Es gibt viele ökologische Ansätze, die Papierherstellung zu revolutionieren. Doch kaum eine ist so ressourcenschonend wie die von Uwe D’Agnone, dem geschäftsführenden Gesellschafter von Creapaper. Er hat eine Möglichkeit entwickelt, aus Grasfasern Papier herzustellen. Dieses lässt sich sogar recyceln, und so entsteht wieder neues Papier – ein innovativer Kreislauf.
Herr D’Agnone, das Unternehmen selbst gibt es bereits seit mehr als 25 Jahren, womit ging es damals los?
Ich komme aus dem Bereich Druck und Weiterverarbeitung und habe mit einer kaufmännischen Ausbildung in einer Druckerei im Tiefdruck begonnen. Das sind die auflagenstärksten Druckereien, die wir in Deutschland haben. Nach meiner Ausbildung wechselte ich zu einer Endlosdruckerei nach Mönchengladbach. Schon zwei Jahre darauf habe ich mich im Themenbereich Druckberatung und Grafik selbstständig gemacht.
Mit dem zweiten Geschäftsfeld „Grassfibre" entwickeln Sie seit 2013 Papier aus Gras. Warum gerade Gras?
Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt mit dem Thema beschäftigt: Wie kann man Papier noch nachhaltiger produzieren? Ich habe nach einer Pflanze gesucht, die keinen chemischen Aufschluss bei der Rohstoffherstellung benötigt und habe sie in der Grasfaser gefunden. Es gibt keine Möglichkeit, allein aus Grasfasern Papier herzustellen. Deswegen brauchen wir da immer eine Rezeptur.
Und was ist die Rezeptur, wie wird denn aus dem Gras Papier?
Graspapier kann mit bis zu 50 Prozent aus Grasfasern hergestellt werden. Die andere Hälfte besteht aus Altpapier oder Frischfasern aus Holz, also die herkömmlichen Rohstoffe. Wie aus dem Gras nun Papier wird, das ist relativ einfach erklärt. Wir bekommen das Heu aus der Landwirtschaft. Wenn Flächen verdichtet werden, zum Beispiel für den Straßen- oder Häuserbau, werden Ausgleichsflächen in ländlichen Regionen geschaffen. Diese werden subventioniert. Die Subvention beinhaltet aber einen Pflegeaufwand auf diesen Flächen. Sie werden mindestens zweimal, aber maximal dreimal im Jahr gemäht. Häufiger geschieht dies nicht, um die Biodiversität auf den Flächen zu erhalten. Das gemähte Gras ist dann allerdings nicht mehr zur Tierfütterung geeignet, weil es schon zu lange steht. Zur Papierherstellung lässt es sich jedoch wunderbar nutzen.
Also gibt es keine Konkurrenz zu anderen Verwertungszweigen wie der Tierfutterindustrie?
Genau. Das Heu wird dafür nicht genutzt. Momentan gehen etwa fünf Prozent des Materials an die Biogasanlagen, aber das macht man nur, wenn der Landwirt wirklich in unmittelbarer Nähe der Biogasanlage sitzt. 95 Prozent des Materials werden nicht genutzt. Es ist somit ein idealer Rohstoff, der für die Papierherstellung konkurrenzfrei einsetzbar ist.
Wie findet denn das Heu den Weg in die Produktion?
Da wir ja keine kleine Menge benötigen, geht es eher über Organisationen, die das Heu dann vermitteln. Immer regional.
Welche Produkte lassen sich aus dem neuartigen Graspapier herstellen, wie groß ist Ihr Angebot?
90 Prozent aller Papierprodukte lassen sich bereits aus Graspapier herstellen. Das größte Marktpotenzial liegt derzeit in der Wellpappe. Hier werden weltweit die meisten Volumina hergestellt. Es lassen sich jedoch auch grafische Papiere, Faltschachteln und auch Vollpappen aus diesem Material fertigen. Vom Eierkarton bis hin zum Klopierpapier ist alles möglich. Wo wir gerade noch dran sind, sind Hygienepapiere.
