Die Digitalisierung verändert die gesellschaftliche Kommunikation in bislang nicht gekanntem Tempo. Geschwindigkeit und Unübersichtlichkeit kratzen an Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Die Standards setzen Konzerne. Trotzdem kein Grund zur Resignation, meint Uwe Conradt, Chef der Landesmedienanstalt Saarland (LMS).
Herr Conradt, die Zeit, da Sender und Empfänger noch zu trennen waren, ist in der digitalen Welt passé. Was macht eine Landesmedienanstalt in einer globalisierten Medienwelt?
Medien haben eine Demokratisierung erfahren. Jeder kann heute Medienanbieter werden – es gibt keine klassische Frequenzknappheit mehr. Es gibt weiterhin die traditionellen Medien, diese stehen im Wettbewerb mit den neuen Anbietern. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, welche Anforderungen die Gesellschaft an Medien hat, die neuen wie die alten, neu zu stellen. Es gibt die professionellen Medien, in denen Journalisten arbeiten, die eine Ausbildung und Qualifikationen haben und die Inhalte verbreiten, um damit Geld zu verdienen. Darüber hinaus gibt es Anbieter, die kein Geld mit Inhalten verdienen wollen, sondern Medien aufgrund von Eigeninteressen verbreiten. Und es gibt die ganz normalen Bürger, die alle aus eigenem Interesse Inhalte verbreiten. Das alles ist Teil von einem Wettbewerb. Die Landesmedienanstalt steht für die Schaffung größtmöglicher Meinungsvielfalt. Das hat auch etwas mit Regulierung zu tun, von den Beteiligungsverhältnissen bei großen Medien bis zu Fragestellungen der Anbieterkennzeichnung im Bereich Social Media.
Dass es mal für Bürgerbeteiligung „Offene Kanäle“ gab, wird heute belächelt.
Damals war das ein großer Sprung. Heute können Menschen mit ihrem Smartphone jederzeit und überall live gehen oder posten. Als man das Thema „Bürgermedien“ aufgerufen hatte, war das noch völlig unvorstellbar. Damals wie heute ist aber auch der Qualifizierungsgedanke ein wichtiger Punkt. Medienkompetenz ist seit 15 Jahren eine wichtige Aufgabe der Landesmedienanstalt. Wir veranstalten im Jahr über 600 Kurse, führen landesweite Projekte wie „Onlinerland Saar“ und „Das Erbe on Tour“ durch und bieten den „LMS-Betaraum“, das Zentrum für digitale Kompetenz, an. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir in diesem Bereich weniger machen sollten. Im Gegenteil: Medienkompetenz ist eine Daueraufgabe mit steigender Relevanz, weil sich die Entwicklung zunehmend beschleunigt.
Die Maßstäbe setzen aber andere, und das gleich global.
Wir haben eine Medienwelt, die ganz wesentlich geprägt ist von fünf großen Anbietern weltweit: Google, Apple, Microsoft, Facebook und Amazon. Diese setzen die Standards in der digitalen Welt. Ob soziale Medien, Informationsrecherche oder Betriebssysteme – die Situation ist praktisch überall gleich, deshalb stellt sich die Frage: An welches Recht halten die sich überhaupt, wenn sie in 230 Ländern aktiv sind? Gilt nachher die Hausordnung bei Google mehr als das Grundgesetz? Ich glaube, dass es auch um die Frage der Demokratie im digitalen Raum geht. Eine demokratische Gesellschaft hat andere Werte als ein totalitäres Regime. Die Fragen unserer Zeit lauten: Was können wir tun, um unsere demokratisch gewählten Institutionen in die Lage zu versetzen, auch morgen noch Demokratie und Freiheit zu verteidigen – auch im digitalen Raum? Wer trägt die Verantwortung für das, was im Digitalen geschieht? Wer setzt die Regeln? Wer schützt uns?
Wo sehen Sie da die Rolle der Landesmedienanstalten?
Wir hatten immer schon eine Aufsichts- und Schutzfunktion, und die bleibt unverändert in der heutigen Zeit: Einhaltung des journalistischen Sorgfaltsgebots, Jugendschutz und Schutz der Menschenwürde, Trennung von Werbung und Programm … Was die Internetriesen angeht, kann man sagen, dass die Medienanstalten in Kontakt stehen und wir uns auch mit Blick auf die sogenannte Plattformregulierung mehr Kompetenzen zum Schutz der Vielfalt wünschen.
