Mit Packeseln durch die unberührte Natur des Nationalparks Unteres Odertal zu wandern, ist vor allem für Kinder ein besonderes Erlebnis.
Esel sind störrisch, sagt man. Dass das stimmt, und auch wieder nicht, lässt sich schon nach wenigen Minuten Packeselwanderung beobachten. Helene, die den mit geflochtenen Korbtaschen bepackten Nero Corleone am Strick hat, kommt nicht weiter. Neben der Landstraße hat der zehnjährige schwarze Esel leckere Unkräuter entdeckt und zupft sie ab, da helfen kein Ziehen an der Leine und keine guten Worte. Zum Glück ist die Eselsfachfrau Sarah Fuchs mit von der Partie.
„Dein Esel macht immer, was du machst. Wenn du also am Strick ziehst, zieht er auch, und da ist er natürlich der Stärkere“, sagt Sarah Fuchs zu ihrer siebenjährigen Kundin. Ganz einfach ist der Anfang nicht, denn jetzt gilt es, dem Esel mit der richtigen Körperhaltung und kurzen Rucken am Strick klarzumachen, was das Mädchen will – nämlich wandern.
Nach einigem Probieren und Üben schafft Helene es dann, mit dem Esel weiterzuwandern. Zusammen mit ihrer Schwester, ihrer Mutter und einer Tante hat sie eine ganztägige Packeseltour durch das Untere Odertal gebucht. Die Wanderung beginnt am Stall in Stolzenhagen. Hier „beschnuppern“ sich Mensch und Esel erst einmal im wahrsten Sinne des Wortes, dann wird gehalftert, gebürstet, gesattelt und bepackt. Insgesamt stehen zur Zeit acht Esel und zwei Maultiere zur Auswahl. Da ist Rafaela, eine 14-jährige Tochter ungarischer Großesel. Sie ist mit 1,38 Meter Schulterhöhe das größte Tier der Herde. Sie hat selbst eine Tochter, Rebecca, die ihrer Mutter täuschend ähnlich sieht. Der gescheckte, dickfellige Jago, ein Hausesel, kam als schüchternes Jungtier auf den Hof. „Mittlerweile ist er sehr routiniert im Wandern und ein tolles Mitglied unseres Teams“, sagt Sarah Fuchs stolz. Madita, das Maultier, ist ein echtes Arbeitstier und das stärkste Tier der Herde. Sie steht selbst mit schwerem Gepäck jede Wanderung durch.
Geritten werden die Esel bei den Touren übrigens nicht, auch wenn das noch so verlockend wäre. Die Packesel transportieren, wie es der Name sagt, das Gepäck der kleinen Gruppe, zum Beispiel Sachen für das Picknick um die Mittagsrast oder Kleidung. Auch wenn sich die Sache auf den ersten Blick sehr einfach darstellt: Einen Esel zu führen hat seine Eigenheiten. Dass ein schwerer Esel dem kleinen Mädchen auf den Fuß tritt, sollte zum Beispiel unbedingt vermieden werden. „Achte darauf, dass du immer neben deinem Esel marschierst“, sagt die Chefin der Esel den Kindern unterwegs. Das Dorf Stolzenhagen ist so klein und dermaßen abgelegen, dass auf der kleinen Straße kaum Autoverkehr herrscht; ideale Bedingungen für eine entspannte Wanderung. Zur polnischen Grenze sind es von hier aus nur wenige Kilometer. Hinter dem Dorf geht es erst einmal über eine Brücke, die Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße wird überquert – und schon befinden sich die Wanderer im Unteren Odertal. Die Sonne brennt hell, und Sarah Fuchs schlägt vor, bis zu einer Baumgruppe zu wandern, um dort eine kleine Rast zu machen. Auch die Esel sind bei knalliger Sonne lieber im Schatten. Jetzt ist es Zeit, die Esel zu streicheln, und weil Nero Corleone so ein sagenhaft weiches Fell hat, bekommt er Streicheleinheiten von allen en masse. Zwischendurch lässt Sarah Fuchs immer wieder Anekdoten über das Wesen der Esel einfließen.
Esel laufen auch gerne auf Asphalt
Zum Beispiel warum die Esel auf dem harten Pflasterweg lieber laufen als durch das weiche Gras. „Die Esel laufen wie der Mensch lieber auf dem glatten Asphalt oder Plattenweg, weil sie dann nicht auf jede Unebenheit achtgeben müssen. Die Esel stammen aus trockenen Bergwüsten Nordafrikas, daher sind die Hufe an trockene Böden angepasst. Den Hufen tut es gut, auf harten Böden zu laufen, weil sie dann selbst hart sind“, sagt Sarah Fuchs. „Wenn Esel nur auf Gras oder weichen Böden laufen, werden die Hufe weich, sodass leichter Pilze und Bakterien in das Horn gelangen, die zu Huffäule und Infektionen führen können.“
Auch die langen Ohren hängen mit ihrem ehemaligen natürlichen Lebensraum zusammen. In den Bergregionen, die zum Teil schwer einsehbar sind, müssen sie gut hören können und laut rufen können, um miteinander zu kommunizieren“, so Fuchs. Im Gegensatz zum Pferd, das als Fluchttier gilt und bei Gefahr schnell weggaloppiert, bleibt der Esel lieber stehen und prüft, ob eine Flucht sinnvoll und im abschüssigen Gelände möglich ist – andernfalls wendet er sich der Gefahr zu und greift notfalls an.
„Eltern, die bei Wanderungen manchmal quengelnde Kinder erleben, staunen oft, wenn sie sehen, wie problemlos die Kinder mit dem Esel zusammen weite Strecken wandern“, weiß Sarah Fuchs aus Erfahrung zu berichten. Im Nationalpark sind auch noch jede Menge anderer Tiere zu entdecken: Hier gibt es Seeadler, Kraniche und Eisvögel, manchmal auch Gänseschwärme oder Bäume, die von Bibern angenagt wurden.
Wenn die Esel nicht gerade auf Tour sind, haben sie noch einen Job als Naturschützer: Sie beweiden wertvolle Trockenrasen im Nationalpark und verhindern damit eine Verbuschung und Vergrasung der Trockenrasen, die viele seltene Blumen und Kräuter enthalten. Sarah Fuchs ist studierte Diplombiologin und lebt schon mehr als 20 Jahre in der Region. „Esel wälzen sich mit Vorliebe an sandigen Stellen und schaffen so offenen Boden, den Heuschrecken und konkurrenzschwache Pflanzen dringend als Lebensraum benötigen“, erzählt sie und beweist damit, dass die Eselhaltung der Region guttut. Neben Nero Corleone ist bei der Wanderung noch ein Maultier dabei, das auch von den Kindern geritten werden kann. Dies genießen Helene und ihre Schwester Vera sichtlich. Abends wartet auf die Bande ein zünftiger Abschluss eines ländlichen Tages: Lagerfeuer im Garten und danach eine Übernachtung auf dem Heuboden des Stalles im Schlafsack. Der Esel und das Maultier verbringen die Nacht hingegen lieber auf der Weide mit den anderen Tieren, im Sommer ist das die Regel.
In der Nähe gibt es auch noch andere Freizeitmöglichkeiten: Der nahegelegene Parsteiner See mit seinem glasklaren Wasser ist gut für eine Abkühlung. In Stolzenhagen kann man das Spinnen bei Susan Krieger lernen oder sich im Geologischen Garten über die Eiszeit informieren.