Einen Handelskrieg kann keiner gewinnen. Auch der vermeintliche Sieger verliert: Er büßt den technologischen Anschluss ein und bleibt auf veralteten Industrien sitzen, wenn er sich abschottet. Globalisierungsexperte Rolf Langhammer warnt davor, als Reaktion auf US-Präsident Trumps Zollpolitik Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
Herr Langhammer, helfen Sie uns, die Logik dieser Auseinandersetzungen zwischen USA, EU und China zu verstehen. Sind wir denn schon im Handelskrieg?
Wir stehen an der Schwelle eines Handelskrieges. Die Schwelle wird dann überschritten, wenn China nach mehreren Eskalationsrunden im Güterhandel mit den USA beginnt, den Dienstleistungshandel zu behindern. Etwa wenn Peking beispielsweise Lizenzen für das Angebot großer amerikanischer Dienstleistungskonzerne auf dem chinesischen Markt entzieht.
Die US-Regierung hat nun Zölle auf 6.000 Produkte angekündigt, deren Importwert 200 Milliarden Dollar betragen. Das chinesische Handelsministerium sagt, das sei nicht zu akzeptieren. Das Verhalten der USA schade China und auch den Amerikanern selbst. Kennen die Chinesen die amerikanischen Interessen besser als Trump?
Trump arbeitet seine „America first"-Agenda, die er seinen Wählern versprochen hat, konsequent ab. Den mittelfristigen Schaden für die amerikanische Wirtschaft und damit auch für die Arbeitsplätze und das Einkommen der amerikanischen Konsumenten nimmt er in Kauf. Dass dieser Schaden eintreten wird, darin sind sich alle einig, von der chinesischen Regierung bis hin zu den amerikanischen Konzernchefs. Der Schaden verteilt sich auf die gesamte Weltwirtschaft, getreu dem indischen Sprichwort: Wenn sich zwei Elefanten streiten, leidet das Gras.
Können Zölle denn überhaupt Jobs erhalten oder gar neue schaffen?
Wenn überhaupt, dann nur vorübergehend in den von Zöllen geschützten Bereichen und immer auf Kosten anderer Wirtschaftsbereiche. Zölle sind wie eine „regressive" Einkommensteuer, die Arme stärker belastet als Reiche. Sie bewirken, dass mehr in den geschützten Bereichen investiert wird als volkswirtschaftlich notwendig – auf Kosten der nicht geschützten Bereiche. Das verbaut die Zukunft, weil der notwendige Strukturwandel verhindert wird. Ein Beispiel: Ohne die Aufgabe der Produktion einfacher Heimtextilien in Deutschland vor 50 Jahren wäre der Durchbruch von Industrietextilien kaum oder erst sehr viel später gelungen.
Im Krieg, sagt der preußische Kriegsphilosoph Clausewitz, geht es darum, dem Gegner den eigenen Willen aufzudrängen, indem man ihm durch Kampf auf einem Schlachtfeld deutlich macht, dass die Alternativen noch schlechter für ihn sind. Umgangssprachlich: Der eine will den anderen in die Knie zwingen. Gilt diese Logik auch bei Handelskriegen?
Ja, die strategische Handelspolitik argumentiert, dass in einem Handelskrieg die stärkere Partei die schwächere Partei zwingt, auf Zollerhöhungen so zu reagieren, dass sie Exportpreise senkt und damit Einkommensverluste hinnimmt. Dann trägt die schwächere Partei die Kosten der Zollerhöhung. Bei gleichstarken Partnern kann das dann für beide Seiten sehr teuer werden und viel Ineffizienz in den internationalen Handelsaustausch bringen. Um das zu verhindern, hat man Zollsenkungsrunden mit möglichst vielen Ländern erfunden, in denen Handelsbarrieren auf Gegenseitigkeit gesenkt werden.
Das Beharren auf Zollsenkung klingt etwas nach Neuem Testament („Halte die andere Wange hin"). Dabei wäre hier doch eigentlich das Alte Testament einschlägig („Auge um Auge").
Nein, wer so argumentiert, fällt in die Falle des Merkantilismus, die besagt: Exporte sind gut, Importe aber nicht, weil sie Arbeitsplätze kosten. Das ist falsch. Importe machen die Konsumenten reicher und zeigen der heimischen Volkswirtschaft, wo sie im internationalen Wettbewerb steht. In dieser Falle stecken leider fast alle Handelspolitiker.
Wer hat denn überhaupt angefangen? Wirklich Donald Trump? Beginnt ein Krieg immer erst mit dem ersten Schuss oder nicht schon davor?
