Geschmuggelte Drogen und Mobiltelefone, zu wenig Personal und überbelegt: Die Situation im Gefängnis sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Grundlegende Reformen im Vollzug und Strafrecht sind geboten, aber vor dem Hintergrund der derzeitigen Sicherheitsdebatten kaum umsetzbar, sagt der Leiter der Saarbrücker JVA auf der Lerchesflur, Pascal Jenal.
Herr Jenal, über das Leben hinter Gittern kursieren viele Vorurteile. Ich hörte mal von einem ehemaligen Häftling, dass es sehr einfach wäre, im Gefängnis an Drogen heranzukommen. Ist an diesem Gerücht etwas Wahres dran?
Dass es so einfach wäre, ist sicherlich deutlich überzeichnet – Andererseits ist es tatsächlich so: Kein Gefängnis ist drogenfrei, unseres auch nicht. Das wäre auch illusorisch. Wir machen zwar eine Auswertung von Faktoren, die eine Drogenzufuhr begünstigen, aber es gänzlich eindämmen können wir, wie gesagt, nicht.
Wir haben beispielweise alleine 8.000 Fahrzeuge, die die Anstalt über das Jahr anfahren. Das sind Versorgungs- und Lieferantenfahrten. Die müssten wir dann theoretisch so kontrollieren, dass wir 100 Prozent ausschließen können, dass da noch was drin ist. Zudem bekommen unsere Gefangenen Besuch. Fast 20 bis 30 gelockerte Gefangene, die stundenweise rausgehen können. Es gibt also mannigfaltige Möglichkeiten, dass Sachen hier reinkommen. Dementsprechend gehen wir auch davon aus, dass wir auch was im Haus haben.
Das ist nicht gut. Ist aber Realität, die auch für andere Gefängnisse gilt.
Und was wird reingeschmuggelt?
Es gibt neue Drogen, die sehr billig und sehr gefährlich sind. Sie werden teilweise auf Papier getröpfelt und gelangen als Brief ins Gefängnis. Auch Medikamente wie Subutex – ein stark wirksames Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide – sind vertreten. Sie kommen hauptsächlich aus Frankreich. Aber am meisten bereiten uns Kräutermischungen wie Spice Probleme.
Die gesamte Gefängnislandschaft hat ein Problem mit den Kräutermischungen. Sie sind sehr billig und werden deshalb auch vermehrt konsumiert. In anderen Bundesländern sind schon Gefangene daran gestorben, weil sie die Wirkung dieser Drogen unterschätzt haben. Bei uns ist eine Überdosis noch nicht vorgekommen.
Eine weitere Geschichte sind Handys. Sie kommen gleich auf Platz zwei der Schmuggelware. Die Gefangenen dürfen kein Mobilfunktelefon benutzen. Das ist Standard in deutschen Gefängnissen. Dennoch wissen wir, dass es immer wieder zu Versuchen kommt, ein Telefon in die Anstalt zu transportieren. Es gibt beispielweise ganz kleine Handys – kleiner als eine Zigarettenschachtel – mit denen man nur telefonieren kann und die man auch sehr gut verstecken kann. Sie können während der Besuchszeit eingeschmuggelt oder über die Mauer geworfen werden
Kritisch wird’s bei Waffen, etwa Hieb- und Stichwaffen. Hier gibt es allerdings die Tendenz, dass die Gefangenen diese selbst basteln, anstatt sie reinzubringen.
Eine Schusswaffe wäre eine absolute Katastrophe. Das haben wir hier bisher noch nie gefunden. Allerdings ist es auch schwierig, eine Schusswaffe reinzubringen. Bei der Eingangskontrolle würde die Metallsonde sofort darauf reagieren. Bei Drogen ist das leider nicht der Fall.
Ein weiteres Vorurteil um das Gefängnis ist der interne Austausch an Erfahrungen. Wie schafft man es, dass die Gefangenen nicht voneinander lernen, um ihr kriminelles Vorgehen zu verbessern?
Das ist ein Aspekt, der gerne im Zusammenhang mit Kritik an Haftanstalten genannt wird. Die Leute würden hier nicht besser werden, oder sie würden Kontakte zu Menschen knüpfen, denen sie besser nicht begegnet wären. Das geht dann bis zur Planung einer Straftat nach der Entlassung.
