1970 war mit Salvador Allende als neuem Präsidenten von Chile erstmals in der Geschichte Lateinamerikas ein Sozialist durch eine demokratische Wahl zum Staatsoberhaupt eines Landes geworden. Seine Regierungszeit dauerte jedoch keine drei Jahre: Am 11. September 1973 putschte das Militär mit Unterstützung der USA gegen Allende, der sich daraufhin das Leben nahm.
Um 6.20 Uhr klingelte bei Salvador Allende das Telefon. Am Morgen des 11. September 1973 erhielt Chiles Präsident die Nachricht, dass sich die Flotte in Valparaíso, der größten Hafenstadt des Landes, gegen ihn erhoben habe und seinen Rücktritt fordere. Daraufhin versuchte der Präsident General Augusto Pinochet zu kontaktieren, den neuen Oberbefehlshaber der Streitkräfte, den Allende selbst erst zwei Wochen zuvor ernannt hatte. Doch Pinochet war nicht zu erreichen. Allende glaubte zu diesem Zeitpunkt noch, dass der General treu an seiner Seite stehe und sich nur deshalb nicht melden könne, weil er bereits von den Putschisten festgesetzt worden sei. Das war jedoch ein Trugschluss, wie sich gegen 8 Uhr herausstellte.
In einer Erklärung der selbsternannten Militärregierung gab sich auch Pinochet als einer der Putschisten zu erkennen. Als sich Allende weigerte, sein Amt niederzulegen, begann die Luftwaffe gegen Mittag, den Präsidentenpalast zu bombardieren. Gegen 14 Uhr stürmte die Armee das Gebäude. Allendes Anhänger kapitulierten, er selbst zog sich in den „Saal der Unabhängigkeit" zurück und nahm sich dort das Leben.
In seiner letzten Rede an sein Volk hatte er wenige Stunden zuvor wohl schon geahnt, dass die Sache für ihn tragisch enden würde. „In diesem historischen Moment werde ich die Treue zum Volk mit meinem Leben bezahlen", sagte Allende in seiner Radioansprache und blieb auch angesichts des nahenden Untergangs noch kampfeslustig: „Sie haben die Macht, sie können uns überwältigen, aber sie können die gesellschaftlichen Prozesse nicht durch Verbrechen und nicht durch Gewalt aufhalten. Die Geschichte gehört uns, und sie wird durch die Völker geschrieben. […] Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Arbeiter! Dies sind meine letzten Worte, und ich bin sicher, dass mein Opfer nicht umsonst sein wird. Ich bin sicher, dass es wenigstens ein symbolisches Zeichen ist gegen den Betrug, die Feigheit und den Verrat."
Die USA fürchteten den Domino-Effekt
Drei Jahre zuvor, im November 1970, war Salvador Allende zum Präsidenten von Chile gewählt worden. Es war das erste Mal in der Geschichte Lateinamerikas, dass ein Sozialist durch eine demokratische Wahl zum Staatsoberhaupt eines Landes bestimmt wurde. Der – wenn auch knappe – Wahlsieg von Allendes Partei Unidad Popular ist damit ebenso ein zentrales Ereignis des Kalten Krieges wie der spätere Putsch mit amerikanischer Unterstützung.
Allende hatte vor allem den Arbeitern und der Unterschicht eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse versprochen. Er verstaatlichte die großen Kupferbergwerke, Chiles wichtigsten Wirtschaftszweig, sowie teilweise auch Banken und andere Industriebetriebe. Zudem führte er eine umfassende Agrarreform durch. Spätestens als Kubas Präsident Fidel Castro für vier Wochen in Chile weilte, entstand international der Eindruck, dass das Land künftig dem kubanischen Modell einer sozialistischen Planwirtschaft folgen werde.
Vor allem die USA waren in großer Sorge, dass auf dem amerikanischen Kontinent ein gut funktionierender sozialistischer Staat entstehen könnte. Schließlich besagte die Domino-Theorie, die vorherrschende Doktrin in der US-Außenpolitik während des Kalten Kriegs, dass daraufhin weitere lateinamerikanische Staaten ebenfalls kommunistisch werden und nach und nach alle Länder der Region wie bei einer Kette von Dominosteinen umfallen und sich vom Westen abwenden würden. Bereits seit den 60er-Jahren hatte es deshalb eine ganze Reihe verdeckter Aktionen des amerikanischen Geheimdienstes CIA gegeben, um die Wahl von Salvador Allende zu verhindern. Nachdem das nicht gelungen war, wurde eine neue Operation mit dem Codenamen Fubelt ins Leben gerufen, die die chilenische Wirtschaft destabilisieren, die Regierung Allendes isolieren und so die Voraussetzungen für einen Militärputsch schaffen sollte. CIA-Direktor Richard Helms sagte später über das Projekt: „Niemals in meiner Karriere als CIA-Chef habe ich eine derartige Geheimhaltung erlebt und niemals eine derartig unbeschränkte Macht gehabt."
