Die schwierige Annäherung zwischen Deutschland und der Türkei
Kaum eine bilaterale Beziehung ist in diesen Tagen derart komplex und beladen wie die zwischen Deutschland und der Türkei. Die gute Nachricht: Berlin und Ankara rüsten rhetorisch ab. Hierzulande wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht mehr tagtäglich mit der Verbal-Keule des „Diktators" traktiert. Umgekehrt wirft Erdogan Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht mehr „Nazi-Methoden" vor wie noch im Frühjahr 2017. Vor dem Verfassungsreferendum im April hatten türkische Politiker in Deutschland Auftrittsverbot.
Nachdem Erdogan die Wahlen gewonnen und das Präsidialsystem installiert hat, scheint er sich verstärkt um Partner zu bemühen. Eine äußerst intensive Reise-Diplomatie unterstreicht dies. Am vergangenen Mittwoch und Donnerstag besuchte Außenminister Heiko Maas (SPD) die Türkei. Am 21. September trifft der türkische Finanzminister Berat Albayrak seinen deutschen Amtskollegen Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Am 28. und 29. September kommt Erdogan zum Staatsbesuch in die Bundeshauptstadt. Ende Oktober fliegt Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit einer Unternehmer-Delegation in die Türkei.
Erdogan braucht Entspannung, weil er an vielen Stellen Brände löschen muss. So leistet er sich einen Privatkrieg mit US-Präsident Donald Trump. In der Türkei wird dem amerikanischen Pastor Andrew Brunson wegen Terrorvorwürfen der Prozess gemacht. Trump hingegen weigert sich, den angeblichen Drahtzieher des gescheiterten Putschversuchs in der Türkei, den islamischen Prediger Fethullah Gülen, auszuliefern. Gegenseitige Sanktionen verschärfen den Konflikt.
Auch in der Wirtschaft brennt es. Mit staatlichen Aufträgen hat Erdogan zwar die Firmen im eigenen Land unter Strom gesetzt. Da aber vieles auf Pump finanziert war und die Zentralbank die anziehende Inflation nicht mit höheren Leitzinsen dämpfen durfte, lief die Konjunktur heiß. Zudem floss ausländisches Kapital in den Dollarraum ab, was für eine Talfahrt der Lira sorgte.
Vor diesem Hintergrund ist der türkische Staatschef auf Investitionen aus Ländern wie Deutschland angewiesen. Er hofft auf engere Wirtschaftsbeziehungen mit der EU. Insbesondere wünscht er sich eine Erweiterung der Zollunion auf die Bereiche Dienstleistungen und Landwirtschaft. Die Bundesregierung, ein wichtiger Motor in der Gemeinschaft, soll Lobby-Arbeit hierfür machen.
In der Außenpolitik hat Erdogan ebenfalls schwer zu kämpfen. In Nordsyrien ist die Türkei einmarschiert, um ein flächendeckendes Autonomiegebiet der Kurden zu verhindern. Zur Stärkung seiner militärischen Schlagkraft würde der Präsident am liebsten die Rüstungs-Zusammenarbeit mit Deutschland hochfahren. Vor allem die gemeinsame Entwicklung eines Kampfpanzers in der Türkei liegt ihm am Herzen. Der Düsseldorfer Konzern Rheinmetall hat zu diesem Zweck bereits 2016 ein Joint Venture mit dem türkischen Nutzfahrzeug-Hersteller BMC gegründet. Doch unter anderem wegen der Zuspitzung der Lage in Syrien versagte die Bundesregierung die Zustimmung; das Projekt liegt seitdem auf Eis.
Die Türkei braucht Deutschland. Aber Deutschland braucht auch die Türkei. Der Flüchtlings-Deal zwischen Ankara und der EU nutzt in hohem Maße auch der Bundesrepublik, die seit 2015 mehr als eine Million Migranten aufgenommen hat. Zudem besteht hierzulande das große Interesse, die Reibungen mit den mehr als drei Millionen türkeistämmigen Menschen möglichst gering zu halten.
Natürlich ist Deutschland daran gelegen, dass sich Ankara in Richtung der Rechtsstaats- und Menschenrechts-Standards der EU bewegt. Die Inhaftierung deutscher Staatsbürger in der Türkei belastet die bilateralen Beziehungen. Aber es ist eine Frage des Fingerspitzengefühls, wie und auf welcher Bühne das thematisiert wird. Man kann Erdogan in Deutschland mit schrillem Ton zur Ordnung rufen. Dies wird billigen Applaus bei der eigenen Klientel bringen, in der Sache aber nichts ändern.
Merkel sollte auch gegenüber einem Autokraten wie Erdogan Klartext reden und Meinungsverschiedenheiten zur Sprache bringen. Die öffentliche Tribüne wäre hierfür aber kontraproduktiv. Besser eignet sich der Austausch hinter den Kulissen. Schulterschluss und diskreter Mut zum Dissens: In diesem Spannungsverhältnis steht das Ringen um eine neue deutsch-türkische Normalität.