Die Saison 2018/19 am Saarländischen Staatstheater beginnt. Die Theaterleute sind aus der Sommerpause zurückgekehrt. Bettina Bruinier ist Schauspieldirektorin und Regisseurin. Sie gibt Einblick, was uns in der Spielzeit erwartet.
Frau Bruinier, welche Aufgaben hat eine Schauspieldirektorin?
Das ist jeweils von Haus und Vertrag abhängig. Ich teile die Leitung der Sparte Schauspiel mit dem Chefdramaturgen Horst Busch. Als Team sind wir mit unseren Dramaturginnen für die Spielplangestaltung, das Ensemble, die Engagements der Regisseure, also die künstlerische und inhaltliche Vision des Hauses zuständig. Ich selbst mache drei Regiearbeiten im Jahr im großen Haus, in der Feuerwache und der Sparte 4.
Sie sind auch für Engagements zuständig. Was sollte ein Schauspieler unbedingt mitbringen, damit er ihr Interesse weckt?
Direktheit, Lust, Kraft. spielerische Fantasie und Intelligenz, Freude auch am gemeinsamen Ausprobieren, Denken und Entwickeln. Teamgeist und Eigenwille.
Sie haben Opern- und Schauspielregie in München studiert. Wie haben Sie zur Bühne gefunden?
Ich hatte immer Interesse daran, in dieser Richtung zu arbeiten: Kunst, Musik, Literatur, Menschen. In der Schule hatte ich eine Freundin, deren Eltern beide Schauspieler waren, mit der ich in der Projektwoche Theaterprojekte angeboten habe. Nach dem Abitur bin ich dann direkt an die Musikhochschule München gegangen und habe dort Opern- und Schauspielregie studiert und Praktika, Hospitanzen, Assistenzen an verschiedenen Häusern absolviert.
In Saarbrücken haben Sie in Ihrer ersten Spielzeit für das Saarländische Staatstheater (SST) drei Stücke – „Nathan oder Das Märchen von der Gleichheit", „Wir sind die Guten" und „Fake Reports" inszeniert. Mit Abstand und Selbstkritik: Welche der Inszenierungen ist Ihnen weniger, welche mehr gelungen?
Die drei Arbeiten beleuchteten völlig unterschiedliche Aspekte unseres Spielzeitmottos der letzten Saison: „Freiheit, Gleichheit, Sicherheit". Ich habe gerne die Herausforderungen angenommen. Die Beurteilung unserer Arbeit sollten andere übernehmen.
Ihre erste Inszenierung der neuen Spielzeit ist die Bühnenfassung von „Das achte Leben". Der Roman von Nino Haratischwili umspannt die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts auf mehr als 1.200 Seiten über fünf Generationen. Das Schicksal der Figuren ist mit der Sowjet-Zeit, dem Kommunismus und dessen Umbrüchen verbunden. Was ist für Sie vorrangig bei der Regiekonzeption, um diesen Stoff zu bewältigen?
Die Figuren sind existenziellen Konflikten ausgesetzt, es geht um ganz unterschiedliche Ideale, Ideologien, Selbstkonzepte und Träume, aber der Blick geht vor allem in die Zukunft – was machen wir mit unseren Erfahrungen, mit unserem Erbe – was ist unser Zukunftsentwurf? Es geht um das, von uns, zu schreibende „achte Buch". Es ist europäische Familien-Geschichte, in der wir alle etwas finden können. Die Verwerfungen und Umbrüche, denen die Figuren ausgesetzt sind, lassen sie an verschiedensten Orten stranden – Paris, Prag, Berlin, London, Wien. Der Abend lebt von den unterschiedlichen Überlebensstrategien der Figuren und wie sie unbewusst in ihren Lebensentwürfen aufeinander reagieren und Bezug nehmen. Es ist ein Abend der fast als Märchen beginnend die Vielfältigkeit, die Komplexität des Lebens und unserer Gegenwart feiert und uns auffordert, diese Herausforderungen anzunehmen.
