Klimawandel, wachsende Weltbevölkerung und immer größere Megastädte fordern neue Ideen, um die Menschheit satt zu bekommen. Darum geht es in der Ausstellung „Food Revolution 5.0" im Berliner Kunstgewerbemuseum.
Die Welt braucht eine Revolution der Ernährung, so die These der Ausstellungsmacher. Dabei sollen zukünftige Technologien und traditionelle Handwerkstechniken miteinander verbunden werden. Denn das sei zwingend notwendig, sagt Ausstellungskuratorin Claudia Banz. So reichten beispielsweise die Ackerflächen in Deutschland bei Weitem nicht mehr aus, um die Bevölkerung zu versorgen. Auf der anderen Seite sei der Umgang mit Lebensmitteln erschreckend, so Banz: „Pro Sekunde werden 313 Kilogramm frische Lebensmittel weggeworfen."
Um diesen Widerspruch kreist die Schau, in der mehr als 40 internationale Designer ihre Entwürfe, Ideen und Visionen dazu präsentieren, was die Menschheit künftig essen könnte. Zuweilen greifen die Gestalter zu drastischen Mitteln. Das ist gut so, denn es erspart den erhobenen Zeigefinger. Was auf den ersten Blick befremdend wirkt oder schockiert, erscheint bei genauerem Hinsehen spielerisch im positiven Sinn.
„Hatten Sie heute schon Sex mit Blüten?", fragt beispielsweise der niederländische Stadtplaner und Designer Ton Matton die Besucher der Ausstellung. Und zeigt, wie man mit einem feinen Pinsel Blüten bestäuben kann. Denn auf der Terrasse des Kulturforums stehen blühende Apfelbäumchen in Kübeln –allerdings wirken sie pflegebedürftig, schließlich hängen sie im wahrsten Sinne des Wortes am Tropf. Aus Infusionsflaschen sickert giftgrüne Nährlösung.
Die Bäume sind Teil einer Forschungsinstallation mit dem Titel „Don’t sit under the appletree with anyone else but me" (auf Deutsch: Setz dich mit niemand anderem als mir unter den Apfelbaum) – weiße Plastikstühle laden zur kurzen Pause ein. Die scheinbar „pflegebedürftigen" Apfelbäumchen sind dank der Infusionsbeutel bestens für das Überleben im urbanen Raum ausgestattet. Der Tropf macht sie unabhängig von Bodenqualität und Regen. Dünger und Wasser erhalten sie genau nach einem Plan, der optimales Wachstum garantiert. Stadtplaner und Designer Ton Matton geht aber noch einen Schritt weiter – die hier entstehende „urbane Streuobstwiese" soll nach seinen Vorstellungen zum Mittelpunkt einer „Eventkultur" rund um Wachstum und Ernte werden. Vom eingangs erwähnten Bestäuben der Blüten per Pinsel bis hin zur winterlichen Baumschnitt-Party. In eine ähnliche Richtung geht auch das Projekt der Landschaftsarchitektin Katrin Bohn. Sie hat eine ungenutzte Terrasse des Kunstgewerbemuseums gemeinsam mit der Planwerkstatt der Technischen Universität Berlin in einen „essbaren Garten" verwandelt. In ihm gedeihen Erdbeeren, Radieschen und Zwiebeln.
Die Kuratoren der Ausstellung „Food Revolution 5.0" im Berliner Kunstgewerbemuseum haben die teils praxisnahen, teils fantastisch anmutenden Konzepte in vier thematische Blöcke aufgeteilt. Beim Thema Farm geht es um Zucht und Anbau, sei es traditionell oder futuristisch. Auch die Vermarktung wird dabei berücksichtigt. In der Küche hingegen gibt es allerlei Kurioses zu sehen, etwa einen falschen Hasen – statt aus Hackfleisch besteht er aber aus gemahlenen Insekten.
