Geschmack liegt im „Savu" nicht nur auf dem Teller. Das Restaurant am Kurfürstendamm besticht auch mit durchdachtem Design und mit einer ungewöhnlichen Kombination kulinarischer Bezugspunkte: Sauli Kemppainen vereint nordische, spanische und italienische Einflüsse in seiner Küche.
Bei diesem Teller werde ich glatt noch zum Fan der Graupe!", ruft die Begleiterin entzückt aus. „Das ist Gerste ganz neu interpretiert." Eine Art „Graupotto" wurde mit Basilikumpüree auf Frühlingsfarbe und sommerlichen Geschmack getrimmt und begeistert uns im „Savu". Das gegrillte Flanksteak, Rindercarpaccio-Scheiben und Birnenstücke geraten beinah ins Hintertreffen, als wir uns bei Geschichten von den öden Graupensuppen unserer Kindheit nachgruseln. Was kann es Schöneres für Küchenchef Sauli Kemppainen geben, als nicht nur hervorragendes Essen zu servieren, sondern gleich noch kulinarische Traumata aufzulösen? Nun serviert ein Geschmacksfanatiker wie Sauli Kemppainen nicht schlicht gekochte Perlgraupe nach Hausfrauenart. Bei ihm wird die Gerste erst getrocknet und gepoppt, bevor sie in den Topf geworfen und in Rinderbouillon gekocht wird. Vom Teller weg springt uns jeder einzelne Geschmack anschließend in den Mund. Jeder klar erkennbar, nie eindimensional oder grob. Das ist das Resultat von Kemppainens Geschmacksmathematik: „Ich koche fast alles im eigenen Saft. Dann hat man mehr als hundert Prozent." Die Birne erlebte es so und wurde mit schwedischem Xante-Likör mit dessen Birnen- und Vanillearomen verfeinert. „Das ist der einzige Weg für mich", betont der Küchenchef mit knatterndem finnischen Akzent. „Ich sage nur, drei Dinge in meiner Küche sind wichtig: Geschmack, Geschmack, Geschmack."
Das gilt auch für die Gestaltung des Lokals, das Sauli Kemppainen gemeinsam mit Vedad Hadziabdic am Kurfürstendamm nahe dem Adenauerplatz führt. Hadziabdic zeichnet fürs Gastgeben, die Weine und die schönen Ausblicke im Gastraum verantwortlich. Er führt uns zu unserem Tisch an der mannshohen Glaswand, durch die wir den Köchen bei der Arbeit zusehen können. Wie spannend! Doch zunächst einmal fällt unser Blick auf Geschirr und Besteck vor uns. Wir speisen von finnischem Design – einem eigens für das „Savu" kreierten Geschirr der Firma Pentik sowie mit Besteck von Iittala. „Birkenteller" ziehen unser Augenmerk auf sich – zarte schwarze und graue Striche zeichnen die Struktur der Rinde nach. „Ich habe das alles vorher selbst aufgemalt", sagt Kemppainen. Ob Zwiebelsamen-Knäcke oder Dillsamen-Focaccia – das Brot bleibt nicht lange auf den Tellern liegen. Besonders gern streichen wir mit den Weidenholz-Buttermessern Lachspastete auf ein dunkles finnisches Gewürzbrot mit Roggenmalz. Das ist Saft und Kraft pur auf kleinstem Raum, entschieden und klar. Jeder Bissen ist der sinnliche Beleg von Kemppainens Motto: „Ich mache etwas mit Full Gas oder gar nicht!"
Geschirr wurde eigens für das „Savu" kreiert
Die Küche lässt auf einer grauen Kugel mit aufgespießter kulinarischer Fracht grüßen. Die mit welligen Chips und „haarigen" Pralinchen bestückten Stäbe sind ein Hingucker. „Unbedingt in der richtigen Reihenfolge essen!", lautet die Regieanweisung vom Küchenchef. Erst das kompaktere Gebilde mit Poulardenbrust, finnischem Wild, Sour Cream und den sich herausringelnden Lauchsprossen. „Die sind lustig und lebendig", sagt Kemppainen. „Die sind fein, ein bisschen fleischig und mit einem Hauch Lauch", sagen wir. Die pikanten Ziehharmonikas aus Paprikakartoffeln sind aus gutem Grund auf dem zweiten Startplatz. Sehr viel würziger, knackiger und etwas rauchig hätten sie die fragilere Fleischpraline in Bedrängnis gebracht. Rauch ist ein wichtiges Element in Kemppainens Küche, und genau das bedeutet „Savu" im Finnischen. In der Kulinarik steht aber nicht allein das Heimatland des Küchenchefs im Vordergrund. „Wir sind 50 Prozent nordisch, 25 Prozent spanisch und 25 Prozent italienisch. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Aber nicht in jedem Gericht", sagt Kemppainen. Finnland, Norwegen, Schweden und Island sind die Länder, die ihn inspirieren. „Das kann sich im Produkt oder in der Methode der Zubereitung niederschlagen. Rauch etwa ist charakteristisch für die nordische Küche; für Spanien ist es luftgetrockneter Schinken. „Wir machen dann einen luftgetrockneten Rentierbraten." Und anschließend ein Pastrami daraus. Sehr nordisch zeigt sich der Teller, auf dem das Rentier von Pastinake mit Zitronenthymian-Kresse, einem Jus mit Kiefer- und Tannensprossen sowie einem Moosbeerenkompott begleitet wird. Es folgt der Showteil: Am Tisch wird alles mit Holzteer-Rauch angesprüht, gesalzenes und getrocknetes Rentier-Herz darüber gerieben. Es riecht eindringlich. Beiße ich gleich in einen Kohlenmeiler oder in Asphalt? Nein. Die derbe Rauchnote versendet sich sofort und bindet sich ins große Ganze unaufdringlich ein. Ein Mini-Rentier aus Pastinake schaut uns vom Tellerrand aus interessiert an. „Weil mir so langweilig war, habe ich die noch geschnitzt", sagt Kemppainen augenzwinkernd.
