Sebastian Claessens lebt davon, anderen den Umgang mit Kryptowährungen beizubringen – und davon, ihnen Hardware zum „Schürfen" des virtuellen Geldes zu verkaufen. Er lebt vom Ruf der Erfolgsgeschichten, doch der Markt ist riskant.
Mittwochabend in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart. Die Wände zieren Streifen in Zielflaggenoptik, durch die Schaufenster kommt die Abendsonne, während auf einem Bildschirm eine Präsentation zu sehen ist. Knapp 30 überwiegend junge Menschen sitzen auf ihren Stühlen, hauptsächlich Männer sind gekommen, doch auch eine Handvoll Frauen lauscht den Ausführungen. Das Event findet erst seit einer Woche statt. Jeden Mittwoch versammeln sich hier diejenigen, die sich für Kryptowährungen interessieren. „Bitcoin-Fahrschule" nennt sich diese Idee, die Sebastian Claessens hatte. In den kommenden 45 Minuten wird er seinen Gästen – in den Räumen einer Fahrschule – erklären, was Bitcoins sind und wie das Zahlungsmittel funktioniert. Danach dürfen sie entscheiden, sich einen weiteren Vortrag anzuhören, in dem es ums Investment geht. „Das ist natürlich freiwillig", versichert Claessens.
Sie hat das Bitcoin-Fieber gepackt
Die meisten bleiben. Sie hat das Bitcoin-Fieber gepackt, das den 31-jährigen Schwaben seit 2016 nicht mehr loslässt. „Ich habe von Bitcoins das erste Mal im Jahr 2016 gehört, aber damals war das alles für mich nicht greifbar", erzählt er. Claessens, der damals wie heute ein eigenes Fitnessstudio in der Stuttgarter Nachbarstadt Sindelfingen betrieb, wollte sich auch nicht weiter damit befassen. Irgendwann war die Neugier aber zu groß. „Früher oder später habe ich mich damit auseinandergesetzt, weil ich gehört habe, dass man gutes Geld mit Bitcoins verdienen kann", sagt Claessens. Also setzte er sich im Mai 2016 vor seinen Rechner und recherchierte. „Ich dachte zuerst, dass Kryptowährungen etwas mit Drogenhandel und Schwarzgeld zu tun haben, musste aber schnell feststellen, dass mein Bild komplett falsch war. Die Grundidee, dass jeder Mensch auf der Welt durch Bitcoins Zugang zu einem eigenen, virtuellen Konto bekommen kann, packte ihn schnell. „Im Balkan, im Iran, im Irak und solchen Ländern dürfen Frauen kein Bankkonto haben. Sie dürfen aber ein Handy besitzen und damit kann ihnen keiner verbieten, sich eine Bitcoin-Wallet zuzulegen", sagt er. Fünf Milliarden Menschen hätten keinen Zugang zu einer Bank. Das Bitcoin- Netzwerk könnte für sie zu einer Art finanzieller Revolution führen. Davon zumindest träumen sie in der Bitcoin-Community.
Noch ist solch ein gesellschaftlich relevanter Nutzen der Kryptowährung aber nicht greifbar. Vielmehr dient sie derzeit als Spekulationsobjekt – eben dazu, Geld zu verdienen. Sebastian Claessens hatte das schon bald für sich entdeckt. Immer, wenn es seine Arbeit im Fitnessstudio zulässt, nimmt er sich die Zeit für sein eigenes Netzwerk, das er inzwischen so ausgebaut hat, dass er sein Studio in den nächsten Monaten schließen wird, wie er sagt. Network-Marketing nennt sich diese Form der Vermarktung eigener Angebote, bei denen man sich wie ein Vertreter einen Kundenstamm aufbaut. Wer ihm im Social-Media-Netzwerk Facebook oder auf der Foto-Community Instagram folgt, sieht einen jungen, engagierten Mann, der mit freundlicher, kräftiger Stimme auf Videos zu sehen ist, in denen er meist davon erzählt, wie sehr Kryptowährungen sein Leben verändert haben und warum er so für die neue Währung schwärmt. Er schreibt auch Sätze wie: „Ein Unternehmer riskiert sein Geld für Freiheit. Alle anderen riskieren ihre Freiheit für Geld. Ich weiß, was mir wichtiger ist, und ich weiß, wie ich das erreiche, was ist dein Plan?" oder „Wenn es mich nicht glücklich macht, ich nicht etwas lerne, ich kein Geld verdiene, dann habe ich keine Zeit mehr dafür."