Ein erster Putschversuch scheiterte Ende Juni ’73
Der Einfluss der USA ist nicht zu leugnen. Offen bleibt, ob Allendes sozialistisches Experiment trotz aller guten Ansätze nicht ohnehin längst gescheitert war, als es 1973 zum Putsch kam. Das Land befand sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Die Bauern protestierten gegen die Landverteilung und besetzten Ackerland, sodass Nahrungsmittel knapp wurden und 1972 sogar Lebensmittel rationiert werden mussten. Die Inflation stieg auf mehr als 300 Prozent. Im selben Herbst streikten unter anderem Lastwagenfahrer, Bankangestellte, Arbeiter und Studenten, um eine Wende in der Wirtschaftspolitik zu erzwingen – es kam zu Straßenschlachten und Terrorakten radikaler rechter Gruppierungen. Zu dieser politischen Polarisierung hatten jedoch wiederum die USA beigetragen, indem sie in zahlreichen Medien gezielt Falschmeldungen platzierten, um die Stimmung gegen Allende zu schüren.
Der Präsident rief den Notstand aus und berief Vertreter des Militärs in die Regierung, um die Lage zu beruhigen. Anfang 1973 konnten wie geplant Parlamentswahlen stattfinden, bei denen die Unidad Popular ihren Stimmenanteil sogar noch einmal steigern konnte. Am meisten legte innerhalb der Partei jedoch der radikale linke Flügel zu, während gleichzeitig auch rechte Parteien deutlich zulegen konnten. Das Land war gespalten, die Lage eskalierte. Es kam zu weiteren Streiks und Ende Juni 1973 zu einem ersten, noch erfolglosen Putschversuch, der 22 Menschen das Leben kostete. Erneut holte sich Allende das Militär in sein Kabinett – daraufhin sprach das Parlament ihm das Misstrauen aus und forderte die Generäle zum Rücktritt auf. Diese folgten dem Aufruf – erst dadurch kam auch Augusto Pinochet ins Amt, der den bisherigen Heereschef Carlos Prats beerbte. Längst hatten die Streitkräfte die Seiten gewechselt; ihr Ziel war es nun nicht länger, Allende zu stützen, sondern ihn aus dem Amt zu jagen. Wenige Tage später vollzog Pinochet dann den Staatsstreich.
Bereits in den ersten Tagen nach dem Militärputsch kam es im ganzen Land zu Verhaftungen und Folter. Bis zu 4.000 Menschen wurden getötet, Tausende verschwanden spurlos. An vielen Orten entstanden Konzentrationslager, in denen man die Gefangenen zusammentrieb. Allein im Fußballstadion Estadio Nacional in der Hauptstad Santiago de Chile wurden mehr als 40.000 Menschen festgehalten. Auf „Spiegel Online" berichtete der Filmemacher Patricio Guzmán von seiner Haftzeit: „Es war ein Ort des Schreckens. Man hat mich zweimal zum Schein vor ein Erschießungskommando gestellt, wir waren etwa 200 Personen in einem Raum, in dem wir nicht schlafen konnten, weil es dafür zu eng war. Zeitweilig saßen wir im Dunkeln, während die Soldaten draußen Salven abfeuerten. Maskierte Aufseher holten immer wieder Leute ab, in der Nacht hörten wir Schüsse von Exekutionen, stundenlang wurden wir um das Stadionrund gehetzt. Man hat uns terrorisiert mit dem Ziel, uns jede Form des politischen Engagements auszutreiben. Es war ein Albtraum."
Augusto Pinochet hielt sich bis 1990 im Amt
Er dauerte bis 1990, bis Pinochet aufgrund eines Volksentscheids aus dem Amt gewählt wurde. Für seine Menschenrechtsverletzungen ist er nie verurteilt worden. Doch längst nicht alle Chilenen verteufeln ihn für seine Verbrechen. Viele sehen in ihm noch immer einen Heilsbringer, der die heimische Wirtschaft wieder auf Vordermann gebracht hat. Chile wurde nach dem Putsch zum Experimentierfeld des Neoliberalismus. Über 100 chilenische Wirtschaftswissenschaftler, die sogenannten Chicago Boys, waren dafür extra in den USA ausgebildet worden. Bis heute hält die Spaltung der chilenischen Gesellschaft an, stehen sich beide Lager unversöhnlich gegenüber. Der jetzige Präsident Sebastián Piñera mahnte deshalb schon 2013 zum 40. Jahrestag des Militärputsches: „Unsere Generation hat kein Recht, unseren Kindern und Enkelkindern denselben Hass und dieselben Streitigkeiten weiterzugeben, die so viel Schmerz verursacht haben."