Europa hat viele Gesichter. Das zerstrittene der Nationalstaaten, und das konkrete im Zusammenleben in den Regionen. Der Belgier Karl-Heinz Lambertz, Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR) kämpft für beständige Verbesserungen dort, wo Europa unmittelbar erlebbar ist: in den Grenzregionen.
Er ist eine Institution und nicht von ungefähr Vorsitzender von einem der wohl einflussreichsten Ausschüsse auf europäischer Ebene. Dass weder er selbst noch die Arbeit dieses Gremiums permanent für Schlagzeilen sorgen, ist ein Stück weit sogar fast schon symptomatisch für den derzeitigen Zustand der EU. Während Europa im Großen oft ein Bild der von nationalen Interessen geprägten Zerstrittenheit abliefert, mühen sich überzeugte Europäer um eine beständige Verbesserung im konkreten Zusammenleben der Menschen in der Union.
In diesen von Fallstricken und Missverständnissen gepflasterten Bemühungen ist kaum einer so erfahren wie Karl-Heinz Lambertz. Seit einem Jahr ist er Präsident des Ausschusses der Regionen und eindrucksvoller Beleg für die These, dass die treibenden Kräfte für eine Europa der Menschen aus den eher kleineren Ländern kommen. Die haben offensichtlich einen besonderen Sinn für grenzüberschreitendes Zusammenleben in einem grenzenlosen Europa, gepaart mit der Erfahrung der Hemmnisse und Hindernisse, aber auch Widerstände und Widersprüchlichkeiten, wenn es ans Konkrete und Eingemachte geht.
„Grenzen haben etwas ganz Komplexes", sagte Lambertz bei einer Veranstaltung des saarländischen Privatsenders Radio Salü. Als Minister der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens zeichnete Lambertz unter anderem für Medienpolitik verantwortlich, eine Zuständigkeit, die er auch als Ministerpräsident behielt. In dieser Eigenschaft hat er auch das Projekt „100’5 Das Hitradio" maßgeblich unterstützt, ein deutschsprachiges Programm aus dem belgischen Eupen, an dem der saarländische Privatsender beteiligt ist. Private Medien mit der Ambition eines grenzüberschreitenden Blickes sind nach wie vor eine eher exotische Erscheinung.
Zum einen, weil die Medienlandschaften in den europäischen Ländern aufgrund historisch gewachsener Traditionen höchst unterschiedlich ausgeprägt sind. „Jeder hat seine nationalen Reflexe", beschreibt Lambertz die Erfahrung, dass Verbreitungsgebiete und Zielgruppen auch von Medien in ansonsten eng verwobenen Grenzregionen meist an den Sprachgrenzen enden.
Das ist nicht nur eine strukturelle Frage, sondern hat auch viel mit der Wahrnehmung der Menschen selbst zu tun, betont Lambertz. Er hat seine, nicht ganz schmerzfreien, Erfahrungen mit einer ganzen Reihe von durchaus hoch ambitionierten Projekten grenzüberschreitender medialer Zusammenarbeit und Berichterstattung in den Regionen Saarland-Lothringen-Luxemburg oder der Euroregion Maas-Rhein mit der Achse Eupen und Aachen gemacht. Nur zu übersetzen, was beim Nachbarn möglicherweise nur wenige Kilometer entfernt passiert oder diskutiert wird, reicht nicht. „Das geht nur, wenn Sie den Nerv, die Mentalität treffen und ansprechen." Die Information über den Nachbarn werde nun mal „nicht von vorneherein erwartet", es sei denn, es gebe „konkrete Anknüpfungspunkte", etwa bei Naturkatastrophen oder einem grenznahen Atomkraftwerk, oder eben bei verbindenden kulturellen oder sportlichen Großevents. „Die Menschen müssen sich als Gruppe erleben und sich zusammengehörig fühlen, selbst wenn sie unterschiedliche Sprachen sprechen". Dabei spielt der Lebensalltag eine entscheidende Rolle. Besondere wechselseitige Einkaufsattraktionen oder eben ein gemeinsamer Arbeitsmarkt. Die Großregion Saar-Lor-Lux ist die Region mit den größten Pendlerströmen in ganz Europa.
Regionale Projekte mit enormem Mehrwert für Europäer
Auch unter diesem Aspekt hebt Lambertz hervor, dass es dem Ausschuss der Regionen gelungen ist, bei den derzeit noch laufenden Verhandlungen über die nächste Haushalts- und Förderperiode der EU eine Priorität auf sogenannte „people to people"-Projekte durchzusetzen, vor allem, dass solche scheinbar kleineren grenzüberschreitenden Projekte eine „stabile Lösung" bekommen, und, was im europäischen Kontext ein nicht zu unterschätzender Faktor ist, einfacher beantragt werden können.
„Media & Me" steht beispielhaft für solche „people to people"-Projekte, die aus Sicht von Lambertz „einen enormen Mehrwert" in sich tragen. Dem 2016 ins Leben gerufenen Jugend-Medien-Projekt drohte bereits das Aus, weil die EU-Förderung nicht fortgesetzt werden sollte. Inzwischen ist diese gesichert, unter anderem durch den Einsatz des Interregionalen Parlamentarierrates und finanziellem Engagement der Landesmedienanstalt Saarland. Hinter dem Projekt stehen rund zwanzig Medienunternehmen, darunter auch FORUM, die Jugendliche aus der Großregion, die „irgendwas mit Medien" machen wollen, systematisch Einblicke in die unterschiedlichen Arbeitsweisen von Medien in den verschiedenen Ländern bieten, samt praktischem Anteil. Eigentlich ein klassisches grenzüberschreitendes Projekt, das eine Lücke schließt und auf nachhaltige Wirkung setzt.
Die Anstrengungen, die zur Fortführung des Projektes notwendig waren, sind für Lambertz nicht unbedingt überraschend. Seine Erfahrung auch mit anderen Projekten lehrt: Wenn nach einer Anschubförderung aus EU-Töpfen anschließend noch eine weitere Überbrückungsförderung notwendig ist, die die beteiligten Regionen stemmen müssten, dann sei das nicht nur eine Geldfrage. „Wenn ein Projekt grenzüberschreitend konzipiert wird, hat das immer nur zweite Priorität. Es gibt immer noch etwas Wichtigeres." So lange es jedoch EU-Mittel gibt, werde es schwerlich abgelehnt. Womit Lambertz ein Phänomen beschreibt, dem man mit Regelmäßigkeit begegnet: Die EU ermöglicht etwas durch Förderung, das man sich zu Hause dann gerne selbst auf die Fahnen schreibt. Ist man aber selbst gefordert, werden die Finger ganz spitz, schlimmstenfalls wird die EU beschimpft, weil sie nicht weiter fördert. Das Beispiel des Medienprojektes zeigt, dass etwas geht, wenn man es ernsthaft will. Was häufig von der treibenden Kraft engagierter Menschen abhängt. Dafür übernimmt Lambertz die Formulierung, dass die Entwicklung eines konkreten Europas ein gewisses Maß an „subversiv-konstanter Boshaftigkeit" gegen alle Hürden und Bedenken erfordert.
Im Grund setze grenzüberschreitende Zusammenarbeit drei Dinge voraus, die allesamt keine Selbstverständlichkeiten sind: „Man muss es dürfen, man muss es wollen, man muss es können", fasst Lambertz seine Erfahrungen zusammen. Wenn es aber gelinge, dass Menschen das Gemeinsame „als zu sich selbst, zu ihrer Heimat gehörig empfinden, eröffnen sich neue Perspektiven".