Am Anfang standen Auftritte in Kneipen mit Kabarett, Musik und Travestie. Heute ist das BKA-Theater in Kreuzberg eine Institution in der Berliner Theaterlandschaft. Seit 30 Jahren bietet es ganz unterschiedlichen Talenten eine Bühne – von Comedy über Poetry Slam bis hin zum Kindertheater.
Das hat sie doch glatt umgehauen: Edith Schröder, chronisch arbeitslose Hartz-VIII-Queen aus Neukölln, muss erfahren, dass ihre beste Freundin, die Kneipenwirtin Jutta, nach Mallorca ausgewandert ist. Wo soll sie jetzt ihren Futschi trinken (für Nicht-Neuköllner: eine Mischung aus Cola und Weinbrand)? Und vielleicht noch wichtiger – wo kann sie sonst anschreiben lassen? Keine Frage: Da muss was passieren. Und tatsächlich scheint sich ein Weg aufzutun: Biggy, die eine Leggings-Boutique hat und eine Filiale im neuen BER-Flughafen eröffnen will, verschafft ihr einen Job als Flughafentesterin: Sie soll schon mal die Abläufe checken. Als Edith dann auch noch einen versoffenen Piloten kennenlernt, reift ein Plan: Warum nicht eine eigene Fluglinie gründen und Jutta zurückholen? In den Händen der Ades-Zabel-Company ist das mehr als genug Stoff, um eine temporeiche Slapstick-Comedy auf die Bretter zu legen. „Fly, Edith, fly – vom Ballermann zum BER" ist eines der Erfolgsstücke im BKA-Theater und das jüngste der „Neuköllnicals" um „Protagonistin Edith". Ades Zabel ist mittlerweile so etwas wie ein Urgestein des Theaters: ob „pur" in einer Silvester-Show, als Grundschullehrerin Katrin Hoehne oder als Türkin Hürriyet Lachmann. Und irgendwie verweist das auch auf die Gründungsgeschichte dieser Bühne.
„Wir hatten von Anfang an einen Schwerpunkt auf queerem Theater", sagt Rainer Rubbert, einer der beiden Gründer und Geschäftsführer. „Das Wort gab es damals noch gar nicht. Aber wir waren in der Travestie-Szene zu Hause, gastierten in dem verrufenen SchwuZ (das Schwulen-Zentrum, seit 1977 eine Institution im damaligen West-Berlin), und da trat schon Ades Zabel auf." Mit Kabarett, und zwar einem vorwiegend musikalischen, hatten Rubbert und sein Compagnon Uwe Berger schon Ende der 1970er-Jahre in Berlin angefangen – als CaDeWe-Ensemble. Rubbert war immer der musikalische Kopf, Berger ist von der Ausbildung her Restaurantfachmann und studierter Betriebswirt. Damals spielten sie in der Kneipe „Max und Moritz" und dann im Mehringhof-Theater. Die Gruppe löste sich später auf, formierte sich neu zu den „Enterbten". Uwe Berger erinnert sich: „Wir waren in vielen kleinen Theatern auf Tournee. Irgendwann wurde aber wieder der Wunsch wach, ein eigenes Theater zu haben – weil es sehr viel komfortabler ist." Zu diesem Zeitpunkt stand die Diskothek „Dachluke" in der fünften Etage eines Altbaus am Mehringdamm leer. Rubbert und Berger überlegten nicht lang, griffen zu. Seit 1988 residiert so die Berliner Kabarett Anstalt – kurz BKA – über den Dächern von Kreuzberg.
Musikalisch war das BKA immer
Schon Ende der 80er-Jahre hatte der Kiez angefangen, sich zu verändern – die Kreuzberger Szene war längst nicht mehr ausschließlich linksalternativ, sondern auf dem Sprung in die glamourösen 90er-Jahre. Und nach dem Fall der Mauer 1989 lag das BKA nicht mehr am Rand von West-Berlin, sondern mittendrin in der Partyzone. Die Stimmung war optimistisch, Gefühl und Herz waren gefragt, eine bessere Welt schien nach dem Scheitern des Kommunismus möglich. Rubbert und Berger schwammen auf der Chanson-Welle: Die Opernparodisten Jordan & Arias und Georgette Dee gastierten, Melitta Sundstrøms viel zu früh beendete Karriere begann hier. Aufgeführt wurden im BKA-Theater auch die ersten Programme von Popette Betancor, Tim Fischer und Cora Frost. Auch die Musikkabarettisten Pigor und Eichhorn, die selbst vor der Vertonung von Heidegger-Texten nicht zurückschreckten, sammelten hier Bühnenerfahrung. Im BKA-Theater suchte man nach einer eigenen Handschrift – politisch sollten die Programme sein, aber auch schräg. Nicht zu ernst, nicht zu konventionell – schließlich wollte man sich von der neu formierten Ostberliner „Distel" oder den „Wühlmäusen" absetzen. Comedy, Improvisationstheater, Konzerte, Kindertheater, Musicals und Neue Musik fanden auf der Kreuzberger Bühne gleichberechtigt nebeneinander ihren Platz. „Wir waren manchmal politisch unkorrekt, aber nie gefällig, zeitweise auch trashig", sagt Uwe Berger.
