Klassische Geschlechtskrankheiten wie Syphilis oder Tripper schienen längst ausgerottet zu sein. Doch inzwischen liegt die Zahl der jährlichen Gonorrhö-Neuinfektionen wieder bei geschätzten 78 Millionen. Immer mehr Erreger sind heute gegen Antibiotika resistent.
Lange galten sie als Relikt vergangener Tage. Doch seit einiger Zeit schlagen immer mehr Gesundheitsexperten Alarm. Die klassischen, durch Bakterien hervorgerufenen Geschlechtskrankheiten wie Syphilis und Tripper, auch Gonorrhö genannt, sind wieder auf dem Vormarsch. Wobei vor allem Letzterer Medizinern immer größere Sorgen bereitet, weil immer mehr Erregerstämme gegen die gängigen Antibiotika resistent sind. Bald wird es womöglich kein wirksames Mittel mehr gegen die Keime geben. Anfang des Jahres sorgte ein Brite für Schlagzeilen, weil bei ihm erstmals ganz offiziell dokumentiert werden konnte, dass seine Krankheitserreger gleich auf beide Medikamente der aktuellen Standardtherapie nicht mehr reagiert hatten.
Schon heute gelten die beiden Antibiotika Azithromycin, das immer häufiger versagt, und Ceftriaxon, das meist noch zuverlässig die Bakterien bekämpfen kann, als letzte wirksame Kombination gegen die Geschlechtskrankheit. Die Gefahr eines nicht mehr therapierbaren Tripper-Erregers ist schon lange bekannt. Daher hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Gonorrhö-Bakterien 2017 auf eine Prioritätenliste mit zehn Erregern gesetzt, gegen die am dringendsten neue Antibiotika gebraucht werden. Eile tut Not, denn jährlich liegt die Zahl der Tripper-Neuinfektionen laut WHO bei unglaublichen 78 Millionen. Daten für Deutschland gibt es nicht, weil Tripper hierzulande, im Unterschied zu Syphilis oder auch HIV, keine Erkrankung ist, die laut Infektionsschutzgesetz meldepflichtig ist. Schätzungen zufolge sind es aber mindestens 20.000 bis 25.000 jährliche Neuinfektionen – Tendenz steigend.
„Herausforderung für Gesundheitswesen"
Dass Bakterien gegen Antibiotika resistent werden, ist ein geradezu natürlicher Prozess. Dank zufälliger Veränderungen im Erbgut können einzelne Bakterien Schutzmechanismen gegen die Medikamente entwickeln. Wenn diese resistenten Keime sich verbreiten, werden sie zu einem Problem. Genau aus diesem Grund mussten die Mediziner bei der Bekämpfung der Tripper verursachenden Bakterien, den Gonokokken immer wieder auf neue Antibiotika umschwenken. 1943 wurde erstmals Penicillin gegen die Bakterien eingesetzt, das weltweit erste Antibiotikum. Schon 1955 musste dessen Dosis um das Zehnfache erhöht werden. Mitte der 60er-Jahre wurde Penicillin durch das Antibiotikum Tetracylin mit einem gänzlich anderen Wirkmechanismus ersetzt. In den 80er- und 90er-Jahren kamen Fluorchinolone genannte Antibiotika gegen Tripper in Umlauf. Azithromycin gehört zur Gruppe der Makrolidantibiotika, das von der WHO 2004 empfohlene Ceftriaxon zur Antibiotika-Gruppe der Cephalosporine. Auf die wachsende Gefahr eines Post-Antibiotika-Zeitalters, in dem gewöhnliche Infektionen wieder tödlich enden könnten, hatte die WHO bereits 2014 hingewiesen. Besonders der Tripper bereitet der WHO erhebliche Sorgen: „Die Gonorrhö wird durch hohe Infektionsraten und schwindende Behandlungsmöglichkeiten zu einer bedeutenden Herausforderung für das Gesundheitswesen."
