Schauspielern an der Grenze des Machbaren: Robert De Niros Weg, mit seinen Figuren eins zu werden, führt bei ihm über das sogenannte Method Acting.
Für „Wie ein wilder Stier" war er Boxer, für „Taxi Driver" ein New Yorker Taxifahrer. Leb das Leben deiner Charaktere – das könnte das Motto gewesen sein, mit dem der junge Robert De Niro an die Arbeit ging. Die Versessenheit, mit der er sich gerade in der Anfangszeit seiner Karriere mit jeder seiner Figuren beschäftigte, war sein Schlüssel zum Erfolg.
Ende der 60er-Jahre war das Kino im Wandel. Immer noch gab es die großen Hollywood-Produktionen, die in der Tradition des Theaters standen. Generationen von Schauspielern hatten gelernt, Gefühlszustände übertrieben darzustellen. Bereits in den 20ern war die Idee aufgekommen, die Darstellungen realistischer zu machen. Aber erst mit Marlon Brandos Rolle als rauer Ehemann Stanley Kowalski in „Endstation Sehnsucht" aus dem Jahr 1951 wurde diese Form des Schauspielens einem breiten Publikum bekannt.
Um 1970 herum hatte sich eine Reihe junger Regisseure zum Ziel erklärt, das reale Leben auf die Kinoleinwand zu bringen. Zu ihnen gehörte Martin Scorsese. Diese Regisseure drehten ihre Filme zu einem großen Teil nicht mehr im Studio, sondern an echten Schauplätzen. Und sie wollten eine realistische Darstellung von Gefühlen. Sie wollten menschliche Emotionen so zeigen, wie wir sie wirklich erleben. Die Technik des „Method Acting", der Robert De Niro sich ebenso wie eine Reihe anderer damals junger Schauspieler – unter ihnen Dustin Hoffman und Jack Nicholson – verschrieben hatte, versprach eine derartige Darstellung.
Eine neue Form des Darstellens
Die Technik geht auf den russischen Schauspieler und Regisseur Konstantin Stanislawski zurück; in den USA bekannt gemacht haben die Technik Lee Strasberg und Stella Adler. Die Grundidee ist, dass ein Schauspieler seine Erinnerungen an Situationen dazu nutzen kann, um Gefühle aus seiner Vergangenheit wieder zu aktivieren und sie erneut zu durchleben. Um das Erleben einer Figur in einer bestimmten Situation darzustellen, versucht sich der Schauspieler an ein Ereignis zu erinnern, bei dem er ähnliche Gefühle gehabt hat. Er stellt sich die Situation in allen Einzelheiten vor, malt sich etwa die Umgebung aus, in der er sich damals befunden hat. Dadurch werden, so der Gedanke, sich auch die Gefühle von damals wieder einstellen und der Schauspieler in der Lage sein, sie realistisch wiederzugeben. Eine weiterentwickelte Form dieser Technik lehrte die Schauspieltrainerin Stella Adler, bei der De Niro unter anderem Unterricht nahm. Sie vertrat die Auffassung, dass die Schauspieler nicht nur eigene Erinnerungen für die Darstellung von Gefühlszuständen verwenden sollten, sondern sich auch durch die von den anderen Schauspielern dargestellten Gefühle leiten lassen sollten.
Oft wird mit dem Begriff „Method Acting" auch die akribische Vorbereitung in Verbindung gebracht, mit der sich De Niro insbesondere in den ersten Jahrzehnten seiner Karriere in jede seiner Figuren hineinversetzte. Diese Art der Vorbereitung gehört zwar nicht direkt zu den von Lee Strasberg und Stella Adler empfohlenen Techniken, passt aber sehr gut zu der Überzeugung, dass eine Darstellung so realistisch wie möglich sein und dass der Darsteller in seine Figur hineinwachsen sollte.
Die extrem aufwendige und bis an die Grenze des körperlich zumutbaren gehende Vorbereitung seiner Rollen zieht sich durch die ersten Jahrzehnte von De Niros Karriere. In der Vorbereitungszeit für „Der Pate ‒ Teil II" aus dem Jahr 1974 – in dem er den jungen Vito Corleone spielt – zog er nach Sizilien und eignete sich mehrere lokale Dialekte an. Außerdem trainierte er sich eine ganze Reihe von Eigenheiten in der Bewegung an, die bereits Marlon Brando – der im ersten Teil der Reihe den älteren Vito Corleone spielte – vollführt hatte und die für die Figur als typisch anzusehen waren. Um sich auf seine Rolle als Ex-Soldat Travis Bickle in dem Film „Taxi Driver" von 1976 vorzubereiten, machte De Niro einen Taxischein und fuhr drei Monate lang Zwölf-Stunden-Schichten in New York. Selbst während Drehpausen soll er weiter Fahrgäste kutschiert haben. Außerdem machte er die körperlichen Veränderungen seiner Hauptfigur mit, die erst körperlich schlapp ist, dann aber trainiert und stärker wird.
Präferiert zerissene, verlorene Figuren
Der im Jahr 1980 herausgekommene, unter der Regie von Martin Scorsese entstandene Film „Wie ein wilder Stier" erzählt vom Aufstieg des Boxers Jake LaMotta zum Weltmeister im Mittelgewicht und seinem anschließenden Abstieg. Um sich auf seine Rolle vorzubereiten, betrieb De Niro einen Aufwand, der sogar für seine Verhältnisse ungeheuerlich war: Ein Jahr lang trainierte er Boxen. Dabei ließ er sich unter anderem von dem echten Jake LaMotta anleiten, dem er in einem Sparringskampf einen Zahn ausschlug. Doch damit nicht genug. Um sich in die Situation eines Boxkampfes hineinfühlen zu können, stand er bei drei professionellen Kämpfen im Ring, von denen er zwei gewann. LaMotta soll sich sehr anerkennend über De Niros Box-Fähigkeiten geäußert haben. Das Ergebnis der akribischen Vorbereitung sind Boxszenen im Film, wie man sie vorher noch nicht gesehen hatte: Wir sehen das Wasser, den Schweiß und das Blut. Sehen, wie die Fäuste des Gegners im Gesicht von De Niro landen. Die Kamera ist immer ganz nah dabei, zeigt den Sport in seiner ganzen Brutalität.
Brutal ging Robert De Niro mit seinem Körper in jeder Hinsicht um: Direkt nachdem die Boxszenen des Films abgedreht waren, fraß er sich innerhalb von vier Monaten 28 Kilo Gewicht an, um den 20 Jahre älteren, übergewichtigen Boxer darstellen zu können. Das Resultat ist beängstigend, die Verwandlung innerhalb derart kurzer Zeit kaum zu glauben.
Weder Travis Bickle noch Jake LaMotta sind positive Figuren. Gerade aber in die zerrissenen, verlorenen Figuren hat sich Robert De Niro besonders intensiv hineinversetzt. Wie weit er dabei bereit war zu gehen, zeigte er bei der Vorbereitung auf den Psychothriller „Kap der Angst", der 1991 in die Kinos kam. In dem Psychothriller spielt er den verurteilten Vergewaltiger Max Cady, der nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis brutale Rache an seinem ehemaligen Anwalt und dessen Familie nimmt. Um Cady, der nach und nach der Familie das Leben zur Hölle macht, noch bedrohlicher werden zu lassen, ließ er einen Zahnarzt seine Zähne herunterschleifen.