Veggie-Day war gestern, heute ist Robert Habeck. Während sich die Großkoalitionäre im ungeliebten Bündnis abmühen, sind die Grünen in Reichweite von Platz zwei in der Parteienlandschaft gerückt. Entscheidender aber sind Antworten auf aktuelle Herausforderungen.
Ausgerechnet im CSU-Stammland Bayern ist das Ziel, Platz zwei zu erobern, nach derzeitigen Umfragen in greifbarer Nähe. Das hat viel mit der Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Schulze zu tun. Die gerade mal 33-Jährige verkörpert nicht nur einen Generationswechsel, ihr Auftreten kommt fast schon einem Gegenentwurf zu dem aus München stammenden Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter daher, der allerdings für sie kräftige Wahlkampfunterstützung liefert.
Was Schulze für die CSU so gefährlich macht, ist ihre fast schon unglaubliche, aber natürlich wirkende Kombination klassischer Grünen-Themen wie eben Umwelt- und Klimaschutz und Feminismus mit einem starken innenpolitischen Akzent. Wenn sie Innenministerin wäre, würde sie „hier mal für Recht und Ordnung sorgen", wird Schulze zitiert. Und das in der Heimat der auf Law and Order abonnierten CSU. Katharina Schulze, so urteilen Beobachter, sei für die bayrischen Grünen ein ähnlicher Glücksfall wie Robert Habeck auf Bundesebene.
Fast wie im Gleichklang entwickeln sich die Umfrageergebnisse. In Bayern liegt Schulze bei 17 Prozent, Habeck verzeichnete mit seiner Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock im Bund 15 Prozent. Viel bemerkenswerter sind aber die Zahlen hinter den Zahlen. Die mögen in Bayern die CSU schrecken, mehr noch treiben sie bundesweit der SPD Sorgenfalten auf die Stirn. Nach Analysen des Forsa-Instituts ist das Wählerpotenzial der Grünen ähnlich groß wie das der SPD. Damit wären die Grünen auf dem Weg zur Volkspartei, wenn man der SPD nach wie vor den Status einer Volkspartei zubilligt und wenn es nach der selbstbewussten Selbsteinschätzung der Grünen-Führungsspitze geht.
Debatten werden grundsätzlicher
Solche Äußerungen mögen noch zum politischen Verkaufsgeschäft gehören. Ein Blick auf die Veränderung der Anhängerschaft liefert aber zusätzliche Indizien. Ein entscheidendes ist die Selbstverortung der potenziellen Grünen-Wähler. Nur noch knapp mehr als die Hälfte (55 Prozent) sieht sich „links", über 40 Prozent dagegen eher in der „Mitte". Nun sind die Begriffe nur noch bedingt tauglich zur Beschreibung politischer Positionen, wie auch der Landeschef der Saar-Grünen und Bundestagsabgeordneter Markus Tressel einräumt: „Das hat sich überlebt". Die Frage, wo man sich politisch einordnet, werde „nicht mehr nach links oder rechts definiert, sondern nach Inhalten", wobei er durchaus Wert auf die Feststellung legt, „dass wir eher die linksliberale Mitte abbilden als die rechts-konservative Mitte".
Entscheidender sei allerdings, dass jetzt wieder „grundsätzlicher debattiert" werde, und zwar über Fragen nach dem Zustand und der Entwicklung der Demokratie, was lange nicht der Fall gewesen sei. „Tatsächlich merken viele, dass es nötig ist, darüber mitzubestimmen", wie nicht zuletzt die Ereignisse in Chemnitz deutlich gemacht hätten, „eine Eruption, die ich absolut verurteile", unterstreicht Tressel. Dass dort aber auch Menschen dabei gewesen seien, die nicht „harte Nazis" seien, müsse als dringende Aufforderung an die Politik verstanden werden. „Wir haben objektiv betrachtet in der Vergangenheit den ein oder anderen Fehler gemacht", räumt Tressel ein. Obwohl Deutschland ein reiches Land sei, gebe es eine Spaltung in der Gesellschaft. Insgesamt gehe es vielen Menschen besser, aber gleichzeitig eben auch einem Teil „deutlich schlechter".