Bis November wird im Theater das 30-jährige Bestehen unter dem Motto „Festspiele" gefeiert – mit Kategorien wie „Neues im BKA", „BKA All-Stars" und „Special Guests". „Mit der dritten Kategorie sind alle die gemeint, die schon mal hier waren, von Arnulf Rating über Sissi Perlinger bis hin zu Horst Evers und Christian Ehring", erläutert Rainer Rubbert. „Die ‚All-Stars‘ sind unsere festen Programme wie Ades Zabel, Jurassica Parka oder Ralf König. Und die Neuen sind halt die Nachwuchs-Komödianten, wie zum Beispiel der tolle, erst 17-jährige Bernard Paschke aus Bonn."
Das mit dem Nachwuchs hat schon mal schlechter ausgesehen, direkt nach der Jahrtausendwende, fügt Theatergründer Rubbert hinzu. „Da war es schwer, neue Leute für das kleine Format zu finden, alle wollten gleich große Karriere machen." Heute haben sie eine „kleine Bühne" im Foyer eingebaut. Sie dient als Podium für die Newcomer, die nicht gleich einen ganzen Abend bestreiten können. Geholfen hat dabei – wie schon mehrmals – eine Zuwendung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin. Sonst lebt das Theater ausschließlich von den Einnahmen.
Das BKA ist aber nicht nur Bühne für gesetzte Namen und Newcomer, sondern auch Produzent – im Herbst 2016 feierte das Off-Musical „Wildes Berlin" Premiere. Die Idee: Jeder Stadtteil Berlins wird durch ein Tier symbolisiert. Wilmersdorf durch einen allergischen Hasen mit Brille, Prenzlauer Berg durch einen schwäbischen Biber, Reinickendorf durch eine Füchsin. Es gibt eine Türkentaube, einen polnischen Automarder, einen amerikanischen Hipster-Waschbären und einen Schäferhund namens Rex. Das ganze spielt im Görlitzer Park. Mitte September kommt das Stück neu auf die Bühne.
Neben Gastspielen und Eigenproduktionen hat sich der Dampfer BKA noch mehrere Beiboote zugelegt. Da ist zum einen die ernste Musik. Rainer Rubbert, Absolvent der Hochschule der Künste (HdK) und Komponist, setzte bereits 1989 ein Zeichen und gründete die Konzertreihe „Unerhörte Musik". Jeden Montag gibt es seitdem zeitgenössische Kammermusik statt Kabarett. „Dabei kommen ganz unterschiedliche Musiker zusammen, teilweise auch aus Berliner Orchestern. Künstler, die einmal aus der Routine ausbrechen und etwas völlig anderes machen möchten", sagt Rubbert, der die Reihe mit dem Komponisten Martin Daske leitet.
Zum anderen tritt regelmäßig die „Theatersport"-Truppe im BKA zum Wettkampf an. Das sind sechs bis acht Allround-Künstler, die auf Zuruf aus dem Publikum Szenen, Dialoge, Songs, Sketche improvisieren. Ein Wettkampfrichter vergibt zusammen mit dem Publikum Punkte. Wer gewinnt, bekommt am Ende einen Pokal.
Und drittens kommt auch das Kindertheater nicht zu kurz. Unter dem Namen „Platypus" produziert eine freie Theatergruppe englischsprachige oder bilinguale Stücke für Kinder und Jugendliche. Anfangs waren das clowneske Stücke für Kindergartenkinder. Mittlerweile liegt der Schwerpunkt beim Jugendtheater in englischer Sprache. Zu den Aufführungen kommen vormittags Schulklassen von überall her ins BKA.
Nach 30 Jahren Theater sind die beiden Gründer vor allem stolz darauf, dass „wir es geschafft haben, so lange durchzuhalten". Das sei bestimmt keine Selbstverständlichkeit im harten Berliner Kulturbetrieb, in dem es ständig Veränderungen gibt. Ob klassisches politisches Kabarett aber auch weiter gefragt sei? Höchstens bei den Älteren, schätzen Uwe Berger und Rainer Rubbert. Der Trend gehe zu literarischem Varieté und Poetry Slam.