Unterschnitzelt oder kaiserschmarrnfrei muss das Restaurant „Zum Dritten Mann" im Prenzlauer Berg wahrlich niemand verlassen. Björn Nitz setzt auf die Ideen seines Teams, um im Kollwitzkiez zeitgenössische Wiener Küche auf die Teller zu bringen. Das Resultat: gegen den Strich gebürstete Gerichte, die das Original immer durchscheinen lassen.
Aber ich hatte gedacht, wir essen noch so richtig Wiener Schnitzel", rief der begleitende Freund aus, der allerdings erst mit erheblicher Verspätung zum Essen im „Zum Dritten Mann" eintraf. Da war ich schon mit der gegrillten Melone mit gratiniertem Ziegenkäse zur Vorspeise durch und hatte mit Inhaber Björn Nitz die weiteren Gänge des abendlichen Menüs festgelegt. Doch was soll frau machen, wenn der Begleiter nach Lachscarpaccio, Rindertafelspitz und Kaiserschmarrn immer noch nach Schnitzel verlangt? Von großem Appetit ausgehen und beim Service beherzt ein – allerdings kleines – Wiener Schnitzel mit Erdäpfel-Radieser- und Gurkensalat nachordern.
Das erweist sich als fein geklopftes und gut gewürztes Kalbsschnitzelchen mit Oversize-Kruste in Bhatura-Optik. Es lässt sich tatsächlich leichtfüßig und genüsslich verputzen. Der Begleiter gabelt im lauwarmen Kartoffelsalat, der durch die Radieschen gebührende Pikanterie erhält. Ich nasche vom mit Rahm angemachten und mit schwarzem Sesam asiatisch angepunkteten Gurkensalat, der mit Frische und so gar nicht wässrig daherkommt. „Unser Schnitzel kann man auch an einem Sommerabend essen", sagt Susann Beetz. So ist es. Wir haben an der kleinen platzartigen Kreuzung von Sredzki- und Kollwitzstraße lange in der Wärme draußen gesessen. Sollte die „seit sieben Jahren gute Seele des Ladens", wie Björn Nitz seine Nummer eins aus dem Service nennt, ob unserer ungewöhnlichen Nachbestellung und Gerichte-Sortierung irritiert gewesen sein, lässt sie es sich nicht anmerken, sondern freut sich mit uns über den späten, aber gelungenen Zusatzgenuss. Ist der Gast glücklich, sind’s Service und Küche ebenso – womit auch immer.
„Alte Gerichte in die neue Zeit holen"
So ein kross und goldgelb ausgebratenes und geplättetes Schnitzelchen auf dem Teller trägt jedenfalls einen erheblichen Teil dazu bei. Doch selbst wenn’s nicht gerade der klassischste Klassiker der österreichischen Küche sein soll, werden die Gäste froh. Mich überraschte etwa die Vorspeise, eine Kombination aus angegrillter Wassermelone mit einem Taler karamellisiertem, cremigem, aber nicht zu mildem Ziegenkäse. Der Salat mit Wildkräutern und Zuckerschoten mit Meersalz geben dem Teller sommerliches Flair. Die fruchtige Melonensüße und die vollere des Honigs halten die Durchsetzungskraft vom Käse gemeinsam in Schach. Marco Willrodt interpretiert als Küchenchef seit eineinhalb Jahren mit seinem Team, was er und Björn Nitz sich unter „neuer Wiener Küche" vorstellen. Letzterer wurde in seinen sechs Jahren als Küchenchef im „Schoenbrunn" zum Experten für Österreichisches. „Wir holen die alten Gerichte in die neue Zeit", sagt der 46-Jährige, der das nach dem in Wien spielenden Thriller benannte Restaurant „Zum Dritten Mann" seit beinah zehn Jahren betreibt. Die Zeitreise sieht für einen Tafelspitz so aus: Er wird nicht mehr in Brühe serviert, sondern thront als zur Tüte gewickelte Scheibe auf einem Erdäpfel-Kräuterstampf. Apfelkren-Schaum umhüllt das Fleisch. Das ist elegant und wohltuend: Die Luftigkeit lässt die Aromen einzeln feiner und präsenter hervortreten. Die Schärfe weht wie ein leichter Hauch übers Fleisch und über die Geschmacksknospen. Rübchen durchlaufen eine Metamorphose von „Bouillongemüse" zu weißen, gelben und orangefarbenen Blüten, die dekorative Farbakzente um das Tafelspitz-Türmchen setzen.