Was die Kriminalität angeht, ist es Aufgabe der Anstalt, Ansteckungseffekte zu minimieren. Differenzierungen in der Unterbringung je nach Delikt und Haftdauer wären hier
hilfreich. Gerade im Saarland wird dieses Problem jedoch sehr anschaulich: wir haben mit den Anstalten in Saarbrücken und Ottweiler nur noch zwei Gefängnisse, sodass wir zwangsläufig Inhaftierte mit erheblichen Straftaten zusammen mit Kleinkriminellen unterbringen müssen.
Somit wäre es auch möglich, dass ein Gefangener – ich konstruiere jetzt mal ein fiktives Szenario –, der früher ständig geklaut hat, hier auf Insassen mit den schlimmsten Delikten trifft. Auf der Straße wäre dieser hypothetische Kleinkriminelle beispielsweise niemals einem Bankräuber begegnet. Aber hier hat er die Möglichkeit, diese Kontakte zu knüpfen und sie auch nach seiner Entlassung aufrechtzuerhalten.
In Anstalten, die ein bisschen besser differenzieren können – in größeren Bundesländern gibt es beispielsweise bis zu 15 oder 16 Haftanstalten –, werden die Kleinkriminellen zusammengeführt und von den schweren Jungs abgetrennt. Damit wäre zumindest gewährleistet, dass die Kleinkriminellen nicht in Kontakt mit Häftlingen mit schwereren Delikten zusammengeführt werden.
Dass sie sich aber untereinander austauschen, das liegt dem System immanent zugrunde.
… und lässt sich nicht vermeiden?
Ja, das stimmt. Aber wir möchten den Gefangen den Umgang untereinander auch nicht verbieten. Vielmehr ist der Kontakt ausdrücklich erwünscht. Wir haben beispielsweise auch Wohngruppen, die genau darauf abzielen.
Es ist ja so: Wenn man eine Person für 23 Stunden am Tag einsperren würde, hätte das eine massive Auswirkung auf ihr Verhalten. Irgendwann werden diese Menschen nicht mehr in der Lage sein, normal zu interagieren. Nach der Entlassung wären die Verhaltensauffälligkeiten nur noch schlimmer. Deswegen sollen die Gefangen möglichst viele Freiräume haben, sich zusammen bewegen, zusammen Sport machen, Karten oder eine Partie Schach spielen.
Das hilft den Gefangenen dabei, sich später schneller zu resozialisieren. Auf der anderen Seite fördert es wiederum auch den Erfahrungsaustausch. Man muss es eben abwägen, wie immer.
… oder nicht so viele einsperren?
Das ist die nächste Grundsatzdiskussion: Gewichtige Stimmen fordern immer wieder, nicht so viele Menschen einzusperren, dafür einen Teil der Inhaftierten aber nicht mehr so leicht zu entlassen. Im Klartext bedeutet das, dass man die Haftstrafe als absolute Ultima Ratio nimmt und verstärkt auf ambulante Maßnahmen setzt. In nordeuropäischen Ländern, in Skandinavien, ist es längst gelebte Praxis. Auch in den Niederlanden ist diesbezüglich sehr viel passiert in den letzten Jahren.
Was halten Sie von solchen ambulanten Maßnahmen?
Ich bin der Meinung, dass es sich immer lohnt, gute Ideen umzusetzen. Es gibt auch viele rationale Argumente, ein solches Modell auch bei uns zu etablieren.
Auf der anderen Seite haben bei uns in Deutschland ambulante Maßnahmen keine vergleichbar große Tradition wie in anderen Ländern. Hinzu kommt, dass das gesellschaftliche Klima im mitteleuropäischen Raum für eine solche grundlegende Änderung momentan eher ungünstig ist. Wir haben bereits seit mehreren Jahren eine sehr aufgeregte Sicherheitsdebatte – die meiner Meinung nach durch verzerrte öffentliche Berichterstattung noch befeuert wird – aus der ein sehr großes Sicherheitsbedürfnis resultiert. Es ist daher zu erwarten, dass es in weiten Teilen der Bevölkerung auf Unverständnis stoßen würde, wenn nun sehr großzügig ambulante Maßnahmen als Alternative zum Gefängnis umgesetzt würden. Bei allen Reformideen wird immer ein Mindestmaß an Akzeptanz in der Bevölkerung notwendig sein, da ansonsten das Vertrauen in den Rechtsstaat Schaden nehmen könnte. Somit sehe ich das als einen Prozess an, der sich vielleicht erst im Laufe der Jahre entwickeln wird. Objektiv betrachtet spricht allerdings vieles dafür, dass wir daraufhin arbeiten sollten, nicht zu leichtfertig einzusperren.
