In Thailand gibt es etwa 3.600 ehemalige Arbeitselefanten. Manche verbringen ihren Ruhestand in einem extra eingerichteten Park, wo Touristen den Tieren ganz nah kommen können. Einige der Dickhäuter helfen ganz nebenbei, den teuersten Kaffee der Welt zu produzieren.
Zimtapfel ist 72 Jahre alt. Ihre Haut wirft Falten als wäre sie 100. Auf dem rechten Auge sieht sie nichts mehr. Aber sie hat mächtig Appetit auf die Mahlzeit vor ihren Füßen, und ihr wichtigstes Teil ist noch sehr gelenkig. Wie ein Akrobat balanciert sie eine Zuckerrohrstange auf dem Rüssel, greift das untere Ende und klatscht die Blätter der Pflanze erst auf ihren Bauch, um Fliegen zu verscheuchen. Dann knüddelt sie sie geschickt zu einem grünen Ball und stopft sie ins Maul. Ebenso gern frisst sie Cherimoya-Früchte, die ein wenig nach Zimt schmecken. So gut hatte die dicke Dame es nicht immer. In ihrem langen Arbeitsleben wuchtete sie in den Wäldern Thailands Baumstämme für die Holzindustrie und war Reitelefant im Trekking-Tourismus. Ganz ausgemergelt kam sie vor zwei Jahren in den Elephant Nature Park (ENP). Umgeben von grünen Hügeln liegt der Park eineinhalb Autostunden vom nordthailändischen Chiang Mai entfernt. Er ist Rettungsstation und Reha-Zentrum für ausgediente oder in Not geratene Dickhäuter – eine Art Altersheim, denn die meisten „Bewohner" sind 60 bis 90 Jahre alt. Gelenke knacken, Hüften schmerzen. Der eine hinkt, der andere trat einst auf eine Landmine und trägt jetzt einen Spezialschuh. „Viele haben Schlimmes erlebt und kommen hier ganz verängstigt an. Man muss sich ihnen behutsam nähern", sagt Guide Sai, der seit fünf Jahren im ENP arbeitet. Seit 4.000 Jahren werden thailändische Elefanten domestiziert, um sie als Waldarbeiter einzusetzen. Doch nachdem die Regierung die weitflächige Abholzung Ende der 80er-Jahre verbot, verloren immer mehr Elefanten ihre Arbeitsplätze. In Gefangenschaft geboren, konnte man sie nicht einfach auswildern. Obendrein mussten die Mahouts, die Elefantenführer, ihre Familien ernähren. Sie suchten neue Einnahmequellen im Tourismus. Manche bieten nun Reitausflüge an oder dressieren ihre Dickhäuter, mit dem Rüssel ein Bild zu malen oder Fußball zu spielen.
„Unterschiedlich wie Menschen"
Der Elephant Nature Park ist einer von denen, die einen anderen Weg gehen – ohne Dressur, ohne den dabei oft verwendeten Stachelstock. Die Elefantendamen können sich auf dem Gelände frei bewegen und werden zu nichts gezwungen. Bei einer Führung durch den Park kommt man den Tieren ganz nah. Man lernt viel über ihre Gewohnheiten und die Charaktere. Eine Elefantenkuh wälzt sich in einem Schlammbad, die andere schrubbelt ihren Bauch für ein Hautpeeling an einem Holzpfahl. „Manche fressen gern Melone, andere bevorzugen Ananas. Sie sind so unterschiedlich wie Menschen", erzählt Sai. Er trägt eine Sonnenbrille und einen Reisbauernhut gegen Sonne und Hitze. Über einen Knopf im Ohr hält er Kontakt zu den anderen Guides. Der Höhepunkt ist, wenn die Mahouts die Elefanten mit Bananen zum Fluss locken, wo sie von den Urlaubern gebadet werden. Das scheinen sie zu genießen. Während unzählige Eimer voll Wasser über die borstigen Rücken klatschen, stibitzen die Rüssel eine Banane nach der anderen aus einem Blecheimer. Der Park ist aufgrund seines humanen Umgangs mit den Tieren so beliebt, dass man seinen Besuch am besten ein Jahr im Voraus reserviert.
Ebenso nah kommt man den grauen Kolossen im Elephant Conservation Center in Lampang. Auch hier hat man sich der Rettung notleidender Elefanten verschrieben.
Zur Anlage gehören ein Elefanten-Kindergarten und ein Krankenhaus. Tierärztin Nissa versorgt gerade einen Dickhäuter mit kapitalen Stoßzähnen, den Blähungen plagen. Die junge Frau in Jeans und Tarnhemd deutet auf den topfgroßen lila Fleck an seiner Hinterbacke. „Da haben wir den Narkose-Einstich vorsichtshalber markiert. Die Dosis ist so hoch, dass ein Mensch sterben kann, wenn das Mittel in seinen Körper kommt." Durch ihre Arbeit mit kranken Tieren weiß sie, wie unberechenbar die Dickhäuter sein können. „Jeder reagiert anders, wenn wir ihm eine Spritze geben. Die einen zucken nur kurz, die anderen wollen uns überhaupt nicht mehr an sich heranlassen oder werden richtig aggressiv." Viele westliche Touristen sind entsetzt, wenn Elefanten in Ketten angebunden sind oder wenn der Mahout den Stachelstock einsetzt. Aber gerade bei Streichelkontakt findet Nissa es unverantwortlich, keinen Stock parat zu haben. „Elefanten wiegen bis zu fünf Tonnen und von den Genen her sind es immer noch Wildtiere". In der sogenannten Musth-Periode entfaltet sich so viel Testosteron im Bullen, dass die Drüsen anschwellen, er penetrant riecht und die Vorhaut sich verfärbt. Dann ändert sich auch sein Charakter kurzzeitig. Er verträgt keinen Lärm, hört kaum auf die Kommandos seines Pflegers und versucht möglicherweise, vertraute Artgenossen oder Pfleger zu attackieren. Junge Mahouts überfordert das oft. Deshalb bietet das Conservation Center Ausbildungsprogramme an, in denen das Wissen der älteren Kollegen weitergeben und richtiges Verhalten trainiert wird.