Bei aller Liebe zum Neuzeitlichen ist der Gast doch manches Mal recht konservativ und verlangt nach lieb gewordenen Produkten oder Gerichten. Der Ruf nach Pfifferlingen schallte Anfang Juli bereits durch den Gastraum. „Wir wollten im Prinzip nur deutsche Pfifferlinge anbieten, aber damit dauerte es halt noch ein Weilchen", erzählt Marco Willrodt. Wo keine Feuchtigkeit, da keine Pilze. Das kann selbst der gewiefteste Gastwirt bei Waldpilzen nicht ändern; in einem so trockenen Sommer schon mal gar nicht. Trotzdem sind Pfifferlinge eingetroffen, und das Team tobt sich mit ihnen auf der Abendkarte aus. So gibt es nun Pfifferlinge mit Fleisch vom Duroc-Schwein und gebratener Polenta, aber auch etwa Zanderfilet mit lila Kartoffelstampf. Wer sich durch die Pfifferlingskarte hindurchessen will, kann das mit drei Gängen im Menü für 30 bis 35 Euro oder vier Gängen für 40 bis 45 Euro tun. Die Hauptgerichte kosten einzeln zwischen 12 und 22 Euro. Die Karte hält auch Gerichte für Vegetarier parat, die mit Kaspressknödeln oder Spätzle gut zurechtkommen. Nur Veganer müssen sich vorher melden, damit entsprechend zubereitet werden kann. Wer tagsüber speisen will, hat die Auswahl zwischen verschiedenen, nach österreichischen Städten benannten Frühstücken; mittags gibt’s wiederum eine spezielle Karte. Bei so einem breiten Spektrum von Produkten und Gerichten sind alle Mitarbeiter und Azubis gefragt, ihre Ideen einzubringen. „Die Azubis schicken abends zum Beispiel die Vorspeisen", sagt Küchenchef Willrodt. Sie lernen unter seiner Anleitung, dass alles „echt" ist, was sie lernen und dem Gast servieren. Das sei auch ein Beitrag dazu, als Ausbildungsbetrieb und Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, sagt Björn Nitz. Denn Fachkräfte fehlen immer mehr, wie beinah überall in der Gastronomie. Erst vor wenigen Wochen konnte Nitz dienstags wieder öffnen – nachdem ein neuer Koch gefunden war. Viele aus dem 15-köpfigen Team sind dem „Zum Dritten Mann" wiederum treu verbunden: „Ich bin stolz auf meine Leute. Sie tragen alles mit, und ich kann mich auf sie verlassen, wenn ich nach Hause gehe."
Vorspeisen-Ideen von den Azubis
Wie wir sehen, klappt das mit den Azubis und den Vorspeisen prima: Der Fjordlachs wickelte sich in Kürbiskernmayo und präsentiert sich in Schneckenhaus-Optik im Querschnitt. Ein Linsensalat zieht viel Geschmack aus einer kräftig abgeschmeckten Limetten-Vinaigrette. Zitronenmayonnaise-Tupfen tun das ihre, um mit ausgeprägter Säure kontrastreich wohltuend zu wirken. Österreichische Basics wie der Apfelkren zum Tafelspitz oder das Kürbiskernöl in der Mayonnaise gucken im Restaurant gern in ungewohnter Verarbeitung um die Ecke – Felix Austria wurde gründlich entstaubt. Von Museumsküche ist bei aller Sehnsucht nach den glücklich machenden österreichischen Speisen im „Zum Dritten Mann" so gar nichts zu spüren. Da wir nicht mehr ausschließlich in K.u.k.-Gefilden weilen, folgen wir Susann Beetz‘ Weinempfehlung: Ein dichter, fruchtiger, aber keineswegs süßer Rheinhesse darf ins Glas. Der Graue Burgunder vom Weingut Müller-Dr. Becker ist uns den ganzen Abend lang eine gute weiße Gesellschaft. Offen ist er für 6,80 Euro im 0,2er-Glas oder für 24 Euro als ganze Flasche erhältlich. Angenehm: Das Spektrum der 14 offenen Weine reicht ganz selbstverständlich vom 0,1-Liter- über das 0,2er- und 0,5er-Format bis zur ganzen Flasche und vom Weißen, Roten und Rosé bis zum Dessertwein. Wir haben uns tatsächlich mit dem Rheinhessen eine der Ausnahmen von der Regel herausgepickt: Beinah alle Weine stammen aus österreichischen Weinregionen – vom Burgenland bis zur Thermenregion, von Wagram bis zum Neusiedler See.
Eigentlich hätten wir uns mit dem kross gebackenen Kaiserschmarrn mit Zwetschgenkompott und einer Kugel Vanilleeis mehr als ordentlich beglückt verabschieden können. Ist doch die kleine Mehlspeise mit ankaramellisierter Oberfläche und ordentlich Rosinen im Teig genau das, was zum frohen Servus und zum Wiederkommen gereicht hätte. Wäre da nicht der unterschnitzelte Begleiter gewesen! So gibt’s für mich noch ein Praliné vom Wiener Schnitzel zum Espresso. Der Freund bestätigt, was Björn Nitz seit vielen Jahren beobachtet hat: „Der Berliner ist definitiv ein Schnitzeltier, und Berlin ist, warum auch immer, die Hauptstadt des Schnitzels."