Füße hoch und genüsslich zurückgelehnt: Alleine im Strandkorb zu sitzen fühlt sich schon nach Ferien an. Nicht nur an den Stränden der Ost- und Nordsee legt das praktische Urlaubsmöbel seit 135 Jahren eine Erfolgskarriere hin. Noch gibt es Fachleute, die es per Hand herstellen – ein Besuch in Deutschlands ältester Strandkorb-Manufaktur.
Ob auf Usedom oder Sylt, in Kühlungsborn oder am Timmendorfer Strand, sie stehen überall. Meist ganz maritim mit weißer Haube und weiß-blau gestreiften Polstern. Ein Fußteil und ein Seitentischchen zum Ausziehen gehören immer dazu – wer einmal in den Genuss eines Strandkorbes kam, möchte ihn nicht mehr missen. „Man kann sich gemütlich zurücklehnen, das Strandtreiben beobachten, lesen oder ein Schläfchen machen", sagt Rosemarie Jeremias aus der Nähe von Heilbronn, die seit zehn Jahren ihren Sommerurlaub in Ahlbeck auf der Insel Usedom verbringt. Sie genießt ihren Strandkorb an der Ostsee jeden Tag und dreht ihn mal in die Sonne, mal in den Schatten oder so, dass er sie vor dem Wind schützt. Andere machen ihren Strandkorb mit Spielzeug und Picknickkorb zu ihrem Zuhause am Meer. Badesachen und Handtücher baumeln zum Trocknen an der Seite.
Doch nicht nur die Strände an Nord- und Ostsee haben die Strandkörbe erobert. Sie stehen auf Terrassen von Hotels und Restaurants, dienen als Imbissbude, als Verkaufsstand oder mit gegenüberliegenden Sitzbänken, Tisch und Wind- und Regenschutz als Lounge für jedes Wetter. „Die Strandkörbe gehören hier einfach dazu, sie sind das Symbol für Ferien an der See", sagt Karin Hoppe, Leiterin des Aurelia Hotels Sankt Hubertus in Heringsdorf auf Usedom. Die Gäste lieben es, im Strandkorb auf der Terrasse zu frühstücken oder Kaffee zu trinken. Auf Usedom haben die gemütlichen Strandmöbel eine besondere Tradition: In Deutschlands ältester Strandkorbmanufaktur „Korbwerk" werden sie seit 1925 per Hand gefertigt.
Frau von Maltzahn hatte einen Wunsch
Der erste Strandkorb kam bereits Ende des 19. Jahrhunderts an die deutschen Ufer. Im Frühling 1882 suchte eine gewisse Elfriede von Maltzahn die Werkstatt des damaligen Hofkorbmachermeisters Wilhelm Bartelmann in Rostock auf. Sie wünschte sich eine „Sitzgelegenheit für den Strand als Schutz vor allzu viel Sonne und Wind". Sie leide an Rheuma, wolle aber auf den Aufenthalt am Strand nicht verzichten. Schon damals war bekannt, dass die frische Seeluft und das heilende Reizklima die Gesundheit fördern. Bartelmann überlegte nicht lange, griff zu Weide und Rohr und fertigte den ersten Strandkorb an der Ostsee. Es war ein Einsitzer, der anfangs als Strandstuhl und von Spöttern liebevoll als „aufrecht stehender Wäschekorb" bezeichnet wurde. Als es sich Elfriede von Maltzahn geschützt am Strand von Warnemünde gemütlich machte, entdeckten auch andere Strandgäste die Sitzgelegenheit für sich. Bartelmann wurde zum Strandstuhlspezialisten – und kam der großen Nachfrage kaum hinterher.
Nach einem Jahr folgte das erste Modell für zwei Personen. Seine Frau Elisabeth erkannte das Potenzial der begehrten Strandmöbel und gründete die erste Strandkorbvermietung der Welt in Warnemünde und anschließend in sechs weiteren Ostseebädern. Allerdings unterlief dem Ehepaar Bartelmann bei dem florierenden Geschäft ein großer Fehler: Sie vergaßen, ein Patent anzumelden. So profitierten nicht nur sie von der ständig steigenden Nachfrage, die Strandkörbe wurden bald auch von anderen Handwerkern angefertigt und weiterentwickelt. Schon um 1900 hatten sich die Strandkörbe in allen deutschen Küstenbädern durchgesetzt. „Alte Geschäftsunterlagen belegen, dass die gesamte Ostseeküste von Schleswig-Holstein über Mecklenburg und Pommern bis nach Ostpreußen von Bartelmann beliefert wurde", berichtet Andreas Bartelmann, der als Ur-Urenkel von Bartelmann natürlich ein absoluter Strandkorb-Spezialist ist.
Mit der Zunahme des Fremdenverkehrs an Nord- und Ostsee wurde das Urlaubsmöbel an der gesamten deutschen Küste immer beliebter. Bis 1939 blieb die Strandkorbproduktion eine Wachstumsbranche, obwohl Inflation und Massenarbeitslosigkeit in manchen Jahren zu Einbrüchen führten. Zum Boom trug auch das Nazi-Regime bei: Es förderte den Urlaub an den deutschen Küsten. Die Strände boten dem Programm „Kraft durch Freude" eine ideale Kulisse für die gleichgeschaltete und überwachte Freizeitgestaltung. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Korbmacher in die Produktion „kriegswichtiger Güter" eingebunden, so waren beispielsweise viele Firmen mit dem Flechten von Munitionskörben beauftragt.