Auf dem Tisch findet sich Geschirr aus verblüffenden Materialien. Hier haben sich Designer mit unseren Essgewohnheiten auseinandergesetzt und auf dieser Grundlage neues Tischgerät entwickelt. Oder sie haben Geschirr aus Materialien entworfen, die wir bislang als Ausgangsstoff für Teller, Tassen und Schüsseln so noch gar nicht auf dem Schirm hatten.
Lecker! Ein falscher Hase aus Insekten
Elegante und schlichte Gefäße gestaltet der Japaner Araki Kosuke zu „Food Waste Ware". Dafür hat er Lebensmittelabfälle in Küchen und Geschäften gesammelt. Von der Eierschale über den Brokkolistrunk bis zum Teebeutel – mit Hilfe von Knochenleim (ebenfalls ein Abfallprodukt) bringt Kosuke die Lebensmittelreste und Abfallprodukte in Form. Zeitlos schöne Schalen, Teller und Becher, denen man ihren Ursprung nicht ansieht, entstehen auf diese Weise. Denn das Geschirr aus Abfall wird mit Urushi überzogen, einem schwarzen Lack. Der japanische Designer begann sein Projekt „Food Waste Ware" zunächst mit einer Dokumentation zum Thema Lebensmittelverschwendung, denn täglich konnte er auf Märkten und in Geschäften erleben, welche Mengen an Nahrung in der Mülltonne landeten. Kosuke legt den Finger in die Wunde, in dem er uns mit Zahlen konfrontiert. 88 Kilo an Lebensmitteln würden selbst Haushalte jedes Jahr in den Müll wandern lassen, die sich des Problems bewusst seien, sagt der Designer.
Auch Fotograf Klaus Pichler hat das Thema Lebensmittelverschwendung aufgegriffen. „One Third" heißt seine Fotoserie, die sich auf eine US-Studie bezieht, nach der ein Drittel der gesamten Nahrungsmittel vergeudet wird, und das vor allem in den Industrieländern. Pichler inszeniert kunstvoll aufgehäufte Erdbeeren in einer prunkvollen Silberschale. Erst bei genauerem Hinschauen merkt der Betrachter, dass der größte Teil der Früchte bereits mit Schimmel überzogen ist.
An einem ganz anderen Punkt setzt der Amerikaner Austin Stewart an. Sein Beitrag zu „Food Revolution 5.0" ist ein ausgestopftes Huhn, auch ein Bewohner der Abteilung Farm. Es trippelt auf einem Ball, den Kopf halb versteckt unter einer Virtual-Reality-Brille. Damit wird der Legehenne in ihrer Minibox in der Massenhühnerhaltung eine artgerechte Umgebung auf einem Bauernhof vorgegaukelt, eine Art „virtuelle Wellness für glückliche Hühner".
Denn das sei ja das Mindeste, das man für die Tiere tun könnte, die uns ernährten, erklärt Stewart die grotesk anmutende Idee. Die natürlich eine bitterböse Replik des Designers auf den Umgang mit Tieren und auf die Lebensbedingungen in den Zuchtanlagen mit teilweise Zehntausenden Tieren ist.
Angesichts schwindender Ressourcen gibt es im Rahmen der Ausstellung mehrere futuristisch bis gruselig wirkende Konzepte für alternative Formen der Nahrungsproduktion. Darunter der „Plantboy" aus dem 3-D-Drucker – eine Idee von Dan Bossin und Tony Pilz. Eine Art „Blumentopf to go" nach dem Vorbild des Gameboys. Eine Taschenpflanze zum Mitnehmen, die natürlich gehegt und gepflegt werden muss. Ein pflanzliches Tamagochi. Das waren die künstlichen Haustiere aus Japan, die gefühlt jeder in den 90er-Jahren besaß.
„Food Revolution 5.0" war bereits in Hamburg zu sehen, ist aber in der Berliner Fassung um einige Projekte und künstlerische Entwürfe erweitert worden. Wie beispielsweise die „urbane Streuobstwiese" vor dem Kunstgewerbemuseum, die sich geradezu perfekt in den Kontext von Urban Gardening, vertikalen Gärten und Gemüseanbau in Restaurants und Supermärkten einzufügen scheint.