Vom deutschen Stress auf schwedischen Autobahnen
Als deutscher Fußballfan urlauben wir stets in einem Land, wo die Taten unserer Nationalmannschaft für den nötigen Respekt sorgen. Daher blieb diesmal nur Schweden, das wir wegen der fulminanten 2:1-WM-Klatsche wenigstens einigermaßen stolz bereisen konnten. Schweden ist ein schönes Land! Zwar braucht man drei Tage, bis man die Preise von sieben Euro für ein Bier und zehn Euro für ein Gläschen Wein geschluckt hat. Dann aber passt man sich integrationsbemüht den trinkfreudigen Einheimischen an.
Für Fußgänger ist Schweden ein Paradies: An Zebrastreifen genießt man stets den Vortritt. Auch wenn man sich sonstwo der Bordsteinkante nähert, halten schwedische Autofahrer oft an, um die Straßenüberquerung zu ermöglichen. Ein Lebensmüder, der sich in Schweden vor ein Auto stürzen will, braucht also vor allem Geduld – oder muss auf einen deutschen Leihwagen-Fahrer hoffen.
Als Deutscher auf schwedischen Autobahnen hat man viele Extremsituation zu meistern: So muss der in unserem nationalen Erbgut angelegte Überholdrang radikal unterdrückt werden. Dass sich alle Schweden an die durchweg geltende 90 bis 110 km/h Höchstgeschwindigkeit halten, macht einen deutschen Fahrer schier verrückt – wenn er nicht vorher am Steuer einschläft. So konnten wir auf einer etwa 200 Kilometer langen Etappe von Stockholm westwärts auf legalem Weg nie überholen und wurden selbst nur ein einziges Mal (Ausländer?) überholt. Da muss irgendwas schieflaufen auf schwedischen Straßen!
Wozu gibt’s da überhaupt eine zweite Spur, wenn alle stundenlang rechts hintereinander herfahren? Als uns am ersten Tag ein blauer Volvo zwei Stunden lang im Abstand von 200 Metern folgte, dachten wir schon, der Geheimdienst sei hinter uns her, um uns beim ersten Fahrfehler hinter schwedische Gardinen zu bringen. Wahrscheinlich ging es aber unserem Langzeit-Vordermann ja genauso!
Der Stress, den die Schweden durch ihre disziplinierte Fahrweise auf deutsche Autofahrer ausüben, wird allerdings durch zwei Vorteile etwas gelindert: Auf unserer dreiwöchigen Schweden-Rundreise haben wir keinen einzigen Stau erlebt und auch keine nervenden Lkw-Kolonnen. So blieb immer alles in Fluss. Leider bekamen wir die braven schwedischen Pkw-Piloten nie zu sehen, da sie ja immer 200 Meter vor oder hinter uns dahin kutschierten. Blickkontakt war aber ja auch nicht nötig, da es ohnehin keinen Grund zum Vogel-Zeigen gab.
Angesichts des fehlenden Überholdrangs der Einheimischen kamen uns allerdings gelegentlich Zweifel am Geisteszustand der schwedischen Verkehrsplaner. Warum gibt es an einigen Stellen sogar dreispurige Fahrbahnen, wenn schon die Überholspur so gut wie nicht benutzt wird? Wir können uns das nur so erklären, dass es sich bei dieser dritten Fahrbahn um die schwedische Form der Rettungsgasse handeln muss.
Dass in Schweden auf Autobahnen und Landstraßen so wenig Verkehr herrscht, könnte man eventuell ja auch der Tatsache zuschreiben, dass es halt insgesamt nur so wenige Schweden gibt. Aber wir müssten ja verrückt sein, auf diese Weise unseren grandiosen WM-Sieg zu relativieren.
Drei Wochen als Verkehrsteilnehmer in Schweden bringen einen deutschen Autofahrer an sein Limit: Weder kann er das Potenzial seines Wagens – und damit das eigene – voll ausschöpfen, noch kann er den dadurch entstehenden Frust an anderen Verkehrsteilnehmern abreagieren.
Erst bei der Heimfahrt auf der deutschen Autobahn flutete dann das Adrenalin wieder total entspannend durch unseren Körper. Endlich konnten wir das Gaspedal wieder voll durchdrücken, Vorderleute von der Überholspur drängeln und ihnen im nächsten Stau fluchend den Vogel zeigen.
Die Spätfolgen unseres Schweden-Aufenthaltes wollen wir allerdings auch nicht verschweigen. In letzter Zeit bekommen wir manchmal Angst vor unserem eigenen Fahrverhalten und entdecken am Steuer merkwürdige Unsicherheitsgefühle. Unser Arzt beruhigte uns jedoch, dass dieses „post-schwedische Automobil-Syndrom" ganz schnell von selbst vorbeigeht. Vorsichtshalber verschrieb er aber noch sechsmal 30 Minuten deutsche Autobahn.