Jeder hat seine blinden Flecken und alle haben eine lange Liste von Versäumnissen auf dem Kerbholz. Die EU hat ihre protektionistische Agrarpolitik, die Chinesen haben ihren Staatseinfluss auf Unternehmen und ihre erheblichen Subventionen für sogenannte Zukunftsindustrien, die USA behindern den Zugang von ausländischen Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen. Die Liste ist lang und reicht bis zu mangelhafter finanzieller Bildung in Deutschland, wo den Menschen nicht wirklich erklärt wird, wie man effizient spart, so dass genügend Erträge für private Konsumausgaben verbleiben. Trump reagiert, leider, mit ganz untauglichen Mitteln auf den massiven Verlust von Industriearbeitsplätzen in den USA durch chinesische Konkurrenz. Dem amerikanischen Staat und auch den Unternehmen ist vorzuwerfen, dass sie die Betroffenen mit ihren Nöten im „rust belt" alleingelassen haben, ihnen keine Weiterqualifikation vermittelt und sie auch nicht sozial abgesichert haben.
Trump argumentiert ja auch, dass China und Deutschland die Währung manipulierten. Mit gewissem Recht?
Die Vorwürfe an China, ihre Währung mit einer Vielzahl von Maßnahmen unterzubewerten, sind alt. Sie trafen vor zehn Jahren zu, heute nicht mehr. Trump übersieht, dass die USA die Leitwährung halten und dass die Leitwährungsfunktion die angenehme Nebenwirkung hat, dass man seine Schulden mit einem Geld bezahlen kann, dass man selbst drucken kann. Diese Schulden halten die Weltwirtschaft am Laufen, weil sie die nötige Geldmenge schaffen, die für den globalen Handel benötigt wird. Das ist die eigentliche Quelle des Handelsbilanzdefizits. Die Überschussländer halten diese Schulden, damit der Dollar weiter die Leitwährungsfunktion behält. Kurz: Wer Leitwährungsland bleiben will, muss Defizite in der Leistungsbilanz hinnehmen.
Sie haben schon vor Monaten eine Nulllösung für Autozölle vorgeschlagen. Nun kommt auch US-Botschafter Richard Grenell mit der Idee. Aber heißt das nach WTO-Regeln dann nicht automatisch auch Nullzölle für japanische Autos und künftig vielleicht auch für chinesische?
Ja sicher, und das ist auch gut. Mit dem Beharren auf Meistbegünstigung, d.h. dass alle Vergünstigungen allen zugutekommen müssen, stärkt man die globale Handelsordnung. Man entzieht damit bilateralen Kriegen, wie sie Trump liebt, die Basis. Die USA sind dann nur noch ein Partner unter mehr als 160 WTO-Mitgliedern. Grenell hat dies natürlich nicht im Auge. Er ist weiter auf der bilateralen Schiene, die aber nur vereinbar mit der WTO wäre, wenn die TTIP-Verhandlungen für ein umfassendes Abkommen wieder aufgenommen würden. Ich habe Zweifel, dass Trump dazu bereit ist. Er will schnelle Ergebnisse, keine langen Verhandlungen.
Der Welthandel ist ja nur zum kleinen Teil ein Austausch fertiger Güter, sondern vielmehr ein komplexes Geflecht unzähliger halbfertiger Produkte. Wie gefährlich sind Zölle für dieses Netz der Handelsströme wirklich?
Sogenannte „Nicht-tarifäre Handelshemmnisse" sind heute viel wichtiger. Das sind etwa technische Standards und viele andere Diskriminierungen von ausländischen Anbietern „hinter der Zollgrenze". Zölle sind heute nur noch im Agrarbereich und in sehr wenigen Güterbereichen ein wichtiges Hemmnis. Zudem steckt in vielen Zöllen „viel Wasser", wie Ökonomen sagen. Sie können gesenkt werden, ohne dass etwas im Handel passiert, weil andere Faktoren wie Kundenpräferenzen und Servicequalität wichtiger sind als Zölle.
Was droht uns nun?
Das wissen wir nicht. Wir zielen auf ein sich bewegendes Ziel. Vielleicht fallen wir wieder hinter das zurück, was vor einem Vierteljahrhundert in der letzten globalen Verhandlungsrunde zur Liberalisierung des Welthandels, der so genannten Uruguay-Runde, erreicht wurde. Das wäre fatal für viele Länder, für die Menschen und für die Arbeitsplätze.
Wer würde darunter am meisten zu leiden haben?
Es würde die Schwächsten am stärksten treffen. Handelskriege gewinnt man nicht. Alle verlieren, einige mehr, andere weniger. Je kleiner ein Land, desto mehr drohen Verluste, weil diese Länder auf Märkte in anderen Ländern angewiesen sind. Daher glaubt auch Trump, die großen USA könnten einen Handelskrieg leicht gewinnen. Die Erfahrung zeigt, dass sie vielleicht etwas weniger verlieren. Den Technologiewettlauf mit China werden die USA so nicht gewinnen.