Zwei Drittel der Europäer haben schon einmal etwas von Kryptowährungen gehört, in Deutschland sogar über 70 Prozent. Das besagt die neueste Studie der ING Bank zum Thema Mobile Banking und Kryptowährungen von Juni 2018. Bitcoin ist dabei die bekannteste unter den derzeit mehr als 800 Kryptowährungen weltweit. Wir haben bei der Frankfurt School of Finance and Management nachgefragt, was hinter dem Phänomen Kryptowährung steckt.
Herr Ketz, können Sie den finanziellen Wert von Kryptowährungen in Dollar oder Euro ausdrücken, um ein Gefühl für dieses virtuelle Geld zu bekommen?
Das Marktvolumen von Kryptowährungen lag Mitte Juli 2018 bei etwa 300 Milliarden US-Dollar weltweit. Davon machte das Volumen von Bitcoin rund 130 Milliarden Dollar aus, also mehr als 40 Prozent. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Wert der meisten Kryptowährungen und damit der Gesamtmarkt sehr volatil sind. Mitte Dezember 2017 überschritt der Wert eines Bitcoins kurzzeitig die Grenze von 20.000 US-Dollar. Danach fiel er wieder stark ab und beträgt aktuell etwa 7.400 US-Dollar. Damals betrug das Gesamtmarktvolumen etwa 600 Milliarden US-Dollar und stieg Anfang 2018 sogar auf über 800 Milliarden. Im Hinblick auf den finanziellen Wert von Kryptowährungen befinden wir uns gerade in einer Talsohle. Dies kann sich aber schnell wieder ändern.
Wie funktioniert dieses virtuelle Zahlungssystem der Kryptowährungen, und wer kann mitmachen?
Mitmachen kann jeder. Kryptowährungen sind demokratisch, dezentral und für jedermann zugänglich. Man benötigt lediglich einen Computer oder ein Smartphone mit Internetzugang und die entsprechende Software. Diese als Wallet bezeichnete Software gibt es beispielsweise als Desktopanwendung oder App im Netz. Sie fungiert als „digitale Brieftasche", die mit dem Kryptowährungsnetzwerk verbunden ist. Von ihr kann man anderen Wallet-Besitzern direkt und ohne Mittelsmann Währungseinheiten über ein sogenanntes Peer-to-Peer-Netzwerk senden. Damit unterscheiden sich Kryptowährungsnetzwerke massiv von unserem klassischen Währungssystem, bei dem Transaktionen zentral über Banken als Intermediär abgewickelt werden. Auch sind Kryptowährungsnetzwerke wie das Bitcoin-Netzwerk nicht im Besitz einer zentralen Instanz, die Kontrolle über das Netzwerk ausübt oder Transaktionen speichert, sondern werden von den jeweiligen Netzwerkteilnehmern gemeinschaftlich verwaltet. Dazu nutzen Kryptowährungsnetzwerke dezentrale und verschlüsselte Datenbanken, die als Kopie bei jedem Netzwerkteilnehmer gespeichert werden. So sollen Manipulationssicherheit und Transparenz sichergestellt werden. Die durch Bitcoin wohl bekannteste und auch am weitesten verbreitete Form einer dezentralen Datenbank ist die der Blockchain. In ihr sind alle Transaktionen eines Währungsnetzwerks verzeichnet. Neue Transaktionen werden in Blocks zusammengefasst und wie bei einer Kette aneinandergereiht, daher der Name Blockchain.
Wo kann man in der Praxis Bitcoin kaufen und wie viel Geld muss man mitbringen?
Bitcoin und auch andere Kryptowährungen können an Online-Börsen zum Beispiel gegen Euro oder Dollar gekauft werden, ähnlich dem Devisenmarkt. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass viele dieser Handelsplätze bislang nur unzureichend reguliert sind. Es gilt stets, die Seriosität des jeweiligen Anbieters zu prüfen. Nach erfolgreichem Kauf kann man die erworbenen Währungseinheiten in der digitalen Brieftasche ähnlich wie auf einem Online-Konto einsehen und verwalten. Die Gesamtzahl der sich im Umlauf befindlichen Bitcoin wird durch einen Algorithmus festgelegt und erreicht im Jahr 2130 mit 21 Millionen Einheiten ein vorläufiges Maximum. Anders als bei Aktien ist es möglich, nur einen Bruchteil eines Bitcoins oder einer anderen Kryptowährung zu erwerben. Somit kann man theoretisch bereits mit sehr kleinen Beträgen einsteigen. Allerdings sollte man die jeweiligen Transaktionsgebühren des Handelsplatzes im Blick behalten, damit sich der Kauf kleiner Volumina lohnt.
Das Ganze klingt relativ einfach. Was sollten Teilnehmer dennoch beachten?
Jeder, der Kryptowährungen erwerben möchte, sollte sich vorher fragen, was seine Motivation hierfür ist. Als reines Zahlungsmittel sind die meisten Kryptowährungen und auch Bitcoin aktuell noch eher uninteressant, da es derzeit erst wenige Unternehmen oder Händler gibt, die Kryptowährungen als Zahlungsmittel akzeptieren. Die Recheneinheitsfunktion, wie sie konventionelles Geld mitbringt, ist aufgrund der enormen Kursschwankungen nur bedingt gegeben. Gleiches gilt für die Wertaufbewahrungsfunktion. Allerdings sehen wir gerade in Ländern mit wirtschaftlichen und politischen Problemen sowie grassierender Inflation die Tendenz, dass Kryptowährungen von der Bevölkerung zunehmend als Zahlungsmittel, aber auch als Mittel zur digitalen Wertaufbewahrung ohne staatlichen Zugriff genutzt werden. Gerade Venezuela oder die Türkei sind hier gute Beispiele. Während gemäß der neuesten ING-Studie zu Kryptowährungen in den westlichen Industriestaaten nur wenige Menschen in Bitcoin und andere Kryptowährungen investieren – in Deutschland und den USA acht Prozent, in Frankreich und Großbritannien sechs Prozent – sind es in der Türkei beispielsweise 18 Prozent. Es ist aber immer zu beachten, dass es sich bei einer Wertanlage in Kryptowährungen um eine Hochrisikoanlage handelt. Wer sein hart verdientes Geld in Bitcoin anlegt, kann ähnlich wie am Aktienmarkt viel gewinnen, aber auch alles verlieren. Kryptowährungen sind also nichts für schwache Nerven.