Und welche Delikte sollten ihrer Meinung nach nicht mehr als Straftat gelten?
Wir sperren tatsächlich zu viele Leute wegen Bagatelldelikten ein. Zuallererst wäre da Schwarzfahren zu nennen. In Juristensprache nennt sich das Leistungserschleichung und zählt als eine Straftat, auch wenn es sich nur um 50 Cent handelt. In diesem Punkt erscheint mir die rechtliche Reaktion des Staates als problematisch, bei der die Verhältnismäßigkeit infrage zu stellen ist.
Dazu ein – zugegebenermaßen etwas plakatives – Beispiel: Würde man mit seinem Ferrari durch eine 30er Zone zwei Kilometer lang mit 150 km/h fahren, begeht man dabei gleichwohl nur eine Ordnungswidrigkeit. Die Sanktion wäre ein Bußgeld und Führerscheinentzug, nicht aber Gefängnis. Fährt derselbe Ferrari-Fahrer am nächsten Tag die gleichen zwei Kilometer mit dem Bus schwarz und prellt dabei 1,20 Euro für den Ticketpreis, ist er sofort ein Straftäter und kann mit Geldstrafe und Gefängnis sanktioniert werden. Das Beispiel verdeutlicht vielleicht etwas, warum die kriminelle Energie beim Schwarzfahren mit dem Sanktionskatalog des Ordnungswidrigkeitenrechts wohl eher angemessen beantwortet werden kann. Hinzu kommt, dass es sich bei den inhaftierten Schwarzfahrern schlichtweg oft um bettelarme Leute handelt. Viele sind drogenabhängig, werden dadurch gleichgültig und abgestumpft.
Natürlich machen sie das zum tausendsten Mal. Aber aus meiner Sicht ist diese Wiederholung weniger auf eine Kriminalität zurückzuführen, sondern auf ein Persönlichkeitsdefizit. Und ob in diesen Fällen der Staat mit acht, neun oder zehn Monaten Gefängnis reagieren soll, das würde ich einfach infrage stellen.
Dazu gehört auch die Ersatzfreiheitsstrafe. Wenn jemand beispielsweise zu einer Geldstrafe verurteilt wird, die er nicht bezahlen kann, muss er anteilig für jeden Tagessatz ins Gefängnis. Das ist einfach ungerecht. Denn die Leute, die kein Geld haben, wandern ein, und die, die es haben, legen es auf den Tisch, und damit hat es sich dann. Da muss meiner Meinung nach eine andere Regelung her. Selbstverständlich kann auch ich es nicht gelten lassen, dass Mittellosigkeit vor jeder Strafe schützt. Deswegen ist mein Vorschlag, dass sich die Höhe der Tagessätze bei Wiederholungstätern auf eine bestimmte Höhe ansammeln muss, um sie dann in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln.
Ansonsten ist das schon absurd, wenn man Obdachlose wegen zehn Tagessätzen von jeweils fünf Euro einsperrt –
das macht einfach überhaupt keinen Sinn, weder für den Staat, noch für den Inhaftierten. Aus Sicht der Anstalt ist die Zeit viel zu kurz, um sinnvoll behandlerisch auf den Gefangenen einzuwirken. Aus Sicht des Gefangenen besteht andererseits wegen der kurzen Zeit überhaupt keine Bereitschaft, sich auf die Angebote der Anstalt einzulassen. Letztlich vertrödelt dieser Mensch seine Zeit im Gefängnis, wird aber für alle Zeiten das Stigma eines Gefängnisaufenthaltes mit sich herumtragen.
Deswegen sind Bagatelldelikte, Geldstrafen und kurze Freiheitsstrafen Sachen, die aus meiner Sicht zurückgedrängt werden müssen. Wenn man schon ins Gefängnis geht, dann aber richtig.