Was den ausgebildeten Philosophen und Schriftsteller Robert Habeck an der Spitze der Partei auszeichne, sei seine klare Sprache, dass er „sagt, was ist". Und das ist aus Sicht von Markus Tressel ziemlich ernüchternd: „Es gibt ökologische Probleme, es gibt die Frage, wie richten wir unsere Wirtschaft aus, es gibt aber auch soziale Probleme". Genau diese Fragen spreche eben Habeck „ungeschminkt" an. Die Aufzählung Tressels beginnt zwar mit dem Zentralanliegen Ökologie. Die weiteren Akzente in der Wirtschafts- und Sozialpolitik erklären allerdings auch die Nervosität der SPD vor dem, was sich bei den Grünen derzeit entwickelt. Und das ist weitaus weniger ideologisch als in der Vergangenheit, vielmehr mit dem neuen Spitzenduo ziemlich pragmatisch orientiert, wie auch von der den Realos zugeneigten Doppelspitze erwartet und vielfach auch erhofft wurde. So hat sich in der Parteizentrale dem Vernehmen nach die bisherige herzliche Abneigung zwischen Realos und Fundis zwar nicht völlig aufgelöst, ist aber weitgehend einer neuen, sachlichen Arbeitsatmosphäre gewichen. Und die Grünen haben gegenüber der SPD einen entscheidenden Vorteil: sie können ihr Profil in der Opposition schärfen, also genau das tun, wofür „GroKo"-Gegner in der SPD heftig geworben hatten, bekanntermaßen vergeblich.
Stark wie nach Fukushima
Die nächsten beiden Tests sind die Landtagswahlen in Bayern (14. Oktober) und Hessen (28. Oktober). In Bayern wird der Verlust der absoluten Mehrheit der CSU immer wahrscheinlicher. Die SPD hat zwar einen Medien-Coup landen können, als sie sich den CSU-Wahlkampfslogan „Söder macht’s" unter den Nagel reißen konnte. Das sorgte bundesweit für Heiterkeit, lässt sich aber wohl kaum in signifikante Stimmenzuwächse ummünzen. Wie die Grünen mit ihrer als wahrscheinlich geltenden Rolle als zweitstärkste Kraft umgehen werden, ist noch offen. Schwarz-Grün in Bayern? Die Spitzenkandidatin betont zwar ihre ungebrochene Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, aber doch nicht „mit der CSU der vergangenen Wochen".
Zwei Wochen später sieht die Welt auch für die Grünen völlig anders aus, bis auf einen entscheidenden Punkt: auch in Hessen sehen die Umfragen die Grünen bei 14 Prozent, plus zwei gegenüber der letzten Wahl. Und das auch noch als Regierungspartei im ersten schwarz-grünen Bündnis in einem Flächenland, das auch noch die volle Legislaturperiode gehalten hat. Hessen galt übrigens bei Vereinbarung der Koalition 2013 als Testfall für den Bund. Nach den aktuellen Umfragen könnte Hessen tatsächlich ein Test werden, nämlich über die neue Unübersichtlichkeit. Zwar würde auch Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) das Bündnis mit den Grünen gerne fortsetzen – vielleicht auch, weil es so schön geräuschlos funktioniert hat –, nur könnte das an seiner CDU scheitern. Die muss nach derzeitigem Stand mit fünf Prozentpunkten Verlust rechnen, womit es dann trotz Zugewinnen der Grünen gemeinsam nicht mehr reichen würde.
Auch wenn die Grünen derzeit in Umfragen Werte erreichen wie zuletzt 2011 und 2012, damals auch eine Folge der Fukushima-Atomkatastrophe, mag die Spekulation über einen Kampf um Platz zwei im Parteiengefüge zwar reizvoll sein. Entscheidender dürfte aber zunächst sein, ob es dauerhaft gelingt, den aktuellen Platz drei zu behaupten. Denn in den meisten bundesweiten Umfragen liegt die AfD nur einen, allenfalls zwei Punkte dahinter. Und das ist dann nicht nur eine Frage von Arithmetik, sondern die von Tressel beschriebene „grundsätzliche Frage".