Egal ob in der Familie, in der Partnerschaft oder im Beruf – Unstimmigkeiten sind allgegenwärtig. Wie Sie richtig streiten und welche Fähigkeiten Sie brauchen, um Konflikte zu managen.
Wann haben Sie sich eigentlich das letzte Mal gestritten? Wissen Sie noch mit wem und worüber? Darüber, wer den Müll runterbringt, warum Sie noch ein Projekt mehr betreuen müssen, während ihr Kollege eine ruhige Kugel schiebt oder wer den Kindern erlaubt hat, eine weitere Folge ihrer Lieblingsserie zu schauen, obwohl sie längst im Bett sein sollten?
Wo Menschen zusammenkommen, streiten sie sich. Hugo Mercier, ein Evolutionsbiologe aus der Schweiz, sagt sogar, der Mensch sei zum Streiten geboren. Wenn Sie sich nochmal an den Verlauf und den Ausgang Ihres Streits erinnern, werden Sie dem vermutlich nicht so einfach zustimmen. Die meisten Menschen empfinden Streit als etwas Negatives. Beim Streit wird es impulsiv, man knallt sich Dinge an den Kopf, die einem hinterher leidtun, man fühlt sich angegriffen und greift deshalb den anderen seinerseits an. Was sollte daran also gut sein?
Der Streit hat nicht von Natur aus einen destruktiven Charakter. Er wird vor allem dann destruktiv, wenn wir nicht gelernt haben, uns richtig mit anderen auseinanderzusetzen. Mercier nennt den Streit einen Weg, um Fehler zu korrigieren und ein Vehikel des Fortschritts. Er ist immer die Folge eines Konfliktes. Es prallen also mindestens zwei Ideen, Personen oder Gruppen aufeinander, die sich in Bezug auf Sachverhalte, Verhaltens- oder Wertvorstellungen unterscheiden. Ein solcher Konflikt muss nicht zwingend ausgetragen werden, er kann auch unterschwellig weiter existieren.
Der Konfliktforscher Friedrich Glasl hat neun Stufen der Eskalation identifiziert. Er unterscheidet dabei drei Ebenen:
Auf der ersten Ebene ist es noch möglich, dass beide Parteien ohne Schaden oder sogar mit Gewinn aus der Sache aussteigen (win-win). Es prallen verschiedene Meinungen aufeinander, die Fronten verhärten sich, jeder beharrt auf seinem Standpunkt, bis reden letztlich nicht mehr hilft und Taten nötig sind.
Auf der zweiten Ebene muss schon einer von beiden der Verlierer sein (win-lose). Es gibt erste Parteienbildungen, Gerüchte werden verbreitet, die gegenseitigen Angriffe gehen unter die Gürtellinie, und es kommt zu Drohungen. Die ursprüngliche Sache ist längst nicht mehr Gegenstand des Konflikts, vielmehr geht es darum, ihn zu gewinnen.
Auf der dritten Ebene gibt es auf beiden Seite nur noch Verluste bis zur gegenseitigen Vernichtung (lose-lose). Der eigene Schaden wird nur in Kauf genommen, wenn der Schaden des anderen größer ist. Der Gegner wird nicht mehr als Mensch, sondern als Objekt wahrgenommen. Das oberste Ziel ist der Zusammenbruch und die Zerstörung des anderen.
Während die erste Ebene noch selbst oder durch Hilfe von Freunden zu lösen ist, ist laut Glasl auf der zweiten Ebene professionelle Hilfe notwendig, und auf der dritten sind Lösungen nur mehr durch Schiedsgerichte oder einen Machteingriff einer höheren Instanz möglich. Wer erkennt, auf welcher Eskalationsstufe er sich befindet, kann selbst gezielte Maßnahmen einleiten oder sich Hilfe von außen suchen.