Je nach Wunsch: Vom Ein- bis zum Fünfsitzer
Andreas Bartelmann führt das von seinem Ur-Urgroßvater 1903 in Kühlungsborn-West gegründete Geschäft mit Reiseartikeln, Souvenirs und Bernsteinschmuck weiter. Und nicht nur das: Bei ihm kann man den ursprünglichen Einsitzer noch besichtigen. Außerdem besitzt er eine große Sammlung an Fotos, Postkarten und Schriftstücken aus den Anfängen des Strandkorbs und will demnächst in seinem Geschäft ein Strandkorb-Museum eröffnen. Passend zur Familientradition führt sein Bruder schräg gegenüber eine Pension namens „Strandkorb".
Während die Gäste bei Andreas Bartelmann die Postkarten mit den historischen Motiven bestaunen, rattern auf Usedom, in der Manufaktur „Korbwerk" in Heringsdorf, die Nähmaschinen.
Gabriela Sommer näht die Bezüge für die Sitz- und Rückenpolster und für die Fußstützen. „Wir machen alles nach Kundenwunsch, mal Bezüge mit unterschiedlicher Unter- und Oberseite, mal einheitlich – und immer aus hochwertigen Stoffen", sagt sie. Der Klassiker mit blauen und weißen Streifen sei immer noch besonders beliebt. Im Trend liegen allerdings auch die Farben Anthrazit und Sand.
In der Produktionshalle stapeln sich Stoffballen bis unter die Decke, daneben die Polster, weiter hinten Holzrahmen und fertige Hauben. Thomas Grünberg steht an einem großen Tisch und schneidet die Stoffe. „Hier wird alles per Hand gemacht", sagt der Polsterer, ein gebürtiger Heringsdorfer. Ein paar Meter weiter umwickeln die Flechter und Korbmacher das Holzgerüst mit natürlichem Rohr oder einem schmalen Band aus Kunststoff. Für einen Korb braucht man davon etwa 500 Meter. Gleich nebenan verarbeitet Silvio Riedel in der Tischlerei verschiedene Hölzer: Fichte, Kiefer oder Teak. „Strandkörbe sind einfach etwas Besonderes", sagt der 36-Jährige, der nach Stationen im Trockenbau und in der Gastronomie gerne mit Holz arbeitet. Riedel sägt, fräst, bohrt, hobelt und schleift, bevor die Rahmenteile und die Kleinteile für Seitentische und Fußstützen schließlich eine witterungsbeständige Imprägnierung erhalten. Die fertigen Rahmen, geflochtenen Körbe und Polster werden abschließend zu einem kompletten Strandkorb zusammenmontiert. Selten genug, dass es in Zeiten der Massenproduktion so etwas noch gibt – und spannend auch für Nicht-Fachleute: Jeden Donnerstag können Besucher die verschiedenen Kreationen anschauen und den Handwerkern in der Werkshalle über die Schulter blicken.
Der Ostsee- und der Nordseekorb
Die Strandkörbe von „Korbwerk" gibt es in allen erdenklichen Variationen, jeder Kundenwunsch wird erfüllt. Und da gibt es viele: vom Ein- bis zum Fünfsitzer, für Kinder, Katzen und Hunde, mit Kühlschränken, Bar, Musikanlage, beheizbarer Rückenlehne, … „Wir haben uns auf Sonderanfertigungen spezialisiert", sagt Prokurist Dirk Mund. „Korbwerk" ist beispielsweise auch der einzige Hersteller für barrierefreie Korbstühle. Unterschieden wird übrigens zwischen der Ostseeform mit abgerundeten, geschwungenen Seitenteilen und einer gebogenen Haube und einer Nordseeform mit geraden Seiten und kantig wirkendem Oberteil. Klar, dass all die vielen Arbeitsschritte bis zum gemütlichen Im-Sitz-Lümmeln nicht ganz umsonst sind: Die Basisausführung gibt es ab rund 1.000 Euro.
Die vielen Sonnentage dieses Jahres haben bei potenziellen Kunden mit der Urlaubs- auch die Kauflaune geweckt. „Der heiße Sommer macht Lust auf einen eigenen Strandkorb", sagt Mund. Damit fülle sich nach zwei schlechten Jahren auch das Auftragsbuch der Manufaktur, die sich gegen drei Mitbewerber und die billige Konkurrenz aus Asien behaupten muss.
Im Juni 2007 ging das Foto mit dem größten Strandkorb der Heringsdorfer Spezialisten um die Welt: Anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm nahmen die Regierungschefs der acht teilnehmenden Nationen, in der Mitte Bundeskanzlerin Angela Merkel, rechts der Präsident der Europäischen Kommission, für ein Abschlussfoto in einem eigens dafür angefertigten Strandkorb Platz. Er wurde später zugunsten der Aktion „Ein Herz für Kinder" versteigert.
Heute steht der Riesenstrandkorb kurz vor der Seebrücke im Seebad Heringsdorf. Er ist mehr als sechs Meter breit, über vier Meter hoch und mehr als drei Meter tief. Für ein Urlaubsfoto gibt es fast keinen schöneren Platz.