Sind diese interessengeleiteten Darstellungen nicht Teil des demokratischen Wettbewerbs?
Natürlich gibt es eine Tendenzfreiheit – auch in den Medien. Trotzdem haben wir in der Bundesrepublik einen Konsens in der Gesellschaft, dass wir große Medien im Bereich des öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunks und der freien Presse haben, die sich selber einem Mindestmaß an Ausgewogenheit verschrieben haben und eine möglichst breite Berichterstattung machen. Das trägt in einer Gesellschaft auch zum Verständnis für andere Gruppen und zum sozialen Frieden bei. Wenn aber das eine, die Berichterstattung unter Qualitätskriterien, durch das andere, nämlich reine Tendenzmedien, ersetzt wird, müssen wir davon ausgehen, dass es in einer Gesellschaft immer stärker zu einer Radikalisierung kommt, weil es immer weniger Verständnis für den anderen gibt. Und wahrscheinlich ist das das Neue: Man kann günstig produzieren und Meinungen verbreiten, und je radikaler und emotionaler eine Meinung verbreitet wird, umso besser funktioniert der Algorithmus im Sinne der Reichweite. Je ausgewogener, sachlicher und objektiver ich mich einem Thema nähere, umso weniger Emotionen rufe ich hervor. Und das ist ein Problem im Wettkampf der Nachrichten. Im Web verliert oft das Sachliche und Geprüfte.
Spätestens seit den US-Wahlen ist der Versuch staatlicher Einflussnahme auf Meinungsbildung in einem anderen Land viel diskutiertes Thema. Wie viel Übertreibung und wirkliche Gefahr liegen darin?
Der Versuch, in anderen Ländern Einfluss zu nehmen, ist nichts Neues, das hat es immer schon gegeben. Neu sind nur die Instrumente, die sehr viel einfacher und schneller sind. Problematisch sind die Grauzonen, die es gibt. Man weiß oft nicht genau, ob staatlicher Einfluss dahinter steht, weil Mittelsmänner eingeschaltet sind. Deshalb kann man oft nur vermuten, dass das Geld aus staatlichen Quellen kommt, kann es aber nicht wirklich beweisen. Die andere Frage ist: Wie schützen wir uns vor Angriffen von außen, und wie angreifbar sind wir?
Ist in dieser Beziehung der Zug nicht längst schon abgefahren?
Meiner Einschätzung nach haben wir als Gesellschaft versagt. Wir haben es nicht geschafft, die potenziellen Risiken ausreichend zu sehen und zu handeln, als es noch leichter gewesen wäre. Im Übrigen ist das in nahezu allen anderen Ländern genauso. Die Frage, wie wir als Gesellschaft im digitalen Raum wieder Handlungskompetenz erlangen, ist eine der Grundfragen für die Zukunft der Demokratie. Deswegen ist es wichtig, dass wir als Behörde natürlich mit den Anbietern im Gespräch sind, aber eben auch schauen, dass Recht durchgesetzt wird. Eins ist klar: Ein Teil der Rechtsverstöße im Netz wird auch billigend in Kauf genommen. Wir werden die Anbieter darauf aufmerksam machen. Die Einrichtung eines Adressen- oder Impressumfeldes wäre eine der ersten Maßnahmen. Denn klar ist: Alle Ansprüche, die ich nach dem Medienrecht hätte, wenn etwa jemand über mich etwas Falsches behauptet, kann ich ja gar nicht durchsetzen, wenn ich nicht weiß, wer das ist. Gegendarstellung, Widerruf, Unterlassung sind grundsätzlich auch im Netz durchsetzbar, aber Sie müssen eben wissen, gegenüber wem.
Wieso sind solche Dinge nicht oder nur so mühsam durchzusetzen?
