Brauchen wir Pflegekammern in 16 Bundesländern und obendrein noch eine Bundespflegekammer? Seit zehn Jahren tobt der Streit darüber. Und in etlichen Ländern wird der Wille der Bürger noch per Befragung ermittelt. Friedhelm Fiedler, Vizepräsident des Arbeitgeberverbandes Pflege, über die Gründe, warum er Pflegekammern in der Altenpflege für keine gute Idee hält.
Herr Fiedler, warum brauchen wir Pflegekammern in Deutschland?
Ich bin ganz entschieden der Meinung, dass wir keine Pflegekammern brauchen. Schauen Sie, Deutschland ist schon heute bis zur Unübersichtlichkeit völlig überreglementiert. Das Wirtschaftswunderland Deutschland, dessen Zukunftserfolge darauf gründen sollten, schlanke, klare, transparente und schnelle Entscheidungsstrukturen zu haben, ist dabei, mit immer neuen Bürokratiemonstern sich selbst zu lähmen. Da wird vorgeschrieben, überprüft, kontrolliert, dokumentiert bis zum Abwinken. Zudem herrscht leider auf dem immer wichtiger werdenden großen Themenfeld der Altenpflege in weiten Teilen eine unersprießliche Misstrauenskultur, statt einer kreativen Vertrauenskultur.
Und viele Medien sorgen vor dem Hintergrund sinkender Auflagen, wegbrechender Hörer- und Zuschauerzahlen obendrein durch eine zum Teil sehr einseitige und schrille Berichterstattung dafür, dass sich diese Spirale immer weiter dreht. Und sie machen fachkundig oftmals überforderte Politiker zu Getriebenen, die dann ihr Heil in immer neuen bürokratischen Monstervorschriften und in populistischen Handlungen suchen. Wir geben wahnsinnig viel Geld für die Kontrolleure und deren Organisationen aus – Geld, das viel besser bei den Pflegebedürftigen eingesetzt werden sollte –
und wundern uns dann, wenn etliche Pflegekräfte sagen, mir reicht es jetzt, ich mache da nicht mehr mit. Ich will in meiner täglichen Arbeit pflegebedürftigen Menschen helfen, was ich nach wie vor gerne tue, und nicht tagtäglich mit immer neuen Pflichtdokumentationen und Vorschriften gequält werden.
Es wird aber doch von Politikern aller Parteien und von vielen Medien behauptet, Pflegekammern machen die Altenpflege in Deutschland besser. Wollen Sie keine bessere Altenpflege?
Eines will ich da ganz klar sagen: Die Altenpflege in Deutschland ist in ihrer Fachlichkeit, also bei der Kompetenz des Pflegepersonals, sehr gut aufgestellt. Unsere Altenpflege muss da keinen Vergleich mit anderen europäischen Ländern scheuen. Natürlich passieren auch hier und da mal Fehler. Wo ist das nicht so? Sie müssen klar benannt und dann zügig abgestellt werden. Zunächst ist festzustellen, dass in der Altenpflege mit ihren inzwischen 3,5 Millionen Pflegebedürftigen berufsständische Organisationen – von Pflegefachverbänden bis zu Gewerkschaften – in sehr üppigem Ausmaß zur Verfügung stehen. Da brauchen wir nicht noch zusätzliche Pflegekammern. Auch die Leistungsanbieter und Leistungsträger in der Pflege nehmen ihre Verantwortung sehr ernst, befördert nicht zuletzt auch durch die wachsende Leistungstransparenz.
Wer bei der Qualität schludert, wird sanktioniert, verliert schnell Kunden oder fliegt gar aus dem Markt. Denn die Altenpflege ist heute ein Thema größter medialer und politischer Öffentlichkeit. Kaum etwas bleibt geheim. Die Notwendigkeit der Qualitätssicherung und ihrer ständigen Weiterentwicklung ist dabei völlig unbestritten. Hierzu bestehen schon heute bewährte gesetzliche und vertragliche Regelungen, die Verantwortung ist klar zugeordnet. Die Qualitätssicherung in stationären oder ambulanten Pflegeunternehmen ist eine absolut zentrale Verantwortung der Träger, die Qualitätskontrolle ist verlässlich und überprüfbar geregelt mit vielen Instrumenten externer und interner Überprüfung. Ich nenne da etwa die Heimaufsicht oder den Medizinischen Dienst der Kassen (MDK). Damit ist auch der Schutz der Pflegebedürftigen vor unqualifizierter und somit schlechter Pflege ziemlich verlässlich gesichert.
