Sie sind sauber, praktisch und kostengünstig – Lastenfahrräder erfreuen sich steigender Beliebtheit. Vor allem in Großstädten haben sie viele Vorteile gegenüber Autos. Das haben inzwischen auch Wirtschaft und Politik erkannt.
„Wir in Deutschland müssen zugeben, dass wir besser werden müssen" – selbstkritische Worte von Kanzlerin Angela Merkel auf dem Petersberger Klimadialog. Denn die Klimaziele, die sich Deutschland gesetzt hat, werden wohl verfehlt, und das nicht nur knapp, sondern ganz erheblich. Eines der Hauptprobleme sieht Merkel im Straßenverkehr: Abgase von immer mehr Fahrzeugen sowohl aus dem Transit- wie auch dem innerdeutschen Lieferverkehr treiben den CO2-Ausstoß in die Höhe. Während die Bundesregierung noch um ein Klimagesetz ringt, tut sich jedoch im Kleinen schon einiges. Gerade in den Städten – vom Kooperationsprojekt mit großen Lieferunternehmen bis hin zur Förderung von Alternativen zum motorisierten Individualverkehr.
Beispiel Berlin: Dort verlagert sich – probeweise erst mal in einem Stadtteil, dem Prenzlauer Berg – die Zustellung von Päckchen und Paketen von vier auf drei Räder. Berlin folgt damit seit Anfang Juni anderen Städten mit dem Pilotprojekt „KoMoDo". Der Clou ist, dass fünf der Großen aus der Logistikbranche – DHL, DPD, GLS, Hermes und UPS – eine gemeinsame Abholstation nutzen, von der aus sie Waren auf den letzten Kilometern bis zum Kunden per Lastenfahrrad transportieren.
„KoMoDo", das steht für „Kooperative Nutzung von Mikro-Depots durch die Kurier-, Express-, Paket-Branche für den nachhaltigen Einsatz von Lasträdern". Das Projekt hinter dem Bezeichnungs-Ungetüm soll helfen, Lärm- und Schadstoffemissionen ebenso einzudämmen wie den stetig wachsenden Flächenverbrauch für Straßen und Parkplätze.
Aber auch jenseits der Logistikriesen tut sich was in Sachen Transportrad: Im Berliner Stadtteil Charlottenburg läuft seit April dieses Jahres parallel zu „KoMoDo" das Projekt „Distribute – E-Lastenfahrräder als grüne Kiezlieferanten". An zwei Standorten können verschiedene Modelle von Lastenrädern ausgeliehen werden. Die stehen dann kostenlos für Liefer- und Transportfahrten zur Verfügung, ein entscheidener Vorteil auch für kleine Unternehmen.
Das Ziel, den Verkehr im Viertel zu entlasten, unterstützen rund um Klausnerkiez und Mierendorff-Insel zahlreiche Partner aus Wissenschaft, Verwaltung und Wirtschaft. Auch wissenschaftliche Begleitung fehlt nicht, die TU Berlin ist mit am Start. „Es stehen zwei verschiedene Modelle zur Verfügung", erklärt Diplom-Ingenieur Florian Hutterer. „Das einspurige Rad besitzt durch eine große Transportbox mehr Ladekapazität; das Dreirad ist ein gut für die Freizeit zu nutzendes Modell und wird auch mit Kindersitz ausgeliehen."
Ausleihen, für den privaten Gebrauch: Das geht in Berlin bei verschiedenen Anbietern. Beim ehrenamtlichen Projekt „Freie Lastenradler" oder bei „fLotte Berlin" bekommt man sein Leih-Lastenrad auch kostenlos. „fLotte" ist ein Projekt des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs ADFC Berlin. Da haben die Räder sogar Namen wie Luise, Lukas oder Frieda.