Wegen der Musth gibt es im ENP nur eine Handvoll Bullen unter den Bewohnern. Die meisten Damen haben die fruchtbaren Jahre längst hinter sich. Trotzdem wurden hier ein paar Babys geboren. „Sie spielen gern", warnt Sai. Doch sie haben Temperament wie kleine Raketen. Der Teenager „Gangster" hat deshalb ein eigenes Gehege. Seine Verwandten kommen täglich zum Rüsselschmusen an den Zaun. „Für die Jungen fehlt uns noch ein Konzept", gesteht Sai. Sie brauchen viel Auslauf, eigentlich passen sie und die Bullen nicht so recht ins Seniorinnen-Heim.
Auch Babys werden hier geboren
„Elefanten sind wie Kinder, sie essen und pupen den ganzen Tag", bestätigt Blake Dinkin lachend. Der sympathischer Kanadier mit den lebhaften, braunen Augen führt seit Jahren Buch über das, was die Elefanten im Golden Triangle Elephant Camp in Chiang Saen fressen und notiert, wie es ihnen bekommt. Blake füttert sie nicht nur mit Zuckerrohr, Ananas, Tamarinde oder Macadamia-Nüssen, sondern auch mit reifen Kaffeekirschen. Die darin enthaltenen Bohnen plumpsen unverdaut wieder heraus. Dann sammeln die Mahouts sie ein. Auf Handschuhe verzichten die meisten. Elefanten sind Vegetarier, ihr Dung ist absolut hygienisch. Die Bohnen werden gereinigt, sonnengetrocknet, geschält, handsortiert und geröstet. Das Besondere: Bestimmte Enzyme im Elefantenmagen spalten die Proteine und nehmen damit der Bohne die Bitterkeit. Die Fermentation gibt ihr ein fruchtiges Aroma. Besonders ist auch der Preis: Von 33 Kilo Kaffeekirschen bleibt ein Kilo Bohnen übrig – es kostet 1.800 Dollar. Der teuerste Kaffee der Welt!
Als Entwicklungshelfer hat Blake anfangs in Äthiopien mit „Katzenkaffee" experimentiert, um Einheimischen zu zeigen, dass man mit den Zibetkatzen auch anders Geld verdienen kann, als sie für die Parfümproduktion zu jagen. Aber das Tier hatte ein zu schlechtes Image. Dann hörte er von einer Elefantenherde, die im Wald nicht genügend Futter fand und deshalb über Kaffeefelder herfiel. Seit zehn Jahren forscht er in Sachen Elefantenkaffee. Thailand ist perfekt für ihn. „Hier gibt es genügend domestizierte Elefanten und weniger Korruption als in Afrika." Dabei ist ihm die Gesundheit der Tiere so wichtig wie die soziale Ethik im Dorf. „Es soll nur ein Snack sein. Höchstens zwei Prozent der Nahrung sind Kaffeebohnen." Mit deren Aufklauben verdienen die Einheimischen zusätzlich neben der Reisernte. Sie bekommen das 14-fache eines Kaffeepflückers. „Warum soll ich sie nicht gut bezahlen? Auf ein paar Dollar mehr beim Kaffeepreis kommt es doch nicht an", meint Blake. Acht Prozent des Umsatzes fließen in eine Stiftung, die sich um kranke Tiere kümmert. Inzwischen liefert Blake Kaffee an 20 Luxushotels weltweit. Da er nur circa 200 Kilogramm pro Jahr herstellt, übersteigt die Nachfrage das Angebot bei weitem. Online-Käufer müssen sich in eine Warteliste eintragen.
Im Camp serviert ein geschulter Mitarbeiter den „Black Ivory Coffee" in einer speziell dafür angefertigten Kaffeemaschine aus Chrom, angelehnt an ein Modell aus Frankreich aus dem Jahre 1840. Darin knistert ein Feuer, das Brühwasser gurgelt, es duftet wie handgemahlener Kaffee. Dem Nasen-, Augen- und Ohrenschmaus folgt die Genussprobe: Ein feiner, komplexer Geschmack, der an Tee erinnert. „Er schmeckt immer anders, je nachdem was die Tiere gefressen haben und je nach Wassertemperatur", schwärmt Blake. Wie ein Weinkenner zählt er leckere Aromen auf. Gras, Malz, im Abgang Schokolade oder Karamell. Womöglich könnte Zimtapfel die Aromapalette nochmals erweitern. Trotz ihrer 72 Jahre hätte die Elefantendame gute Chancen auf einen Rentnerjob in der Kaffeeproduktion.