Erst wurden sie belächelt als Gefährt für die ältere Generation. Inzwischen bestimmen sie aktuelle Trends: E-Bikes. Expertin Sonja Glauert über Entwicklungen, Perspektiven und Herausforderung der neuen Mobilität.
Frau Glauert, fahren Sie E-Bike?
Ich bin früher viel Mountainbike gefahren, bis ich über die Arbeit das E-Bike kennenlernte. In den Firmen, bei denen ich beschäftigt war, gab es bereits 2006 Leihräder. Ich konnte jeden Monat ein anderes ausprobieren und kam schnell auf den Geschmack. Es ist ein völlig anderes Fahrgefühl. Du kommst plötzlich über jeden Hügel, überholst sogar Rennfahrer. Das macht einfach unheimlichen Spaß. Für mich war schon damals klar, dass sich diese Bikes durchsetzen werden.
Aber geht dabei dann nicht der Gesundheitseffekt des Radfahrens verloren?
Ich kann beim E-Bike die Assistenz je nach Gelände und Tageskondition anpassen. Seit einigen Jahren gibt es auch tolle E-Mountainbikes, mit denen man super im Gelände fahren kann. Im Endeffekt fahre ich häufiger und mehr. Studien zeigen ebenfalls, dass E-Bike-Fahrer öfter unterwegs sind als Leute auf klassischem Fahrrad. Man schafft mehr Kilometer in kürzerer Zeit. Wir leihen uns oft im Urlaub E-Bikes aus und sind etwa in Frankreich in der Gegend von Cahors durch tolle Dörfer wie Rocamadour gefahren, die alle ganz steil oben am Hang liegen.
Was genau ist eigentlich ein E-Bike?
Ein E-Bike oder Pedelec ist ein Fahrrad, das mit Muskelkraft und einem unterstützenden Elektromotor betrieben wird. Der Motor schaltet sich zu, wenn die Pedale getreten werden. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 25 Stundenkilometer. Danach schaltet sich die Unterstützung des Motors ab. Seit 2017 sind Pedelecs offiziell dem Fahrrad gleichgestellt. Sie dürfen auf Radwege und brauchen keine Zusatzversicherung.
Die Höchstgeschwindigkeit des S-Pedelec oder Speed-Bike liegt bei 45 km/h. Auch hier funktioniert die Motorunterstützung nur bei gleichzeitigem Treten. Ein S-Pedelec benötigt jedoch eine Betriebserlaubnis, ist versicherungspflichtig, und der Fahrer muss ein Versicherungskennzeichen anbringen und eine Fahrerlaubnis der Klasse AM vorweisen.
Ohne Tretunterstützung, also per Gashebel, sind 20 km/h erlaubt. Mit dem S-Pedelec darf man nicht auf Radwege und kann keinen Kinderanhänger verwenden. Inzwischen sind beim Licht Funktionen wie Tagfahrlicht, Fernlicht und Bremslicht erlaubt. Das erhöht die Sicherheit."
Wie viele Menschen in Deutschland fahren schon E-Bike?
Während der klassische Bike-Markt stagniert, steigt der Verkauf von E-Bikes. 2006, als ich begonnen habe, in Frankreich in der Branche zu arbeiten, wurden dort nur wenige Hundert Stück verkauft. 2016 wurden allein in Deutschland 605.000 neue E-Bikes verkauft.
Wer fährt eigentlich E-Bike? Für welchen Personenkreis ist das E-Bike besonders geeignet?
Inzwischen gibt es fast jeden Fahrradtyp als E-Bike-Version. Ein positiver Effekt ist auch, dass Personen, die sonst gar nicht Rad fahren, wieder zum Sport kommen: Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder auch Übergewichtige jedes Alters. Für sie ist die Hemmschwelle kleiner, wieder aufs Rad zu steigen. Anstrengungen können besser reguliert werden. Während anfangs die Käufergruppe die Generation 50+ war, gibt es heute einen großen Markt für die 30- bis 45-Jährigen. Kinder unter 14 Jahren sollten übrigens noch nicht auf einem E-Bike fahren. Es gelten andere Kraftverhältnisse. Die Bremszeiten sind länger.
Es heißt immer, das E-Bike sei eine Alternative zum Auto. Zu Recht?
Vor allem für die Fahrt zur Arbeit. Zum Beispiel für eine Strecke zwischen 15 bis 20 Kilometern, die den meisten zu weit ist, um sie mit dem Rad zurückzulegen. Interessant ist das E-Bike für die, die es satt haben, im Stau zu stehen. Gerade in der Großstadt ist da ein Elektrofahrrad eine echte Alternative. Einige steigen irgendwann ganz auf das E-Bike um. Andere nutzen es nur unter der Woche oder für Touren.