Im Großen Haus inszenieren Sie „Shakespeare in Love". Der Film wurde für die Bühne adaptiert. Abgesehen davon, dass Theater live ist: Was kann Theater, was Film nicht kann?
Theater ist ein gemeinsames Erlebnis, eine gemeinsame Fantasie, das Publikum ist jeden Abend Mitautor des Abends. Dadurch, wie es sich verhält, wie es mitfühlt, mitdenkt, wie es den Abend erlebt. Das Theater ermöglicht durch die direkte Ansprache der Schauspieler, Darsteller und Performer ans Publikum eine viel größere Freiheit in der Erzählung der Geschichte und auch eine Gleichzeitigkeit in der Erzählung der Figuren. Außerdem natürlich das Live-Erlebnis. Das klingt einfach, aber das ist das Geheimnis des Theaters: Jeder Moment ist einzigartig. Theater ist eben ein Ort der Gemeinschaft, der Polis, ein politischer Ort, ein Ort der Auseinandersetzung, emotional und intellektuell. Es kann beglücken, uns begeistern, uns zum Lachen und Weinen bringen und außerdem helfen, die Komplexität unserer Zeit und Uneindeutigkeiten unseres Innenlebens auszuhalten. Idealerweise steht also eine Frage am Beginn des Abends, die unseren gesellschaftlichen Konsens thematisiert.
Sie inszenieren die Uraufführung des Schauspiels „Werwolf" von Rebekka Kricheldorf. Ein Krimi, ein Thriller? Verraten Sie uns, was da auf uns zukommt?
Hier würde ich gerne die Autorin zitieren: „Ein Stück über die Werwolf-Macher, die Wegseher, die Nutznießer, die Werwolf-Ermöglicher. Aber auch die Schlaumeier, die Werwolf- Bescheidwisser. Elemente der heutigen medialen Meinungskultur sollen durchaus satirisch verwurstet werden. Der Werwolf als Projektionsfläche, sowohl für sein Umfeld, als auch für das Publikum."
Was wird die Schauspiel-Sparte zum Theaterfest am 19. August präsentieren?
Wir haben viel im Programm – Die Schauspieler präsentieren Ein-Minuten-Acts zum Spielzeitmotto. Der auf Initiative von Philipp Weigand entstandene Theaterchor – „Chor der Werktätigen des SST" – wird sich präsentieren, Kampfchoreografien werden gezeigt. Lesungen für Kinder, zum Beispiel „Peterchens Mondfahrt", Konzerte. In der Sparte 4 findet die Open Stages statt, Walking Acts, Kutschfahrten, und um 22 Uhr wird zum Abschluss die 80-jährige Geschichte des Hauses und die sich zum 70. Mal jährende Übergabe der Franzosen an die Stadt Saarbrücken musikalisch, theatral, assoziativ, collagenartig unter der Leitung von Sébastien Jacobi reflektiert. Also: Ruhe gibt es definitiv nicht. Alle Theaterinteressierten sind herzlich eingeladen.
Das Spielzeit-Motto „Veränderungen, Brüche, Verwandlungen oder Ruhe gibt es nicht!" gilt auch für Sie. Sie sind von Berlin nach Saarbrücken umgezogen. Was haben Sie bisher an Schönem oder Bemerkenswertem hierzulande entdeckt?
Die Vielfältigkeit der Stadt, das große Angebot im kulturellen Bereich, aber natürlich auch die Schönheit der Umgebung. Gerade im Moment sitze ich im Ulanenhof, der nicht weit von meiner Wohnung mitten in den Feldern liegt. Nein, im Ernst, wir haben hier ein offenes Publikum, ein toll arbeitendes Team im Haus und vor allem eine Menge Geschichten vorgefunden, die es alle noch zu bearbeiten gilt.