Aber Politiker wie der NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann oder der Deutsche Pflegerat mit seinem Präsidenten Franz Wagner fordern, jetzt müsse endlich gehandelt werden. Ja, sie rufen nun auch öffentlich sogar nach einer Bundespflegekammer. Liegen die beiden Experten denn so falsch?
Schauen Sie, eine Landespflegekammer ist eine sogenannte Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts. So kann ein Land bestimmte hoheitliche Rechte (beispielsweise die Berufsaufsicht) auf eine Landespflegekammer übertragen. Die Landespflegekammer soll diese Rechte dann im Wege der Selbstverwaltung wahrnehmen. Doch da, wo wir bislang Pflegekammern haben, sind die Versprechen von Landesregierungen bewusst vage gehalten. So soll die Landespflegekammer in Rheinland-Pfalz unter anderem die „berufsständigen Interessen der beruflich Pflegenden fördern und vertreten". Sie soll zur Qualitätssicherung in der Pflege beitragen und sich um Ausbildung, Fort- und Weiterbildung von Mitarbeitern kümmern. Pflegekräfte sollen generell verpflichtet werden, sich regelmäßig fortzubilden, in ihrer Freizeit und teilweise sogar auf eigene Kosten.
Die Kammer soll, um weitere Punkte zu nennen, die Belange der Pflege in Gesetzgebungsprozessen und Gutachterstellen vertreten. Das hört sich auf dem Papier alles toll an, ist aber in Wahrheit viel Nebel, gepredigt in einer Flut wohlklingender Wortgirlanden. Umfassende Kompetenzen im Bereich der Qualitätssicherung beziehungsweise der Aus- und Weiterbildung lassen sich nicht einfach auf Pflegekammern übertragen, weil die Regelungskompetenzen dafür zum Teil beim Bund und zum restlichen Teil bei den Ländern liegen. Heute sorgen Altenpflegeeinrichtungen außerdem von sich aus in großem Umfang für entsprechende Fort- und Weiterbildung ihrer Pflegekräfte, weil sie sonst im Wettbewerb nicht bestehen können oder bei den regelmäßigen Kontrollen etwa durch den MDK scheitern. Hierzu bestehen heute bewährte vertragliche und gesetzliche Regelungen, die Verantwortung ist eindeutig zugeordnet. Auch die Qualitätskontrolle ist zuverlässig geregelt mit Instrumenten externer und interner Überprüfung.
Es heißt auch, Pflegekammern könnten den Einfluss auf die Politik pro Pflege erhöhen und weitere finanzielle Mittel für die Pflege erschließen. Das klingt doch vernünftig, oder?
Der Druck auf die Politik hat sich bereits gewaltig erhöht. Es ist ja auch bereits einiges passiert – viel Richtiges, aber leider auch manch Falsches. Das große Problem in der Politik ist, dass alle Abgeordneten in allen Parteien über alles mitreden und mitentscheiden wollen und das ja auch dürfen. Das ist in einer parlamentarischen Demokratie so. Wirklich solide durchdringen tun aber viel zu wenige Abgeordnete das hochkomplizierte Pflegethema. Und über Jahre wurde die Pflege von der zweiten und dritten Politiker-Garnitur beackert, entsprechend dann auch die Qualität politischen Handelns. Das beginnt sich langsam zu verändern. Immer mehr talentierte Abgeordnete merken, dass man mit Pflegekompetenz durchaus auch politisch Karriere machen kann und nehmen sich des Themas an.
Die kämpferische Silivia Bühler, bei der Gewerkschaft Verdi verantwortlich für den Bereich Gesundheit und soziale Dienste, hat mal gesagt: „Die Debatte rund um die Pflegekammer hat etwas Mythisches. Wer sich intensiv damit auseinandersetzt, stellt schnell fest: Pflegekammern bringen weder das dringend erforderliche Mehr an Personal, noch schaffen sie bessere Arbeitsbedingungen. Auch eine Aufwertung durch höheres Entgelt kann sie nicht liefern." Dem ist nichts hinzuzufügen. Klar ist: Pflegekammern können weder in Tariffragen noch in Tarifverhandlungen mitreden oder gar entscheiden. Das ist allein Sache von Tarifpartnern.
Aber warum forciert auch die Politik quer durch fast alle Parteien die Gründung von Pflegekammern?
