Als einer der hippsten Designer der Gegenwart hat Virgil Abloh mit seinem luxuriösen Streetstyle die Modewelt revolutioniert. Zunächst mit seinem Label Off-White, seit Frühjahr 2018 zusätzlich auch noch als Kreativdirektor für Menswear bei Louis Vuitton.
Er sieht aus wie ein Rapper und pflegt seit vielen Jahren auch beste persönliche Kontakte zu der Szene. Und mit Musik hat er als angesagter Gelegenheits-DJ unter dem Künstlernamen „Flat White" mit bis zu 200 Auftritten im Jahr auch viel zu tun. Doch am bekanntesten ist der am 30. September 1980 als Sohn ghanaischer Einwanderer in Rockford, einem Vorort von Chicago, geborene Virgil Abloh als Modemacher. Sein 2013 gegründetes Label Off-White ist die erklärte Lieblings-marke der Millennials und derzeit eine der angesagtesten Brands der internationalen Fashion-Welt. Es gibt eine Herren- und Damen-Kollektion samt reichlich Unisex-Modellen. Allerdings wird gemeinhin Ablohs Stärke noch eher in der Menswear gesehen – was sich auch aus der jüngsten Ernennung zum Kreativdirektor der Herrenmode des Pariser Nobel-Traditionshauses Louis Vuitton ableiten lässt.
Der Weg in die Modewelt war dem jungen Mann keinesfalls in die Wiege gelegt, wenn man mal davon absieht, dass seine Mutter als Näherin gearbeitet hat. In der Freizeit pflegte er auf der Straße abzuhängen, Skateboard zu fahren und Hip Hop oder Rock ’n’ Roll zu hören. „Ich war ein typischer Teenager der 90er-Jahre", sagt Abloh, „ich hörte Nirvana und A Tribe Called Quest und bewunderte Michael Jordan."
Typischer Teenager der 90er
Genau in dieser Zeit wurde nach und nach die Streetwear populär, inspiriert vom Look der Skater, Rapper und Basketballer, mithin ziemlich genau Ablohs damaligen Vorbildern entsprechend. Ob er das 1994 gegründete Kultlabel Supreme schon im Blick hatte, ist nicht bekannt, Ralph Lauren ist für Abloh allerdings noch heute „der beste Streetwear-Designer aller Zeiten".
Nach Abschluss der Highschool, wo er bereits seine spätere Frau Shannon kennenlernte, absolvierte er bis 2002 ein Studium der Ingenieurwissenschaften an der University of Wisconsin-Madison (Bachelor als Bauingenieur) und anschließend machte er 2006 auch noch einen Abschluss als Master of Architecture am Illinois Institute of Technology. Sein Vater hatte die Studienfächer für ihn ausgewählt, doch er hatte keine Lust darauf, den entsprechenden Berufsweg einzuschlagen. „Das Tempo dort ist mir zu langsam", sagt Abloh. „Ich arbeite gerne an mehreren Projekten gleichzeitig, treffe 30 kreative Entscheidungen am Tag. Das ist mein Rhythmus." Glücklicherweise hatte er diesbezüglich schon einen passenden Job gefunden. Denn 2002 hatte er den damals noch nicht weltberühmten Rapper Kanye West in Chicago getroffen, sich mit ihm angefreundet, ihm als Berater zur Seite gestanden und schließlich einige Jahre später offiziell die Position als Kreativdirektor von Wests Firma Donda angetreten. Mit den von Abloh entworfenen Fanartikeln, egal ob T-Shirts, Bomberjacken oder Sweatern, verdient West seitdem ein Vermögen. 2009 waren die beiden Freunde gemeinsam zum Besuch der Pariser Modewoche aufgebrochen und hatten sich beispielsweise die Show von Comme des Garçons angesehen. Im gleichen Jahr machten beide ein Praktikum bei Fendi in Rom. was natürlich nicht gerade als klassische Ausbildung zum Modedesigner angesehen werden kann.