Wie soll ich mir das konkret vorstellen? In Berlin, wo die Infrastruktur für Radfahrer nicht mehr ausreicht, sind lautlose, schnell fahrende motorisierte Fahrräder auf den Radstreifen eine eher beunruhigende Vorstellung.
Bei den Pedelecs sehe ich eigentlich kein Problem. 25 Stundenkilometer fahren auch sportliche Radfahrer. Anders sieht es bei den S-Pedelecs aus. Die fallen eigentlich unter die Mofa-Richtlinie, müssten wie ein Mofa ein Nummernschild tragen, was in der Praxis leider nicht immer der Fall ist. Das Problem: Im Straßenverkehr sind diese Speed-Bikes nicht ohne weiteres zu erkennen. Das kann gefährlich werden. Hier würde ich mir wünschen, dass sich die Entscheidungsträger an einen runden Tisch setzen und nach Lösungsmöglichkeiten suchen. In der Stadt sollten die Speed-Biker klar erkennbar sein, etwa durch eine farbige Weste. Auch wenn Speed-Bikes ein gewisses Risiko bergen, finde ich es gut, dass es sie gibt. So kommen auch die, die schnellere Geschwindigkeiten mögen, auf ihre Kosten und sind nicht in Versuchung, die normalen Pedelecs zu tunen.
Wie sieht es mit der Wartung aus? Bei einer Freundin in Frankreich verrosten die E-Bikes im Garten, weil niemand sie reparieren will.
Als ich noch in Frankreich gearbeitet habe, haben die Supermarktketten im großen Stil E-Bikes unter die Leute gebracht. Der Service war unterirdisch. Die Leute konnten ihr Bike anschließend manchmal nur wegwerfen. Fachhändler wollten es nicht reparieren. Dieses Phänomen ist stärker im Süden Europas vertreten. In Deutschland ist der Service insgesamt gut. Optimal ist ein Fahrradhändler, der durch eigenes, geschultes Fachpersonal Service anbietet. Wer ein Markenrad kauft, bekommt kaputte Einzelteile ersetzt und diese sind auch mehrere Jahre verfügbar. Namhafte Komponentenhersteller schulen oft direkt die Händler zu ihren Produkten. Mein Rat: sich vorher gut informieren, mehrere Produkte vergleichen und eine Probefahrt machen. Das ist im Supermarkt fast nie möglich. Besser als übereilt ein Schnäppchen zu kaufen, ist es, sich ein gutes E-Bike beim Händler zu leihen oder zu leasen. Letzteres bieten immer häufiger auch Arbeitgeber an. Dank einer neuen Steuerregelung gilt das Dienstwagenprivileg nun auch für Fahrräder und E-Bikes.
Wie viel sollte man in ein E-Bike investieren?
Zwischen 2000 und 3500 Euro findet man vernünftige E-Bikes. Wer mehr als Standard will, kann für Einzelheiten zusätzlich eine Menge Geld ausgeben: Lenker, Sattel, Reifen, Carbonrahmen. Bei hochwertigen Akkus reicht eine volle Ladung bei günstigen Bedingungen etwa 80 bis 100 Kilometer.
E-Bikes seien eine gute und ökologisch sinnvolle Alternative, heißt es. Stimmt das wirklich?
Insgesamt würde ich sagen: ja! Das genau auszurechnen, ist unheimlich komplex. Im Gebrauch selbst ist die Energiebilanz im Vergleich zum Auto sehr gering. E-Bikes haben einen weiteren positiven Nebeneffekt. Sie haben geschafft, was der Automobilbranche seit Jahrzehnten nicht gelungen ist: Elektrofahrzeuge zu bauen und in großer Zahl auf die Straße zu bringen. Die Erfolgsgeschichte des E-Bikes setzt die Autoindustrie unter Druck und wird sicher einiges ins Rollen bringen. Bis die Hersteller passende E-Autos in der Mittelklasse zu einem brauchbaren Preis anbieten, werden aber noch ein paar Jahre ins Land ziehen. Dabei gibt es bereits serienreife, bezahlbare Startup-Lösungen. Leider ignoriert die traditionelle Automobil-Lobby diese bislang und schadet damit dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Es fehlt vor allem an Willen, nicht an Geld. Ich hoffe, wir warten nicht so lange, bis auch hier eine asiatische Firma einsteigt und den Markt abräumt.
Und das Recycling? Bleibt am Ende womöglich jede Menge Elektroschrott?
Dazu gibt es entsprechende nationale und europäische Richtlinien. Der jeweilige Hersteller und der jeweilige „Inverkehrbringer" sind verantwortlich für das Recycling. Die Gebühren dafür werden vorab bezahlt. Als Endkunde kann ich bei egal welchem E-Bike-Händler meinen Akku, mein Ladegerät oder mein Display kostenlos zum Recyceln abgeben.