Radfahren hat Zukunft. Davon sind viele Erfinder und Firmengründer überzeugt. Auch Konzerne werden auf den Ideen-Boom auf zwei Rädern aufmerksam.
Deutschland, einig Autoland? Mittlerweile gilt des Deutschen liebstes Kind als Auslaufmodell. Schon 2011 hat das Institut für Mobilitätsforschung, eine Tochtergesellschaft von BMW, in einer Studie festgestellt, dass das eigene Auto seinen Wert als Statussymbol verliert. Kein Wunder also, dass heutige Autokonzerne „Mobilität" verkaufen statt Autos. Denn mobil sein möchte jeder. Aber muss es immer mit dem Auto sein?
Das geschärfte ökologische Bewusstsein beflügelt mittlerweile ein anderes Verkehrsmittel – das Fahrrad. Die Zahl der Fahrräder in Deutschland hat in den vergangenen Jahren beständig zugenommen. Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbandes belief sich der Fahrradbestand in Deutschland 2016 auf 73 Millionen Stück – statistisch hätte also fast jeder ein Rad. Im Jahr 2007 waren es noch vier Millionen weniger. Und der Markt für die Mobilität der Zukunft bleibt im Fluss. Nicht nur die etablierten Autokonzerne, sondern auch Firmengründer setzen auf Innovationen. Und so wachsen parallel zum Stellenwert der Zweiräder auf der Straße auch die Ideen für Start-ups rund ums Rad.
Zum Beispiel Radbonus, eine Art „Miles and More" für Radfahrer. Das 2015 gegründete Start-up aus Köln kooperiert mit Unternehmen oder Verbänden, um das Radfahren und damit die Gesundheit und die Umwelt zu fördern. In einer Smartphone-App sammeln die Radbonus-Mitglieder Kilometer und erstrampeln sich so Boni wie Rabatte in Partnershops wie etwa Sportscheck. Die App lässt sich übrigens nicht täuschen: Ein einprogrammierter Algorithmus verhindert, dass mit dem Auto gefahrene Kilometer aufgezeichnet werden.
Ein vielseitiger Transporter
Auf zwei Rädern will auch das Berliner Start-up Foodora Geld verdienen. Es kooperiert mit Restaurants, die keinen eigenen Lieferservice haben, und bringt das über das Foodora-Portal bestellte Essen nach Hause. Das ist teuer, doch von dem Geld werden auch die Foodora-Lieferanten bezahlt, die zum großen Teil mit ihren Fahrrädern das Abendessen quer durch die Stadt transportieren.
Vor allem durch Crowdfunding hat sich eine rege Gründerszene rund um das Rad entwickelt – und diese entwickelt nicht nur neue Apps, sondern schlicht alles: vom E-Bike-Nachrüstkit für den zuvor noch motorlosen Drahtesel bis hin zu einem komplett neu gedachten Fahrrad.
Zum Beispiel Nüwiel, ein elektrischer Lastenanhänger für das Fahrrad. Durch einen kleinen E-Motor folgt der Anhänger dem Fahrrad selbsttätig, wird also nicht vom Radler per Muskelkraft gezogen. Dieser soll die bis zu 100 Kilo schweren Lasten hinter sich gar nicht spüren. Alternativ kann der Anhänger auch an Motorräder gehängt werden, oder er unterstützt Menschen, die zu Fuß unterwegs sind und schwerere Lasten ausliefern. Das Start-up Listnride setzt auf „Rad-Sharing": Per App können von Kunden Räder für jeden Anlass bestellt werden, die dann von Privatpersonen oder Händlern zur Verfügung gestellt werden. Tubolito aus Wien entwickelte einen Fahrradreifen, der 65 Prozent leichter und dank Hightech-Materialien robuster ist als gewöhnliche Reifen.
Innovativ geht es aber auch auf dem Markt der Fahrradentwickler zu. Vom Bambusrahmenrad bis hin zum futuristischen Tron-Bike versuchen die Erfinder und Designer den Individualismus, aber auch die Mobilitätsbedürfnisse der potenziellen Kundschaft anzusprechen.
Das Fairfoodbike etwa soll andere Gründer überzeugen, die sich mit dem Gedanken einer mobilen Küche auseinandersetzen müssen. Das Lastenrad kann je nach Wunsch als rollende Küche, Bierbude oder sogar Bistro mit ausfaltbarem Dach benutzt werden.