2012 wagte Abloh den ersten Schritt in die modische Selbstständigkeit. Er kaufte für kleines Geld Ramschware von Champion und vor allem Ralph Lauren auf und bedruckte T-Shirts, Hoodies oder Hemden großflächig mit dem weißen, unübersehbaren Schriftzug „Pyrex". Die Sache mit Pyrex Vision war so etwas wie ein Testlauf, der wie eine Bombe in der Streetwear-Community einschlug, weil die Klamotten durch Kanye West und dessen Kollegen ASAP Rocky promotet wurden. Letzterer präsentierte die Mode in seinen Musikvideos, weitere Musiker wie Kendrick Lamar oder Chris Brown folgten seinem Beispiel. Die Kids rissen sich um die Kleidung, trotz Preisen von bis zu 550 Dollar. Im Umfeld der selbsternannten „Fashion Killa" wurde Ablohs Pyrex in Windeseile Kult. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt war die perfekte Vernetzung Ablohs mit den einflussreichsten Influencern ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Speziell in der Rapper-Szene hatte er auch noch beste Kontakte zu Größen wie Lil Uzi Vert, Big Sean oder Travis Scott aufgebaut. Und dank Kayne West sollte ihm bald durch Kim Kardashian und Co. ein Großteil der Instagram-Gemeinde zu Füßen liegen.
Die Straße bestimmt Trends
Pyrex Vision wurde 2013 durch das neue Label Off-White ersetzt, womit ein unterdefinierbarer Farbton in der Nähe von Weiß gemeint ist. Ablohs Konzept lautete: „Mein Job ist es, eine Pariser Laufstegversion von dem zu machen, was auf der Straße passiert." Aus seiner Sicht bestimmen längst nicht mehr die Designer, was in der Fashion-Welt angesagt ist, sondern die Straße. Mit der Idee, die Mode von unten nach oben zu demokratisieren, stand er nicht allein da. Schließlich gab es da auch noch einen gewissen Demna Gvasalia mit Vetements und neuerdings einen gebürtigen Russen namens Gosha Rubchinskiy, dem es kürzlich gelungen ist, das britische Edellabel Burberry für Streetwear zu erwärmen. Alle drei haben „die Modewelt revolutioniert", wie die „Zeit" jüngst schrieb. Vom Look her sind die Kreationen von Off-White (mit Sitz in Mailand) immer noch Streetwear, die aber mit den aus dem Luxussegment bekannten Verarbeitungstechniken und Materialien in der Regel in Italien gefertigt werden. „Steetwear meets luxury" könnte man beim Blick auf seine Trainingsanzüge, Kapuzenpullis, College-Jacken, Shirts, Jeans oder Baggy-Pants dazu sagen.
Die Verbindung dieser beiden scheinbaren Gegensätze macht den Erfolg seines Labels aus. Anregungen findet er häufig bei seiner DJ-Arbeit: „Der Club ist meine Inspiration. Ein großer Teil dessen, was Popkultur ausmacht, findet nachts dort statt." Schlafen kommt dabei natürlich zu kurz, vier Stunden müssen reichen, schließlich hat der Mann, der sich selbst niemals Modedesigner, sondern lieber Künstler oder Kreativdirektor nennt, noch jede Menge weiterer Nebenbeschäftigungen, beispielsweise Kooperationen für Sneakers mit Nike, für Schuhe mit Jimmy Choo oder für Teppiche mit Ikea (ab 2019 im Handel). Auch die eigene Möbel-Kollektion, die er erstmals 2016 auf der Baseler Kunstmesse präsentierte, will weiter ausgebaut werden. Auch von einem eigenen Buchverlag war schon mal die Rede, die gut ein Dutzend Flaggschiff-Stores von Off-White nicht zu vergessen.