Die Auto-Alternative macht richtig Spaß
Eine gute Entwicklung – es ist ja noch gar nicht so lange her, da wurden Leute mit Lastenrädern milde oder auch spöttisch belächelt. Das noch immer beliebte „Christiania-Rad", ein dreirädriges Gefährt mit einem braunen Kasten vor dem Lenker, wurde in den 80er-Jahren im Freistaat Christiania in Kopenhagen entwickelt und kam bald in anderen alternativen Wohnkommunen gut an. Inzwischen gibt es auch bei Lastenrädern „Trabis" und „Porsches". Vom Alternativ-Velo bis zum Bike mit Elektroantrieb reicht die Palette. Natürlich ist der Fußbetrieb ökologisch und ökonomisch gesehen bisher unschlagbar. Aber der Trend geht zum elektrischen Fahrrad, dem E-Bike, da sich zunehmend auch kleinere und größere Unternehmen von den Vorteilen eines Lastenrades überzeugen lassen.
Das Interesse ist groß. Und gerade auch von ausleihbaren Hightech-Rädern scheint eine gewisse Faszination auszugehen, wie Rolf Mienkus vom Charlottenburger Insel-Projekt weiß. So ganz einfach ist es zu Beginn nicht, mit drei Rädern und Elektroantrieb klarzukommen. Er rät deswegen allen, zuerst einige Proberunden zu drehen, um ein Gefühl für die Räder zu bekommen. „Wenn wir feststellen, dass jemand sehr zögerlich mit dem Rad umgeht, händigen wir es nicht aus. Die Gefahr ist zu groß, sich oder anderen Schaden zuzufügen", warnt er. Es gebe auch spezielle Lastenfahrradtrainings für die Einsteiger.
Auch in Eigeninitiative geht es weiter mit der Verbreitung und Weiterentwicklung der Lastenesel für die kürzere Strecke: Interessierte basteln zusammen an einer Transportbox, an einer Abstellbox für die Räder oder einem flexiblen Buchungssystem für die Leih-Varianten. Und schon entsteht ein Lastenrad-Prototyp mit vier Rädern und Anhänger namens „Icai" – gedacht für Transporte bis zu 300 Kilogramm Zuladung, getestet und für gut befunden von einem Brandenburger Bio-Lieferdienst auf Touren nach Berlin. Und auch Do-it-yourself-Künstler kommen auf ihre Kosten: Wem das normale familientaugliche Lastenrad reicht, der kann es sich nach Internet-Anleitung selber bauen.
Die Idee „Lastenrad statt Auto" zieht. Und ein großes Ziel schiebt von anderer Seite: Die EU will bis 2030 den CO2-Ausstoß entscheidend verringern. Das setzt die Kommunen unter Druck. Bundesweit gibt es deswegen aktuell 15 Förderprogramme, die den Kauf so eines Lastenesels finanziell unterstützen. So will der Berliner Senat seit Juli 2018 bis Ende kommenden Jahres Neuanschaffungen mit insgesamt 700.000 Euro fördern, für private wie gewerbliche Antragsteller. Maximal 1.000 Euro sind drin für den Kauf eines elektrischen Lastenrades, ohne Zusatzantrieb liegt der Zuschuss bei bis zu 500 Euro. Der Andrang ist immens, schon gibt es Überlegungen, die Fördersumme weiter aufzustocken.
Auch wenn durch mehr Lastenräder wahrscheinlich nicht weniger Sattelschlepper die Autobahn verstopfen: Wer im Stadtverkehr täglich 20 Kilometer mit dem Lastenrad anstelle eines Kleinwagens fährt, spart im Jahr immerhin rund 800 Kilogramm CO2, rechnet der Verkehrsclub Deutschland vor. Und in einer Studie gibt knapp die Hälfte der Leihrad-Nutzer an, dass sie sonst die Tour mit einem Auto gemacht hätten. Dabei hatten die offenbar nicht nur ein gutes Gewissen, sondern auch Spaß: 95 Prozent der Befragten wollen auch weiterhin Lastenräder benutzen.