Es herrscht eine verblüffende Einigkeit in der Fashion-Community, welcher Damenschuh in der kommenden Wintersaison das absolute Must-have sein wird. Denn an stylisch-femininen Cowboystiefeln, die ein unübersehbares Comeback feiern, führt kein Weg vorbei.
Nach den Modesünden der Nullerjahre, als Stars der Country- und Popmusik wie Britney Spears den Westernstiefeln mit Exemplaren, die beispielsweise mit unsäglichen Strass-Schmetterlingen geschmückt waren, scheinbar den endgültigen Todesstoß versetzt hatten, waren die Treter tatsächlich einige Jahre komplett von der modischen Bildfläche verschwunden. Völlig zu Recht, wie jeder nachvollziehen können wird, der sich das Video zur Coverversion des Nancy-Sinatra-Evergreens „These boots are made for walkin’" von US-Sängerin Jessica Simpson mit entsprechendem Schuhwerk aus dem Jahr 2009 anschaut. Allenfalls auf Festivals wie dem Coachella in Kalifornien konnten Cowboystiefel sich noch als Micro-Trend behaupten. Umso überraschender, dass sie diesen Winter nicht nur ein geradezu verblüffendes Comeback feiern, sondern von allen weltweit wichtigen Mode-Magazinen – die „Vogue" an der Spitze – zum Trendschuh Nummer eins der Saison deklariert wurden. Auch Instagram wurde von den Stiefeln, die seit jeher für Freiheit, Coolness und den American Way of Life stehen, gleichsam im Sturm erobert. Vor allem dank moderner Interpretationen der Schuhklassiker aus dem Wilden Westen durch die internationale Designer-Garde, die alle Zweifel an der Großstadt-Tauglichkeit der Stiefel hinwegfegen konnten.
Schon in der vergangenen Wintersaison waren die Boots mit ihren charakteristischen Merkmalen wie dem relativ weiten, rund geschnittenen Schaft, dem schrägen Blockabsatz und der konisch zulaufenden Kappe bei einzelnen Marken wieder aufgetaucht. Dabei wurden vor allem Raf Simons Kreationen für Calvin Klein als bahnbrechend bezeichnet. Auch bei Alexander McQueen, Balmain, House of Holland oder Louis Vuitton bildeten die Boots eines der Highlights der Schuh-Kollektion. Isabel Marant nicht zu vergessen – das Label hatte seit jeher diese Schuhform geführt. Im Sommer hatten dann weitere Brands wie Chloé (Stiefel in luxuriöser Schlangenoptik), Givenchy (signalrote Boots mit seitlichen Cut-outs in Schlangenoptik) oder Attico nachgezogen. Eigentlich gebührt Tom Ford die Ehre, die Westerntreter schon im Winter 2014 wieder auf die Fashionbühne zurückbefördert zu haben. Und im Sommer 2016 hatte Phoebe Philo für Céline mit ihren „Rodeo High Ankle Boots" aus Kalbsleber mit Nieten für einen Hype in der Instagram-Gemeinde gesorgt.
Diesen Winter wäre es fast einfacher, die wenigen renommierten Labels aufzuführen, die keine Cowboy-Boots in ihrer neuen Kollektion führen. Denn von Prada über Chloé bis Stella McCartney oder Louis Vuitton sind fast alle mit dabei. Und natürlich sind längst auch schon die Bekleidungsketten wie Zara auf den Trendzug aufgesprungen. Isabel Marant, die ihre gesamte aktuelle Fashion dem Wilden Westen gewidmet hat, hat mit einer Overknee-Variante fast die Grenzen des Klassikers gesprengt. Auch bei Maison Margiela hat man sich für eine hochschaftige Version entschieden. Bei Dolce & Gabbana gibt es eine silberfunkelnde Disco-Umsetzung. Ein Silbermodell führt auch Emporio Armani in seinem Sortiment. Silberschmuck und türkisfarbene Steine zeichnen die Stiefelette von Philosophy di Lorenzo Serafini aus.
Erst mal einfache Arbeiterschuhe
Seine wesentlichen Merkmale verdankt der Westernstiefel natürlich seiner ursprünglichen Bestimmung als Fußbekleidung
der auf Ranch und Weide hart arbeitenden Cowboys. Die spitz zulaufende Form des vormals aus besonders strapazierbarem Rindsleder hergestellten Stiefels erleichterte das Einsteigen in den Steigbügel. Der Absatz, eigentlich ziemlich ungewöhnlich für einen Männerschuh, verhinderte das Hindurchrutschen des Fußes durch den Bügel. Die Sohle war extra dünn gefertigt, um ein optimales Gespür für den Steigbügel zu ermöglichen. Der abgeschrägte Absatz bot dem Standbein auf dem Boden besseren Halt und neigte auch nicht so leicht zum Abbrechen. Zudem konnten an dem Absatz auch noch die nötigen Reitsporen angebracht werden. Der Schaft reichte zum Schutz vor Verletzungen meist bis zum Knie.