Label verbunden mit Lebensstil
Dass er bei seinen Modeentwürfen immer wieder mal Vorbilder wie Ludwig Mies van der Rohe oder Caravaggio ins Gespräch bringt, sollte man nicht so ernst nehmen. Denn vieles ist in Ablohs Aussagen ironisch durchsetzt. Er möchte nicht nur Mode verkaufen, sondern mit seiner Marke einen Lebensstil verbinden. „Kleidermarken können wie Musikbands einen Kult begründen. Streetwear galt immer als billig, weil sie im Gegensatz zur Laufstegmode nicht konzeptuell ist. Ich bringe abstrakte Referenzen in die Streetwear", so Abloh. Die „Zeit" nannte seine Mode „auf stilvolle Weise prollig, für echtes Proletentum fehlt ihr das Aufgebrezelte." Der Vorwurf seiner Kritiker, er mache nur Mode, die ohnehin schon auf der Straße getragen werde, lässt ihn völlig kalt. „Früher ging es darum, den Leuten vorzugeben, was sie tragen sollen. So funktioniert Mode nicht mehr. Relevant ist das, was tatsächlich getragen wird", sagt Abloh.
Fashion-Insider hatten schon geraume Zeit darüber spekuliert, dass sich ein renommiertes Traditionshaus dem Exempel Demna Gvasalia und Balenciaga folgend die Dienste des einflussreichen Streetstyle-Stars sichern könnte. Dass ausgerechnet Louis Vuitton das Rennen machte, dürfte den persönlichen Kontakten zwischen Geschäftsführer Michael Burke und Abloh zu verdanken sein, die beide seit gemeinsamen Fendi-Tagen gepflegt hatten. Auch wenn die „Vogue" schon mal darüber spekuliert hat, dass Abloh künftig womöglich auch die kreative Verantwortung für die Womenswear des Nobellabels übertragen werden könnte, so ist der erste Modemacher mit afro-amerikanischen Wurzeln auf dem Louis-Vuitton-Designer-Thron doch zunächst nur für das Herrensegment zuständig.
Das Engagement Ablohs, in dessen Heimatstadt Chicago 2019 im Museum of Contemporary Art die erste große Ausstellung seines bisherigen Schaffens zu sehen sein wird, macht durchaus Sinn, sind die etablierten Luxuslabels doch zwangsläufig auf der Suche nach Verjüngung mittels Street- und Sportswear. Ablohs mit Spannung erwartete erste Kollektion für den Sommer 2019 wurde schon im Juni in Paris vorgestellt und allgemein hochgelobt. Nur die „FAZ" mäkelte herum, weil Abloh auf dem bestem Wege sei, aus Louis Vuitton „eine Art Plastik-Streetwear-Label" zu machen. Kann man sicherlich so sehen, aber genau in diese Richtung soll das Ganze wohl gehen.
Andrang und Tumult wie bei Konzerten
Die „Vogue" war jedenfalls ganz aus dem Häuschen angesichts von weiten Hosen zu schmalen Blazern, kastigen Hemden zu engen Westen, Hoodies, Strickpullovern, Blousons, Feldjacken, Capes, Wildlederturnschuhen mit neongelben sowie blauen Details oder Handtaschen und Koffern aus Leder oder durchsichtigem Kunststoff mit Keramikketten. In der Front-Row drängte sich die Influencer-Prominenz um Kim Kardashian, Rihanna, Bella Hadid oder Kylie Jenner. Kardashian trug Off-White-Klamotten, die übrigen Damen feminin gestylte Teile aus der gerade auf dem Laufsteg präsentierten Menswear-Kollektion. Sein eigenes Label Off-White wird Abloh natürlich weiterhin führen, für die Sommersaison 2019 hatte er in Paris jede Menge Workwear, destroyed Denim, kantige Shirts und Oversize-Mäntel vorgestellt.
Für die Damen hatte sich der Off-White-Chef bei seiner Sommerkollektion 2018 von Lady Di inspirieren lassen und zeigte Tüllkleider in A-Linie, breite Blazer, Mom-Jeans aber auch Culottes-Jumpsuits. Der Präsentation der Herbst-Winter-Kollektion 2018/2019 waren Tumulte vorausgegangen, weil manche Besucherinnen schiebend und drängelnd den Einlass in den Showroom kaum erwarten konnten. Es gab streetwearartige Teile wie einen hautengen schwarzen Bodysuit, Neopren-Korsagen oder weite Capes mit Kapuze, aber auch Eleganteres wie Midikleider mit hohem Beinschlitz oder Pailletten-Klamotten.