Die Kartellverfahren der EU gegenüber Google zeigen, dass es möglich ist, selbst gegen die großen Anbieter vorzugehen, aber wenn Europa wieder aufs Spielfeld zurückkommen will, muss es eigene Plattformen schaffen. Hierzu muss man erst mal wissen, was Plattform-Ökonomie überhaupt ist, und warum es so ist, dass sich in diesen Märkten immer wieder natürliche Monopole entwickeln. Dies gilt auch für die Medienregulierung in den Nationalstaaten. Hier stehen wir insgesamt noch am Anfang, weil die Entwicklung verhältnismäßig schnell kam und aus einer anderen Richtung. Die Medienaufsicht hat zunächst auf die klassischen Veranstalter geschaut und hat die Plattform- und Betriebssystemanbieter nicht im Blick gehabt.
Aber was, wenn Sie sagen: Das, was Apple anbietet, gefällt mir nicht, das von Google auch nicht. Und dann?
Das, was theoretisch ginge, ist keine realistische Option, wenn man sich die Alternative, nämlich nicht teilzunehmen, ansieht. Wir brauchen daher eigene Angebote und die werden es nur auf den Markt schaffen, wenn den marktbeherrschenden Unternehmen ein Regulierungsregime entgegengesetzt wird, das ihre Marktmacht begrenzt. Also nicht wie beim Datenschutzrecht, das in absurder Weise alle gleich behandelt und damit die großen Anbieter noch größer werden lässt. Die Angst der kleinen Anbieter, der Vereine vor dem neuen Datenschutz hat zur Abschaltung zahlreicher Webseiten geführt, und Facebook hat parallel die Gesichtserkennung eingeführt. Ich sage das ganz offen: Die Datenschutzgrundverordnung ist unbeabsichtigterweise ein großer Anschlag auf die Presse- und Medienfreiheit.
Wo könnte man Hebel bei dieser Marktmacht ansetzen?
Eigentlich müssten die Großen wie Whatsapp auch anbieten, dass ich teilnehmen kann, ohne Whatsapp zu haben, eben weil sie so marktstark sind. Erst dann entsteht wieder ein Markt. Genauso wie Sie mit einem Telekom-Vertrag auch jemanden anrufen können, der einen Vodafone-Vertrag hat. Wir praktizieren das also bereits in anderen Bereichen. Es müsste also so sein, dass ich ab einer bestimmten Marktmacht entsprechende Schnittstellen anbieten muss. Das heißt, wir haben es eigentlich mit einem Klassiker des Marktversagens zu tun. Ich bin ein Freund des Grundgesetzes und der Marktwirtschaft und deshalb für eine Regulierung, die es ermöglicht, dass Wettbewerber auch noch einmal eingreifen können.
Noch mal zurück zur Impressumspflicht. Wie könnte so etwas praktisch aussehen?
Derzeit gilt für fast jeden Social-Media-Nutzer die gesetzliche Pflicht zur Anbieterkennzeichnung. Die Angabe des Namens und der ladungsfähigen Adresse ist heute eine gesetzliche Pflichtangabe, bei deren Missachtung ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro fällig werden kann, mindestens aber ein Verwarngeld. Hier wäre eine Angleichung der Regulierung an den Autoverkehr wünschenswert. Auch dort gibt es eine Anbieterkennzeichnung, das Nummernschild. Der Medienteilnehmer ist – entgegen der geltenden Gesetzeslage – heute oft anonym unterwegs, was auch zu entsprechendem Verhalten führt. Wenn Sie als Verkehrsteilnehmer kein Kennzeichen am Auto hätten, würden Sie sich auch im Verkehr anders verhalten. Auf dem Nummernschild stehen übrigens auch nicht Ihr Name und Ihre Anschrift. Für kleine Social-Media-Nutzer, die, sagen wir, lediglich 5.000 Follower haben, bei denen man also grundsätzlich annehmen könnte, dass sie nicht geschäftsmäßig im Netz unterwegs sind, könnte man beispielsweise so was wie ein Nummernschild vergeben. Der Anbieter hinterlegt entsprechend seinen Namen und seine Adresse bei einer öffentlichen Registrierung und erhält dafür die Kennzeichnung. Seine Daten bekommt dann nur jemand bei berechtigtem Interesse, also etwa bei möglichen Gesetzesverstößen.
Ist das Hauptproblem im Umgang mit den digitalen Medien die Geschwindigkeit?