Mit denen, die Claessens über Facebook für Kryptowährungen begeistern kann, trifft er sich persönlich, um das eigentliche Geschäft vorzustellen: „Im Netzwerk geht es um das Vertreiben von Mining-Hardware", sagt Claessens, der dafür mit einem Unternehmen zusammenarbeitet, denen er auf Provisionsbasis Interessenten vermittelt – wie ein Internetvertreter. „Ich helfe Menschen, diesen Schritt durch die Tür in die Kryptowelt zu gehen. Ich zeige ihnen, welche Risiken da sind und auf was sie achten müssen, damit keine grundlegenden Fehler entstehen."
Stichwort Risiken: Der smarte junge Mann, der mit scheinbar unschlagbaren Angeboten Menschen in sein Netzwerk lockt – das klingt für viele zu schön, um wahr zu sein. Tatsächlich gibt es auch schwarze Schafe in der Branche, denen hauptsächlich daran gelegen ist, Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Doch Sebastian Claessens macht keinen Hehl daraus, dass der Markt der Kryptowährungen mit Risiken verbunden ist. Das kommuniziert er bei jedem neuen Interessenten von Anfang an. „Es geht um Geld, ums Geld verdienen und verlieren", sagt er. „Nicht jeder Mensch ist finanziell so bodenständig und gewappnet, dass er mit den Veränderungen leben kann. Ich habe den Bitcoin von 2.000 auf 17.000 Euro und dann wieder auf 5.000 runtergehen sehen." Der Gewinn in diesem Fall liege immer noch bei 2.000 Euro, aber „wenn ich 1.000 Euro investiert habe, die nur noch 600 Euro wert sind, dann tut das weh." Für solche Schwankungen müsse man offen sein, denn der Kapitalismus funktioniere nun mal so: Wo die einen gewinnen, verlieren die anderen.
Schnelle Gewinne, schnelle Verluste
Weil es sich in solch einem Haifischbecken allein schlecht schwimmen lässt, hat sich der Internetmarketer inzwischen mit fünf anderen Kryptoüberzeugten zusammengetan. Geschäftspartner, die alle das G6leiche wollen: Sich in einer neuen Welt zurechtfinden und darin Geld verdienen. „Wir sind aus unterschiedlichsten Bereichen. Einer ist wohlhabend, ein anderer bekam Hartz IV und hat innerhalb weniger Monate 30.000 Euro mit Bitcoins verdient", sagt Claessens. Die Bereiche, die das neu gegründete Team abdeckt, reichen von Rechtsberatung über Onlinemarketing und technische Fragen bis zum Umgang mit Menschen. „Auch das macht die Kryptowährungen so spannend", sagt Claessens. „Es ist ein unglaublich komplexes Thema."
Seit vier Wochen gibt es den Zusammenschluss, der noch ohne Geschäftsform funktioniert, aber als erstes gemeinsames Projekt die Stuttgarter Bitcoin-Fahrschule auf die Beine gestellt hat. Dorthin bringt jeder der sechs Partner die Kryptointeressenten, die er in seinem eigenen Netzwerk akquiriert hat. Und dort sollen sie den Umgang mit der Währung lernen – und im besten Fall für die Lehrer auch in Mining investieren. Der Mindestbetrag liege bei 600 Dollar – für viele ist das eine Schmerzgrenze, die zu hoch ist. Kunden bekommen Claessens und seine Partner dennoch genug, sagt er. „Ich verdiene mit Kryptowährungen inzwischen mehr als in meinem Fitnesstudio."
Die Zukunftspläne sind deshalb klar definiert: „Wir wollen irgendwann eine deutschlandweite Krypto-Fahrschule auf die Beine stellen", sagt Claessens. „Das Konzept macht unglaublich viel Spaß, weil es den Menschen positiv beeinflussen kann." Aber auch negativ, denn „wenn man uninformiert und überstürzt reingeht, kann man viel Geld verlieren. Davor wollen wir die Leute bewahren." Deutschland soll „kryptofitter" werden. Die Entwicklung, davon ist er überzeugt, ist noch lang nicht vorbei.