Wie lauten die Vorteile?
Die Vorteile liegen auf der Hand: Das Zahlungssystem ist dezentral organisiert und unabhängig von Staaten oder Unternehmen. Somit wird die Wahrscheinlichkeit unberechtigter oder willkürlicher Einflussnahme minimiert. Der Eigentümer des Wallets hat die alleinige Kontrolle über sein Geld und zugleich die Hoheit über seine Daten. Während Zahlungsanbieter wie Paypal und Visa beispielsweise im Zahlungsverkehr sehr viele Daten über den Kunden sammeln, fehlt bei Kryptowährungen eine zentrale Instanz, die den Zahlungsverkehr kontrolliert und diese Daten verwertet. Es gibt also bei Kryptowährungen keine staatlichen Institutionen, keine Banken oder Dienstleister, die mitverdienen, den Nutzer enteignen oder in den Zahlungsverkehr eingreifen können. Das System ist transparent, da die Transaktionen beziehungsweise Überweisungen einsehbar sind, wobei die Nutzer zugleich weitestgehend anonym bleiben können. Zudem ist ein solches Währungsnetzwerk rund um die Uhr für jedermann offen und erlaubt den globalen Transfer von Vermögenswerten in Echtzeit und gegen vergleichsweise geringe Gebühren.
Welche Nachteile gibt es?
Viele Vorteile können gleichzeitig auch Nachteile sein. Im Gegensatz zu einem klassischen Banktransfer kann eine einmal getätigte Transaktion im Kryptowährungsnetzwerk nicht mehr rückgängig gemacht werden. Dies ist kritisch, wenn man die Transaktion selbst nicht autorisiert hat oder sie an einen falschen Empfänger ging. Auch kann man ein klassisches Bankkonto bei Verlust der Bankkarte sperren lassen oder bei Verlust der Pin eine neue von seiner Bank anfordern. Wer aber den Zugriff auf sein Wallet beziehungsweise die darin gespeicherten kryptografischen Schlüssel zum Zugriff auf seine Kryptowährungen verliert und diese Schlüssel nicht selbst wiederherstellen kann, dem droht der Totalverlust. Es gibt keine Aufsicht oder Kontrollinstanz, die hier helfen oder bei der man sich beschweren könnte. Auch gibt es keinen Verbraucherschutz und keine Anlegerschutzinstrumente. Der Nutzer trägt das Risiko alleine. Aus großer Unabhängigkeit und Freiheit folgt also eine große eigene Verantwortung. Es gibt im Internet viele Infos und Tipps, wie man seine kryptografischen Schlüssel sicher aufbewahrt und vor dem Zugriff Unberechtigter schützt. Die Wahl des richtigen Wallets und der Umgang damit sind von besonderer Bedeutung. Allerdings bewahrt auch dies leider nicht vor potenziellen Kursmanipulationen sowie den vielen Betrugsfällen, die in der jüngeren Vergangenheit auftraten. Hier muss man wachsam sein und auf die Seriosität der anderen Marktteilnehmer achten.
Wie steht es um die Rechtssicherheit?
Grundsätzlich existieren Kryptowährungen wie Bitcoin nicht im rechtsfreien Raum. Jeder Nutzer hat sich an das in seinem Land geltende Recht und Gesetz zu halten. Wer Schwarzgeld anlegt, gegen das Geldwäschegesetz verstößt oder Terrorismusfinanzierung betreibt, macht sich strafbar, ganz gleich, welche Zahlungssysteme er hierzu nutzt. Wer Bitcoin an einer Börse kauft, muss sich aus Sicherheitsgründen heutzutage in der Regel identifizieren. Trotzdem gibt es in einer freien Welt keine hundertprozentige Sicherheit, dass legale Systeme und Dienstleistungen nicht für unlautere Machenschaften missbraucht werden. Die „BaFin", Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kontrolliert in Deutschland seit 2017 verstärkt auch Kryptowährungen und die in letzter Zeit populär gewordenen „Initial Coin Offerings" – kurz ICOs – durch die immer neue Kryptowährungen entstehen. Zugegebenermaßen gibt es noch keine auf Kryptowährungen zugeschnittenen Regelungen oder Gesetze, da das digitale Geld früher eher ein Randphänomen war und derzeit viel Bewegung am Markt ist. In jedem Fall müssen erzielte Gewinne in der Steuererklärung regulär angegeben und entsprechend versteuert werden.
Wie schätzen Sie die Zukunft der Kryptowährungen ein?
Es gibt so viel Bewegung am Markt und das macht das Thema so wahnsinnig spannend. Außerdem ist es die dahinterstehende Blockchain-Technologie, die nicht nur das Finanzsystem revolutionieren, sondern mittelfristig auch erheblichen Einfluss auf unsere Gesellschaft nehmen wird.
Weitere Infos: www.fs-blockchain.de, www.bitcoin.org