Für mich ist nicht nur die Geschwindigkeit das Problem, sondern dass wir in einem Dauerfluss neuer Nachrichten leben. Die Frage ist: Bleibt uns da noch die Zeit für Selbstreflexion? Und wie viel Zeit gönnen wir uns selbst noch zur Einordnung? Das gilt für Journalisten, die immer schneller Nachrichten produzieren müssen, um die Ersten zu sein. Das gilt aber auch für den normalen Nutzer. Das andere ist: Was macht das eigentlich mit einem, wenn man permanent gefühlt neue Nachrichten bekommt und sich irgendwann die Frage stellt: Wie war das eigentlich noch vor drei Tagen? Das ist eigentlich schon eine grundlegend philosophische Frage. Wir leben immer nur im Jetzt. Und dieses Jetzt ist nicht mehr in einen Kontext eingebunden. Und das hat dann auch etwas mit Aufmerksamkeitssteuerung zu tun, wenn die digitale Welt immer neue Nachrichten produziert.
Und sie produziert auch Fake News. Aber auch die gab es eigentlich doch schon immer, ebenso wie gesteuerte Nachrichten. Was ist daran jetzt so viel bedrohlicher?
Wer Fake News bewusst und vielleicht sogar professionell produziert, weiß eben auch, wie seriöse Medien arbeiten, etwa mit unterschiedlichen Quellen. Das wird dann übernommen, es werden unterschiedliche Quellen präsentiert. In der Geschwindigkeit, mit der das abläuft, kann man dann kaum noch die Existenz und Glaubwürdigkeit dieser angeblichen Quellen überprüfen. Damit ist die Wahrheit in Gefahr. Und dann stellt sich die Frage, was es mit einer Gesellschaft macht, wenn man sich ständig nicht mehr sicher sein kann, was wirklich stimmt. Was dazu kommt, ist der Vertrauensverlust gegenüber den traditionellen Medien. Das führt schließlich dazu, dass es Menschen gibt, die Inhalten, die nicht aus offiziellen Medien kommen, allein schon deshalb eine höhere Glaubwürdigkeit beimessen. Und das ist ein Angriff auf unsere Gesellschaft und unsere Demokratie, den wir sehr ernst nehmen müssen. Eine weitere Frage ist: Wie selbstbestimmt sind wir eigentlich noch, wenn alle, die uns etwas verkaufen wollen, sei es Unterhaltung, Werbung oder Produkte, den Raum komplett einnehmen, und seriöse Informationsangebote, die auch Aufmerksamkeit brauchen, Schwierigkeiten haben, sich durchzusetzen? Da könnte man schon die Frage stellen, ob wir nicht so etwas wie „Drittsendezeiten“ für Qualitätsjournalismus im digitalen Raum brauchen, damit jemand zumindest einmal am Tag die wichtigsten Meldungen aus der Welt, der Bundespolitik oder seinem Bundesland angezeigt bekommt. Es geht darum, wie sich eine Gesellschaft entwickelt, wenn es am Ende keine gemeinsame Informationsbasis mehr gibt.
Was kann eine Landesmedienanstalt dabei leisten?
Zunächst einmal Bildungsarbeit, damit Menschen unterscheiden können. Das Zweite ist: Große Anbieter haben eine Verantwortung. Der Algorithmus ist nicht neutral. Wenn dort Fake News besser laufen als sachliche Informationen, was wir nachweisen können, dann müssen wir darüber reden, wer hier eigentlich die Verantwortung trägt. Wenn Sie bei einer Zeitung arbeiten, haben sie einen Redakteur, Chefredakteur, Verleger. Es gibt eine Verantwortungskaskade. Das gibt es im Netz so nicht. Man muss als Gesellschaft vorsichtig sein mit Macht, in diesem Fall mit Marktmacht. Es geht immerhin um die wertvollsten Unternehmen der Welt. Und wenn die ihre Standards zum generellen Standard in der digitalen Welt machen, wird es problematisch. Das ist eben nicht wie bei DIN-Normen, wo man sich zusammensetzt und Standards verabredet. Die Gretchenfrage in Europa ist: Wie komme ich wieder aufs digitale Spielfeld zurück? Ich sage es mal so: Keine Angst vor den großen Anbietern. Wir müssen als demokratische Gesellschaften selbstbewusst sein. Wir haben in Europa eine große Vielfalt und Qualität. Wenn wir die ausspielen, haben wir eine Chance.