Ganz einfach: Zum einen spielen ideologische Gründe eine starke Rolle. Zum anderen könnte die Gründung von Kammern dem staunenden Publikum leicht vorgaukeln: Schaut her, wir tun doch was! Das beste Beispiel ist Niedersachsen: Wir haben dort die schlechteste Bezahlung in der Altenpflege von allen westdeutschen Bundesländern und wir haben dort die schlechtesten Personalschlüssel. Das geht auch mit der Landespolitik nach Hause. Dann ist es doch ein toller Einfall, laut nach einer Pflegekammer zu rufen und sie zu gründen. Das kostet die Landesregierung keinen Euro. Aber es verbessert sich in der Pflege de facto nichts. Politischer Budenzauber mit großem Getöse nennt man so was. Und ganz schlimm dabei ist: Alle Pflegekräfte sind letztlich per Gesetz gezwungen, einer Pflegekammer beizutreten, so es sie denn in einem Bundesland gibt. Da herrscht Zwangsmitgliedschaft. Und zu allem Übel werden dann auch Zwangsbeiträge abkassiert, von bis zu 120 Euro pro Jahr und Pflegekraft. In Rheinland-Pfalz zum Beispiel wurden Pflegefachkräfte, die sich einer Kammer verweigerten, mit massiven Bußgeldandrohungen seitens der Landesregierung gefügig gemacht, beizutreten. Aus meiner Sicht ist das eine ziemliche Unverfrorenheit und schreit geradezu nach einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Altenpflegekräfte sind in ihrer Mehrheit nicht für eine Kammer. Das hat zum Beispiel in Hamburg die einzige professionelle Kammer-Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts im Auftrag des Senats bewiesen. Ergebnis: Nur 13,7 Prozent der Altenpflegekräfte wollten eine Pflegekammer. Daraufhin hat Hamburg entschieden, im Hansestadtstaat wird es eine solche Kammer nicht geben.
Der Freistaat Bayern ist da ebenfalls einen anderen Weg gegangen: Die zuständige Pflegeministerin Melanie Huml setzt auf absolute Freiwilligkeit. Keine Landespflegekammer, stattdessen gibt es dort seit Mai 2017 eine „Vereinigung der bayerischen Pflege", finanziell getragen vor allem vom Freistaat, ebenfalls in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts – aber ohne Zwangsmitgliedschaft, ohne Zwangsbeiträge, mit ähnlichen Zielen wie eine Kammer. Mit diesem bayerischen Weg wird versprochen, dass bei Gesetzgebungsvorhaben oder Regierungsvorhaben, die die Pflege betreffen, angehört und eingebunden wird. Auch im Saarland ist nach heftigen Diskussionen, befeuert vom Saarländischen Pflegerat, entschieden worden, dass es keine Pflegekammer geben wird. Das Thema beackert jetzt ein aufgewertetes Pflegereferat in der Arbeitskammer mit sieben Kernmitarbeitern.
Nach Gründung von Pflegekammern in drei Bundesländern wird jetzt der Ruf nach einer Bundespflegekammer laut. Neben Bundesärztekammer und Bundesapothekerkammer könnte das doch Sinn ergeben, oder?
Wenn Sie sehen, wie personalintensiv Landespflegekammern aufgebaut sind. Da arbeiten dann 30, 40 oder mehr Leute hauptamtlich unter einem dicken Wasserkopf von Führungsleuten. Da werden Versorgungsposten für „verdiente" Verbandsfunktionäre vor allem aus den Krankenhauspflegebereich geschaffen. Das kostet viele, viele Millionen Euro. Geld, das zuvor via Zwangsbeitrag allen Pflegekräften abgeknöpft wurde. Eine Bundespflegekammer wäre eine neue wahre Monsterinstitution, um Lobbyarbeit auf Bundesebene zu verzapfen. Als diese Idee im Mai auf dem Gesundheitskongress in Dresden erstmals öffentlich vorgestellt wurde, gab es viel Beifall – vor allem von den anwesenden Verbandsfunktionären, die daran natürlich ein Interesse haben. Und Markus Mai, Präsident der Landespflegekammer von Rheinland-Pfalz rief aus: „Damit schützt sich die Gesellschaft auch vor schlechter Pflege." Ich kann nur sagen, eine Gesellschaft schützt sich vor schlechter Pflege, wenn in den Heimen ausreichend und gut ausgebildete Pflegekräfte zur Verfügung stehen, die angemessen bezahlt und immer wieder gut weitergebildet werden. Eine Zwangsorganisation des gesamten Bereichs führt zu zusätzlicher Reglementierung und weiterer Bürokratie. Dies erst recht vor dem Hintergrund, dass weniger als zehn Prozent der Pflegenden überhaupt berufspolitisch organisiert sind.