Nachhaltigkeit ist das Ziel des Unternehmens Myboo. Es konzipiert Fahrräder nach Kundenwünschen und lässt die Rahmen aus Bambus in Ghana fertigen. Jedes verkaufte Rad finanziert Schulprojekte und Stipendien ebenfalls in Ghana.
Gründer Karsten Bettin ist von der goldenen Zukunft des Rads völlig überzeugt. Er hat Kwiggle entwickelt, ein Faltrad, das in den Rucksack passt. „Zukünftige menschengerechte Mobilität erfordert individuellen, nicht motorisierten Verkehr im nahen Umfeld. Nur so können Platz geschaffen, Emissionen gemindert und menschengerechter urbaner Lebensraum erhalten werden. Das Fahrrad ist dafür am besten geeignet. Lange Strecken wiederum brauchen zwingend schnelle motorisierte Trassen auf der Straße und auf der Schiene. Nachhaltige urbane Mobilität muss beides bestmöglich miteinander kombinieren", so Bettin. Deshalb hat er das Kwiggle entwickelt.
Investitionen für das Start-up zu bekommen, war jedoch anfangs nicht so einfach. „Um Kwiggle beginnend von ersten Ideen voranzubringen, war die Gründung einer eigenen Firma der beste Weg. Wie überall verhalten sich etablierte Hersteller zurückhaltend, wenn sie mit einer vollkommen neuen Idee konfrontiert werden, in die zunächst viel Geld investiert werden muss und von der noch unklar ist, ob sie dann auch am Markt funktioniert", sagt Bettin. Mittlerweile ist das Faltrad zur Marktreife entwickelt. Andere Kooperationspartner aus der Radbranche gibt es nicht, vermarktet wird Bettins Erfindung ausschließlich online.
„Wir haben mehrere Zielgruppen: Menschen mit intermodalen Mobilitätsbedürfnissen, Pendler, die Wege von der Wohnung zur Straßenbahnhaltestelle und danach zum Arbeitgeber überbrücken müssen, und Menschen mit der Freude an natürlicher, aufrechter Bewegung. In Summe sprechen wir den Stadtmenschen an, der urbane Bewegungsfreiheit genießen möchte", beschreibt der Ingenieur die Leute, die er für sein Rad begeistern möchte.
Faltrad für alle Fälle im Rucksack
In Magdeburg entwickelt Urwahn Bikes das stadtgerechte Fahrrad für den Hipster von heute. Die Gründer legen laut eigener Angaben nicht nur Wert auf die Performance, sondern auch auf die puristische Ästhetik des Rades. Das hat seinen Preis: Die Basisversion soll 3.150 Euro kosten. Die Finanzierung des Start-ups per Crowdfunding ist allerdings erst einmal deutlich fehlgeschlagen: Statt der angepeilten 75.000 Euro kamen nur knapp 23.000 zusammen. Nur 28 Unterstützer wollten dabei helfen, den „Stadtfuchs" auf den Asphalt zu bringen. Trotzdem werden die Gründer weitermachen und „setzen alle Hebel in Bewegung", wie sie ihren Unterstützern versprochen haben.
Der Innovationsdrang in Sachen Fahrrad hat mittlerweile auch etablierte Firmen aufmerksam gemacht. Bosch, das den deutschen E-Bike-Markt mit seinen Motoren beherrscht, kaufte jüngst das Frankfurter Start-up Cobi, das Räder mit einer Smartphone-Halterung und einer Daumensteuerung für Apps ausrüstet. Wie viel Geld Bosch auf den Tisch geblättert hat, darüber haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart. In einer Finanzierungsrunde 2016 hatte Cobi immerhin 6,5 Millionen Euro eingesammelt. Andere Start-ups scheiterten, zum Beispiel Freygeist. Die Radentwickler verkrachten sich, nachdem das Unternehmen 1,5 Millionen Euro eingesammelt hatte. Mittlerweile ist das Unternehmen insolvent. Die spektakulärsten Bilder in der Startup-Szene aber bietet das Cyclotron: Das futuristische Fahrrad im Stil des Science-Fiction-Klassikers „Tron" sollte mit einem Zielbetrag von 50.000 Dollar über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter in Los Angeles entwickelt werden. Am Ende kamen über 169.000 Dollar zusammen. Derzeit wird das Rad gebaut und kann bereits vorbestellt werden – mehr als nur ein Symbol für die Zukunft des Radfahrens, die schon heute beginnt.