Es geht flott voran, auch in der Küche. Das fünfköpfige Team hat nur 14 Gerichte von der Karte umzusetzen, die dafür aber häufig. Es werden mittelgroße Portionen serviert; großmächtige Teller oder zehngängige, stundenlange Menüs sind Sauli Kemppainen ein Graus: „Medium essen, mehr probieren!" Locker und zwanglos soll es zugehen, die Produkte top und das Handwerk präzise sein. Vier bis fünf Gänge seien ideal. „Dann bleibt noch Platz für ein Dessert." Vier Gänge kosten 59 Euro, jeder weitere zehn Euro. Damit hat Kemppainen auch die jüngeren Gäste mit Spaß an der leichten und unkomplizierten Feinschmeckerei im Blick. „Für hundert Euro rein, gutes Essen und Trinken, und wieder raus. Das muss reichen."
Rauch ist essenziell in Kemppainens Küche
Für die Expertise beim gepflegten Kaltgetränk und die Weinauswahl steht Vedad Hadziabdic. Der Sommelier und Gastgeber baute die Weinkarte mit 160 Positionen aus Italien, Deutschland und Frankreich auf. In einem kleinen „Spirituosen-Gefängnis", einer Schrank-„Banderole" mit Gittertüren an der Stirnwand, hält er überdies ausgewähltes Hochprozentiges parat. Für uns wählte Hadziabdic einen „Wertheimer Alter Satz", eine Cuvée aus Müller-Thurgau, Silvaner, Bacchus und Kerner. Wir bleiben am schlanken, saftigen Weißen aus Tauberfranken nicht nur wegen seiner munteren, etwas von Stachelbeere angehauchten Noten hängen. Auch die Augen trinken mit. Die Flasche steckt in einem ausgehöhlten Brocken finnischen Specksteins. Der lag acht Stunden im Eis und darf ab 18 Uhr befreit den Wein den ganzen Abend lang kühl halten.
Hadziabdic und Kemppainen lernten sich 2008 im „Brandenburger Hof" kennen. Im Restaurant „Quadriga" erkochte Kemppainen einen Michelin-Stern; Hadziabdic war Maître d’hôtel und Sommelier. „Es passte auf Anhieb auf menschlicher und professioneller Ebene", sagt Hadziabdic. Man blieb auch danach in Kontakt. Kemppainen führte mehrere Jahre in Moskau erfolgreich sein Restaurant „Orange Tree", kehrte dann nach Helsinki zurück. Hadziabdic war unter anderem im „Les Solistes" im „Waldorf Astoria Berlin" Maître d’hôtel und Sommelier. Die beiden verabredeten sich im vergangenen Jahr „etwas zusammen in Berlin zu machen", sagt Hadziabdic. So geschah es: Das „Savu" eröffnete Ende April 2018. Der Hotellerie blieben sie mit dem „Savu" indirekt treu: Das Restaurant liegt im Erdgeschoss des Hotels „Louisa’s Place", ist aber eigenständig. Ausgestattet mit finnischer Birke, Moos und klarer Linie, Platz für Wein und einer roten „Feuerwand" als farblichem Akzent ist der Raum für 60 Gäste großzügig dimensioniert.
Wir geben nach Lachs, Risotto, Kabeljau, Flanksteak und Rentier nun dem Dessert gebührenden Raum. „Oh, Mini-Aalto-Vasen", entfleucht es mir beim Anblick der blau schimmernden Dessertschalen. Sie wurden vom finnischen Architekten und Designer Alvar Aalto als kleine Schwestern der berühmten Glasvase entworfen. Sie umwellen ein sehr nordisch-frisches Moltebeeren-Dessert mit einem Tick Flamenco obenauf: Sorbet und Reduktion dieser nordischen „Bodenbrombeere" vereinen sich mit einer Skyr-Pannacotta und Moltebeeren-Baiser. Eine Stange Skyr-Churro macht mit einer dicken, aber feinknusprigen Zimtzucker-Hülle und biskuitartig-fluffiger Textur klar, wer mit viel Olé Chef im Glas sein will. Doch das tellerrunde Mini-Meerrettichblatt, das im Sorbet stakt, ist der heimliche Herrscher: „Erst das Blättchen essen", weist uns Kemppainen an. „Und dann auf der Schärfe des Meerrettichs die Moltebeeren spüren." Genauso ist es. Es bleibt nichts zu wünschen übrig an geschmacklichen Finessen, die zwischen kühlender Frische, Säure und vollmundigem Wohlgefühl hin- und herschwingen.
Koch als „Aufsteiger des Jahres" nominiert
Hätte Sauli Kemppainen nicht ohnehin einen finnischen „Küchen-Oscar", würde ich ihm spätestens jetzt kurz einen verleihen wollen. Die Statue, die in der Glaswand zur Küche ihren Platz fand, hatte ihm ein befreundeter Maître vermacht. „Der Freund hat gesagt, dass der eine gute Atmosphäre bringt und dass er ihn bei mir gut aufgehoben weiß." Das mit der Atmosphäre können wir bestätigen. Mit dem Berliner Kulinarik-Oscar wird man bald sehen – Kemppainen wurde nur wenige Wochen nach der Eröffnung in der Kategorie „Aufsteiger des Jahres" von der Jury der „Berliner Meisterköche" nominiert.