Bei der Forschung bekamen Sie Unterstützung von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), wie kam es dazu?
Papiermachen ist ein sehr aufwendiges und teures Vergnügen. Um hier industriell machbare Alternativen zu entwickeln, kommt man mit normalen „Bordmitteln" nicht aus. In der Startphase konnten wir glücklicherweise einen Investor von dieser Idee begeistern. Um die bis dahin erzielten Produktionserfolge auch wissenschaftlich zu begleiten, haben wir einen Förderantrag bei der DBU gestellt und sind erfreulicherweise auch durchgekommen.
Also ist es insgesamt glücklich gelaufen?
Man benötigt viele Unterstützer und Befürworter in solch einem Projekt. Ohne diese wäre solch eine Mammutaufgabe nicht zu stemmen.
Gibt es noch Hürden in der Graspapierherstellung?
Es gibt immer noch welche, ja. Die größte Hürde war die Skepsis innerhalb der Papierindustrie, wenn man mal ehrlich ist. Man muss sich vorstellen, da stehen Anlagen, die eine halbe Milliarde Euro kosten. Da ist man immer etwas skeptisch, wenn da von außen jemand kommt, der sagt: „Ach komm, wir schmeißen da jetzt mal etwas Gras mit hinein!" Für Tests mit einem Alternativrohstoff bleibt hier nur wenig Zeit.
Man will ja nichts kaputtmachen …
Genau! Bei ganz, ganz vielen Papierfarbriken, in denen wir produziert haben, ist der Produktionsleiter schon morgens mit Schweißperlen auf der Stirn da gewesen und hatte eine schlaflose Nacht hinter sich. Der Faserstoff sieht im Gegensatz zum Zellstoff aus Holz anders aus, verhält sich jedoch relativ unproblematisch im Produktionsprozess. Die Grasfaser wird schon im Vorfeld so aufbereitet, dass sie ohne ein Zusatzaggregat in den bestehenden Prozess eingearbeitet werden kann.
Sie haben ja ein Patent auf Ihr Produkt. Heißt das, Ihre Idee ist einzigartig auf der Welt?
Ja, Graspapier ist einzigartig. In der Vergangenheit hat man sich mit pflanzlichen Alternativrohstoffen beschäftigt. Es wurden bereits Papiere aus Bambus, Hanf oder Stroh hergestellt. Doch ähnlich wie beim Baum benötigen auch diese Pflanzen einen chemischen Aufschluss. Alle Pflanzen, die hoch wachsen, enthalten einen Klebstoff, der es ihnen erlaubt, in die Höhe zu wachsen. Dieser Klebstoff nennt sich Lignin. Lignin wird für die Papierherstellung erst mal entfernt. Nur die verbleibende Faser wird zum Zellstoff aufbereitet und kann zur Papierherstellung genutzt werden. Dieser Produktionsschritt ist sehr aufwendig, man benötigt hierzu einen chemischen Prozess. Gut zweieinhalb Tonnen Holz ergeben hierbei eine Tonne Zellstoff. Für diesen gesamten Verarbeitungsschritt werden mehr als 6.000 Liter Wasser je Tonne Zellstoff verbraucht. Als Bild: Für eine Europalette voll Papier hätte man sechs Paletten Wasser verbraucht.
Nachhaltigkeit geht noch besser …
Mein Ursprungsgedanke bei der Entwicklung von Graspapier war: Wenn hochwachsende Pflanzen viel Lignin enthalten, dann sollte man meinen, dass flachwachsende Pflanzen entsprechend weniger des Störstoffes enthalten müssten. So war es auch. Gras beinhaltet so wenig Lignin, dass man komplett auf eine chemische Aufbereitung verzichten kann.
Wir benötigen zur Vorbereitung für die Papierherstellung nur einen mechanischen Aufbereitungsprozess. Das getrocknete Gras, das Heu, wird bei uns per Luft gereinigt, auf Faserlänge geschnitten, mit einem Mahlgrad versehen und zu Pellets komprimiert. Für diesen Vorgang benötigen wir nur zwei Liter Wasser je Tonne und nur drei Prozent der Energie im Gegensatz zur Herstellung von Zellstoff aus Holz. Darüber hinaus setzen wir auch keine Chemie ein.