Der genaue Ursprung der Cowboystiefel lässt sich historisch nicht mehr eindeutig klären. Es dürfte sich um einen Hybriden aus zwei Vorgängermodellen handeln, die in Amerika Anfang des 19. Jahrhunderts durch eine Erhöhung des Absatzes verändert wurden. Im Kurfürstentum Hessen wurde die leichte Kavallerie in der Empirezeit mit den bis zum Knie reichenden Stiefeln ausstaffiert, die über einen niedrigen Absatz und über schmückende Quasten verfügten. Dem britischen Duke of Wellington gefielen diese Boots so gut, dass er sich von seinem Schuhmacher eine ähnliche Variante aus feinstem Kalbsleder mit 2,5 Zentimeter hohem Absatz und Wadenhöhe anfertigen ließ. Diese Wellington-Boots wurden schnell in britischen Adelkreisen und im elitären Zirkel der Dandys rund um George Bryan „Beau" Brummel populär. Somit gelangten sie im Laufe des 19. Jahrhunderts auch über den großen Teich nach Amerika, wo sie in einfache Arbeiterschuhe verwandelt wurden.
Ob die ersten richtigen Westernstiefel in Texas oder Kansas in Handarbeit hergestellt wurden, ist umstritten. Um das Jahr 1880 gab es jedenfalls in San Antonio, Texas, eine von sizilianischen Einwanderern gegründete Company Lucchese und in Olathe, Kansas, eine von deutschen Immigranten etablierte Hyer’s Boot Company, die sich beide auf die Herstellung von Westernstiefeln spezialisiert hatten. Im Zuge des Aufstiegs von Hollywood und den ersten Western-filmen wandelte sich das Aussehen der Stiefel in den 30er- und 40er-Jahren grundlegend weg vom reinen Arbeiter-Schuhwerk hin zu einem modischen Accessoire. Schauspieler wie Gregory Peck oder John Wayne machten es auf der Leinwand zunehmend populär. Erstmals kamen auch farbige Exemplare in den Handel, auch exotische Lederarten wurden gebräuchlich.
Marilyn Monroe sollte eine der frühen Trägerinnen werden, später gefolgt von Raquel Welch, der Prinzessin von Wales Lady Diana, Kate Moss und Sienna Miller. In den 60er-Jahren waren die Edel-Versionen bei der aufmüpfigen Jugend nicht mehr angesagt, sondern diese setzte bevorzugt wieder mehr auf ein schlichtes Design der Stiefel im Stil des späten 19. Jahrhunderts, die Farben Schwarz und Braun hatten plötzlich wieder die Nase vorn. In den 80ern kehrte die Opulenz bei den Boots zurück, auch runde Kappen waren dabei wieder en vogue.
Tolle Stilbrüche sind möglich
Auch wenn es streng genommen nur zwei unterschiedliche Sorten von Cowboystiefeln gibt, so scheint das den meisten Designern ziemlich schnuppe zu sein. Beim Klassiker reicht der Schaft mindestens bis zur Mitte des Unterschenkels. Beim „Roper" ist knapp über dem Knöchel Schluss. Tatsächlich hat frau bezüglich der Schafthöhe aktuell die freie Wahl zwischen knie-, waden- und knöchellang. Auch beim Material ist so ziemlich alles möglich, von Samt über Kroko-Optik bis hin zu Vinyl. Weiche Wild- oder Veloursleder-Optiken können den meist eher derben Boots ebenso wie alle Arten von schmückendem Zierrat einen wunderbar zart-femininen Touch verleihen. Bei den Farben ist die Auswahl riesengroß, neben traditionellem Schwarz, Braun oder Beige gibt es so ziemlich alle Töne bis hin zu knalligem Violett. Bei der Absatzhöhe kann ebenfalls eigenem Gusto gefrönt werden. Wer es bequem mag, findet Westernstiefel mit Hacken zwischen drei und sieben Zentimetern, aber auch High-Heel-Fans kommen auf ihre Kosten – beispielsweise bei Manolo Blahnik.
Weit geschnittene Modelle lassen sich sehr gut zu Röcken oder Kleidern kombinieren, während Stiefel mit eher engem Schaft perfekt unter einer Flared-Hose getragen werden können. Natürlich passen die Cowboystiefel ideal zur Jeans, doch auch zu Boho-Kleidern oder Midiröcken können sie sich sehen lassen. Für coole Stilbrüche kann die Kombination mit femininen Blusen oder Rüschenteilen sorgen. An den Western-Komplett-Look samt All-Over-Denim oder Fransenjacke sollten sich nur ganz modesichere Damen wagen. Wer die Stiefel im beruflichen Alltag tragen möchte, sollte sich für ein Exemplar entscheiden, das möglichst unauffällig gehalten ist, beispielsweise in schlichtem Schwarz ohne sogleich ins Auge fallende Applikationen und nur mit ansatzweise erkennbaren typischen Merkmalen wie abgeschrägtem Absatz oder Ziernähten.
In der aktuellen Herrenschuhmode lassen sich Cowboystiefel noch nicht so richtig als Trend ausmachen, auch wenn Raf Simons für Calvin Klein im vergangenen Winter neue, interessante Männermodelle auf dem Laufsteg präsentiert hatte. Und auch Clare Waight Keller hat bei Givenchy bereits einige zeitgemäße Westernstiefel für die männliche Klientel entworfen.