellen; das Spannende am Ende des Jahres ist dann: Wie viel von dem Geld wurde überhaupt abgerufen, wie viel wurde also ausgegeben? Das heißt: Konnte das Geld tatsächlich vertraglich für neues Material gebunden werden? Doch wenn die Truppe bestimmtes Gerät nicht bestellen kann, weil zum Beispiel die Lieferzeiten viel zu lang sind oder es den Anforderungen im Einsatz nicht genügt, dann hilft auch eine weitere Erhöhung des Wehr-Etats wenig.
Und dann müssen Truppen und Material auch noch in den europäischen Wehrverbund passen.
Das ist richtig und letztendlich wichtig und damit auch meine klare Linie: Funktioniert die Bundeswehr im europäischen Verbund, innerhalb der Nato? Dieser Verbund ist wichtig, allein kann eine Bundeswehr international wenig ausrichten. Umgekehrt müssen die materialtechnische Basis und die Personal-Ressourcen bei uns stimmen, sonst können wir da, gerade bei Auslandseinsätzen, nicht mitmachen. Die Anforderungen diesbezüglich haben sich in den letzten zehn Jahren deutlich verändert – darauf müssen wir reagieren.