Vertreiben Sie nur in Deutschland oder auch weltweit?
Derzeit produzieren wir überwiegend für Papierfabriken in Deutschland und Italien. Papierherstellung ist jedoch ein globales Thema. In Zukunft werden wir sicherlich auch auf anderen Märkten aktiv werden. Große Unterstützung erhalten wir aus dem sogenannten Retail-Bereich, also den Supermärkten. Dort gibt es großes Interesse, speziell für Lebensmittelverpackungen. Rewe und Penny waren hierbei Pioniere. Bereits im vergangenen Frühjahr wurden die ersten Obst- und Gemüseschalen aus Graspapier eingesetzt. Seit diesem Jahr testen auch Aldi, Norma, Edeka und Coop in der Schweiz unser Material.
Eines Ihrer beliebten Angebote an Werbekunden ist „wachsendes Papier", was ist das?
Das habe ich vor ein paar Jahren entwickelt. Da wird Saatgut in das Papier eingearbeitet. Das Papier lässt sich so direkt einpflanzen, und dann wächst daraus zum Beispiel ein Tannenbaum aus einer Weihnachtskarte. Für Danone haben wir Saatgut auf dem Joghurtbecherboden eingeklebt. Kinder werden dann dazu aufgefordert, den Becher einzupflanzen. Daraus wächst dann eine Sonnenblume oder ein Kräutergarten.
Sie haben den Deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt (IKU) verliehen bekommen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung, und wie stark war die Konkurrenz?
Ich fand die Konkurrenz ausgesprochen stark. Es haben sich 400 unterschiedliche Ideen für den Preis beworben. Für uns war es dementsprechend eine ganz besondere Auszeichnung. Einerseits haben der Bundesverband der deutschen Industrie und das Deutsche Umweltamt diesen Preis verliehen, was auch noch vom Fraunhofer Institut unterstützt wurde. Wir sind da auf Herz und Nieren überprüft worden. Entsprechend haben wir uns extrem darüber gefreut.
Dadurch erreicht man auch einen großen Bekanntheitsgrad, oder?
Wir benötigen als kleines Unternehmen mit einer guten Idee viel Unterstützung. Gerade die Kommunikation in diesen Wettbewerben ist für uns sehr wichtig. Mit dieser Auszeichnung wurde beispielsweise auch bei der ProSieben-Fernsehsendung Galileo ausführlich über Graspapier berichtet. Das erhöht unseren Bekanntheitsgrad und hilft uns auch in Zukunft, noch mehr Papierhersteller von diesem einzigartigen, umweltfreundlichen Rohstoff zu begeistern.
Welche Pläne gibt es für die Zukunft?
Wir arbeiten an einer neuen Produktionsanlage, die in Düren aufgebaut wird. Durch Veränderungen im Produktionsprozess erreichen wir hier einen weiteren Quantensprung. Wir schaffen es allein mit dieser Anlage, 25.000 Tonnen Grasfaser pro Jahr zu produzieren. Daraus lassen sich mehr als 50.000 Tonnen Papier herstellen. In der näheren Zukunft streben wir an, das Gras noch effizienter zu nutzen. In Gras stecken Proteine, die zur Papierherstellung nicht notwendig sind. Mein großer Wunsch ist es hier, diese im Vorfeld abzuspalten und zu separieren, um daraus Nahrung für Tiere oder Menschen herzustellen. Wir haben eine große Herausforderung vor uns. Momentan leben 7,5 Milliarden Menschen auf der Welt. Bis 2050 wird die Bevölkerung auf zehn Milliarden ansteigen. All diese Menschen wollen ernährt werden. Das ist eine große Herausforderung. Es sind noch viele weitere gute Ideen vonnöten, um diese Herausforderung zu bewältigen.