Während deutschen Bauern Millionenhilfen wegen der Dürrephase versprochen wurden, unterstützt die EU seit Jahren die Reisbauern in der französischen Camargue. Der Anbau würde sich längst nicht mehr lohnen, doch ohne den Reis würde die Region von der Landkarte verschwinden.
Am Horizont trifft das Meer ruhig wie ein See auf die Küste. Flamingos stehen im seichten Brackwasser und suchen nach Krebsen. Auf der anderen Seite des Aussichtsturms breitet sich die Sumpflandschaft der südfranzösischen Camargue aus, so weit das Auge reicht. Ein Hauch Everglades mitten in Europa. Es ist ein einzigartiges Biotop, in dem das Zirpen der Zikaden den Soundtrack spielt. Camargue-Pferde stehen auf Weiden zwischen den Sumpfgebieten, schwarze Stiere grasen in aller Seelenruhe, und irgendwo in diesem friedlichen Treiben steht Pierre Cartier bis zu den Knöcheln mit Gummistiefeln und Strohhut bekleidet in einem Reisfeld und arbeitet daran, dass das Biotop nicht zugrunde geht. Der französische Reisbauer kämpft einen ständigen Kampf zwischen Süß- und Salzwasser, den er beherrschen muss wie andere das morgendliche Schuhebinden vor dem Verlassen des Hauses. Denn in den Sümpfen der Camargue vermischt sich das Meeres- mit dem Süßwasser.
Reisanbau in der südfranzösischen Region Camargue gibt es bereits seit dem 17. Jahrhundert – mindestens. Denn schon am im August 1593, also vor ziemlich genau 425 Jahren, soll König Henri IV. auf Empfehlung eines Ministers angeordnet haben, in der Camargue Reis anzubauen, auf der Suche nach der besten Beilage für sein sonntägliches Huhn. Dort in den feuchten Sumpfgebieten zwischen den beiden Mündungsarmen der Rhone finden sich ideale Bedingungen für die Pflanzenfelder, die zwar von Weitem aussehen wie saftig grüne Wiesen, tatsächlich aber selbst Sumpfgebiete sind, denn Reis wächst im knöchelhoch stehenden Wasser. Über die Jahre hinweg wurde der Reisanbau in der Camargue zu einem wichtigen Faktor für Wirtschaft und Umwelt in der gesamten Region. Durch die natürliche Lage des Sumpfgebiets zwischen Meer und Land verdunstet dort mehr Wasser, als hinzukommt.
Ohne Reis eine Salzwüste
Die Reisbauern wie Pierre Cartier leisten mit ihrem Anbau einen wichtigen Beitrag für die Erhaltung der Böden: „Dadurch, dass wir dem Reis regelmäßig Süßwasser zuführen, sorgen wir für ein Gleichgewicht und dafür, dass der Salzgehalt im Boden nicht überhandnimmt", erklärt er. In diesem Jahr läuft wegen des heißen Wetters der vergangenen Wochen bereits sehr früh die Reisernte. Die Betriebe der Reisbauern der Region sind durchschnittlich knapp 200 Hektar groß. Immerhin so groß wie fast 300 Fußballfelder. Um diese Felder bewirtschaften zu können, bewässern die Bauern jedes Reisfeld mit einem ausgeklügelten Kanalsystem. Pierre Cartier führt Besucher gern auf seine Plantage. Ein Feldweg führt durch das Sumpfgebiet auf einen verlassen wirkenden Hof. Eine Holzhütte steht dort, in der Kunden die Produkte der Cartiers kaufen können. Nur wenige Meter hinter der Hütte beginnt das erste Feld, das auf den ersten Blick aussieht wie eine Frühlingswiese. Nur die übermäßig hohe Anzahl an Mücken, die umhersurren, die Schilf- und Bambuspflanzen, die das Gelände in eine Art Dschungel verwandeln, deuten darauf hin, dass hier etwas für Europa ganz besonderes wächst. Die Feuchtigkeit liegt in der Luft. Es ist schwül an diesem Augusttag – und das liegt nicht nur am Wetter, sondern auch an der Feuchtigkeit, die von unten kommt. Für jedes Kilo Reis, das Pierre Cartier produziert, benötigt er rund 1000 Liter Wasser. Die Bewässerung kostet viel Geld. So viel, dass die Bauern heutzutage nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu finanzieren. Deshalb zahlte die EU im Schnitt 800 Euro pro Hektar und Jahr, um den Bauern unter die Arme zu greifen – zunächst aber nur bis ins Jahr 2016. Denn weil das französische Wirtschaftsministerium die Verteilung der Gelder umstrukturierte, stand der gesamte Wirtschaftszweig vor dem Aus. Rund 300 Euro weniger pro Hektar bekamen die Bauern fortan und mussten sich andere Tätigkeitsfelder suchen. Pierre Cartier baut ohnehin schon seit jeher Wein an. Den Reisanbau wegen wirtschaftlicher Probleme aufzugeben, kam für ihn aber nicht in Frage: „Ich bin in vierter Generation im Reisanbau tätig", sagt er. „Der Reisanbau ist eine Leidenschaft, die wir in unserer Familie von jedem Vater an den jeweiligen Sohn weitergegeben haben." Auch Cartiers Sohn arbeitet inzwischen im Familienunternehmen mit. Ohne Familien wie die Cartiers wäre die Camargue schon längst kein Ökosystem mehr, sondern eine Salzwüste. Doch von den mehr als 200 Produzenten waren nach der Kürzung der Finanzhilfen nur noch 160 übrig, die sich irgendwie durchschlugen.