Der Prävention kommt daher eine immer wichtigere Bedeutung zu. Laut Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist Tripper ausgesprochen ansteckend. Die Erreger besiedeln Schleimhäute und kommen auch im Ausfluss aus Scheide, Penis oder After vor. Sie werden meist durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen, wobei speziell auch Oralsex zu einer bedenklichen, da häufig nicht oder nicht schnell genug feststellbaren Infektion im Rachenbereich führen kann. Von daher ist auch bei Oralverkehr zu Kondomen zu raten, weil Gonokokken-Infektionen des Rachenraums viel schwerer antibiotisch zu behandeln sind. Zwischen der Infektion und dem Auftreten der ersten Symptome liegen meist nur wenige Tage. Betroffene bekommen einen gelblichen Ausfluss aus Penis, Scheide oder After und verspüren häufig ein Brennen beim Wasserlassen. Auch häufiger Harndrang kann ein Erkrankungssymptom sein. Bei Frauen können zusätzlich Blutungsstörungen, gefährliche Eileiterschwangerschaften oder Eierstock-Entzündungen auftreten.
Es gibt jedoch das große Problem, dass viele Infizierte keine oder kaum Symptome zeigen, sich ihrer Erkrankung daher gar nicht bewusst sind und sich keiner Behandlung unterziehen. Die Dunkelziffer an Infektionen ist daher eminent hoch, was auch Prof. Peter Schwärzler, Chefarzt der Frauenklinik an der Asklepios-Klinik Barmbek in Hamburg zu bedenken gibt: „Bei Frauen treten nur in 20 bis 30 Prozent der Fälle Symptome auf, bei Männern ist die Zahl deutlich höher. 85 bis 90 Prozent der Patienten weisen Symptome auf." Tripper ist im Normalfall zwar nicht tödlich, kann aber unbehandelt bei Frauen wie Männern zur Unfruchtbarkeit führen, chronische Entzündungen der Gelenke, Bindehaut oder diverser Organe verursachen und die Anfälligkeit für andere gravierende Infektionen wie HIV erhöhen.
Nicht immer treten Symptome auf
Bei Schwangeren kann sich die Infektion auf das ungeborene Kind übertragen, was das Risiko einer Fehlgeburt oder einer schweren Augenkrankheit erhöhen kann. Eine mögliche Infektion lässt sich in der Arztpraxis leicht mittels eines Abstrichs aus Scheide, Penis, After oder Rachen feststellen. Klaus Jansen vom Berliner Robert-Koch-Institut vermutet, dass in absehbarer Zeit eine Supermikrobe auftauchen wird, gegen die kein Antibiotikum mehr wirken wird: „Früher oder später werden Gonokokken gegen jedes Antibiotikum resistent werden, das man gegen sie einsetzt." Aber bis dahin braucht es auf jeden Fall neue Antibiotika, deren Entwicklung allerdings für die Pharmaindustrie recht risikoreich und häufig nicht lukrativ ist. In Laborversuchen haben Forscher des Imperial College London und der London School of Hygiene & Tropical Medicine 2017 recht Erfolg versprechend das neue Antibiotikum Closthioamid an 149 Patienten getestet. Es dürfte jedoch noch einige Jahre dauern, bis ein entsprechendes Medikament auf den Markt kommen wird.
Möglicherweise gibt es bald auch einen Impfstoff gegen Tripper. In den 90er-Jahren hatten sich verschiedene Impfstoffe gegen Gonorrhö zwar als unwirksam erwiesen. Doch letztes Jahr hat ein Forscherteam aus den USA und Neuseeland eine Studie im Fachmagazin „Lancet" veröffentlicht, wonach ein längst bekannter Wirkstoff namens „MeNZB" nicht nur gegen Hirnhautentzündung, sondern auch gegen das Tripper-Bakterium Neisseria gonorrhoeae zu schützen scheint. Die Meningitis-Erreger weisen nämlich eine Reihe genetischer Gemeinsamkeiten mit den Tripper-Bakterien auf. Einziger Haken: Der Wirkstoff „MeNZB" wird inzwischen nicht mehr hergestellt.
Die Wissenschaftler hoffen jedoch, dass neuere Impfstoffe gegen Meningitis einen ähnlich wirksamen Effekt bei der Bekämpfung der Gonokokken haben werden.