Agrarsubventionen, von denen Landwirtschaftsbetriebe abhängig sind, gibt es bei Weitem nicht nur in Südfrankreich. Deutsche Bauern sollen nun Hilfen in Höhe von 150 bis 170 Millionen wegen der andauernden Dürreperiode von der Bundesregierung erhalten. Doch auch standardmäßig bekommen Bauern in ganz Europa regelmäßige Finanzspritzen: Die Ausgaben für den Agrarsektor liegen im Moment bei etwa 58 Milliarden Euro jährlich. Das sind fast 40 Prozent des EU-Budgets. Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nennt sich das Förderprogramm, das seit mehr als 50 Jahren der einzige voll gemeinschaftlich finanzierte Politikbereich der EU ist. Damals war es nicht selbstverständlich, dass die Bevölkerung günstige Lebensmittel als Grundversorgung erhält. Bauern konnten durch die Hilfen günstiger produzieren. Heute geht es oft darum, das Sozialleben im ländlichen Raum intakt zu halten – denn wenn sich ein junger Landwirt seinen Betrieb nicht leisten kann, zieht er in vielen Fällen in die Stadt.
„Unnötige Konkurrenz für Asien-Reis"
In der Camargue sind die Subventionen für die Bauern aber auch eine Art Versicherung, um das Mikroklima zu erhalten. Zwar sei es legitim, die Region zu bezuschussen, heißt es aus dem grünen Lager, doch müsse man solche Subventionen an soziale und umweltpolitische Kriterien koppeln. Die Gegenseite argumentiert damit, dass die Reisbauern in den Vereinigten Staaten ebenfalls Subventionen erhielten. Die Kritiker des Reisanbaus in Europa wiederum sehen in der hiesigen Produktion eine unnötige Konkurrenz für asiatischen Reis. Denn nach Europa, sagen sie, gehöre die Pflanze nicht. Die Reisbauern in der Camargue sehen das freilich anders. Und auch Umweltschützer und politisch Verantwortliche stellen sich auf ihre Seite, wie der Direktor des Nationalparks Camargue, Régis Vianet, der nach der Deckelung der Finanzspritzen in einem Fernsehinterview für eine Wiedereinführung warb: „75 Prozent aller französischen Wasservögel leben in der Camargue", sagte er, „aber auf den Reisfeldern gibt es nicht nur Vögel. Dort wimmelt es nur so vor Leben. Dieses Biotop ist zwar künstlich, aber sehr lebensfreundlich." 100.000 Hektar Land stehen in der Camargue unter Naturschutz. Der Reis spielt dabei eine wesentliche Rolle. Nach monatelangen, erheblichen Protesten der Reisbauern und ihrer Unterstützer entschied sich das französische Landwirtschaftsministerium dazu, die finanziellen Hilfen nach nur einem Jahr, 2017, wieder so zu bezahlen, wie es die Bauern gewohnt waren.
Für Pierre Cartier und seine Kollegen, die das Ökosystem der Sumpflandschaft in Südfrankreich aufrechterhalten, war das eine große Erleichterung – zumindest bis zum Jahr 2021. Denn dann will der EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger deutliche Kürzungen im Agrar-Etat vornehmen. Wo, ist noch nicht klar. Die Reisbauern der Camargue werden aber wieder genau hinschauen und hoffen, dass ihre Arbeit danach weitergehen kann.