„Wünsche, Gefühle und Interessen in Worte fassen"
Wie kann es also gelingen, dass ein Streit nicht bloß destruktiv verläuft? „Streiten ermöglicht, sich selbst und andere besser kennenzulernen, Wünsche, Gefühle und Interessen in Worte zu fassen", schreibt die Konfliktforscherin Susanne Jalka. Ein konstruktiver Umgang mit Konflikten stärke das Selbstbewusstsein, erweitere mit jedem Streit das Verhaltensrepertoire und erleichtere die Verständigung mit dem anderen. Damit das gelingen kann, hat Jalka einen Plan für besseres Streiten entworfen. Dabei geht es unter anderem darum, das eigene Konfliktverhalten zu erkennen. Also wie streite ich, wie streiten andere? Wodurch lasse ich mich provozieren, wann werde ich laut? Erst indem man ein Bewusstsein für die eigene Streitkultur schafft, kann sich auch etwas verändern. Es helfe auch, sich daran zu erinnern, tatsächlich beim Thema zu bleiben und nicht in Vergangenes abzudriften. Gerade im Streit neigt der Mensch dazu, dem Gegenüber nochmal die alten Kamellen von vor fünf Jahren aufs Brot zu schmieren.
Andere Tipps sind, das Widersprechen zu üben, ohne dabei verletzend zu werden (wie das geht, lesen Sie im siebten Teil der Serie). Fehler sollte man ehrlich zugeben und sich nicht in die Schuldfrage verbeißen. Die Idee, durch Bestrafung von Schuldigen einen Konflikt zu beenden, führe in eine Sackgasse, schreibt Jalka. Sie schlägt auch vor, positive Ich-Aussagen zu treffen. Das heißt, nicht etwa zu sagen „Du machst immer/nie…", „Du musst endlich…", sondern stattdessen Formulierungen zu wählen, wie „Ich denke/fühle/wünsche mir, dass…". Inwieweit Ich-Aussagen in Streits tatsächlich angemessen und hilfreich sind, ist unter Psychologen umstritten. Einige Fachleute halten sie in dieser Situation für unauthentisch. Zudem helfe die Du-Botschaft besser dabei, Wut abzulassen.
Wichtig ist auch, dem anderen tatsächlich zuzuhören und sich darum zu bemühen, seinen Standpunkt nachzuvollziehen (Wie Sie ein guter Zuhörer werden, lesen Sie im achten Teil unserer Serie). Ein weiterer Vorschlag von Jalka ist, den eigenen Zeithorizont zu erweitern. Nicht alles müsse gleich ausdiskutiert werden, es könne sich auch lohnen, einer Sache Zeit zu lassen. „Es handelt sich darum, den eigenen Standpunkt bewusst einzunehmen, die Gesamtsituation des Konflikts wahrzunehmen, die verschiedenen Aspekte zu analysieren und auf den richtigen Zeitpunkt der Konfliktbearbeitung warten zu können. Das kann schnell sein oder lange dauern", so Jalka.
Weniger verletzend streiten
Eine andere Methode haben die US-amerikanischen Wissenschaftler Roger Fisher und William L. Ury an der Harvard-Universität entwickelt. Ziel der Verhandlungsmethode, die als „Harvard-Konzept" bekannt ist, ist es, in Konfliktsituationen eine friedliche und konstruktive Einigung zu erzielen und zu einer Lösung zu gelangen, von der beide Seiten profitieren. Ihre Idee: Wer sich nicht einigen kann, sollte die Verhandlungsmasse vergrößern. Das funktioniert, indem sich die Beteiligten auf Interessen statt auf Positionen konzentrieren. Wünsche sich ein Arbeitnehmer zum Beispiel mehr Anerkennung, könne der Chef ihm, alternativ zur Gehaltserhöhung, ein verantwortungsvolles Projekt übertragen oder ihm einen Firmenwagen zur Verfügung stellen. Wem beim Autokauf der Wagen zu teuer ist, dem bietet die Werkstatt zwei kostenlose Inspektionen an – die Verhandlungsmasse ist größer, die Interessen werden berücksichtigt und eine Einigung lässt sich leichter erzielen. Sinnvoll bei Streitigkeiten ist auch die Ursachenforschung. Denn im Streit kommt häufig etwas zum Ausdruck, das mit dem Streitthema nur entfernt zu tun hat. Wenn sich ein Paar etwa über die Frage, warum einer von beiden den Müll nicht runtergebracht hat, derart streitet, dass die Fetzen fliegen, geht es nur selten um den Müll. Vielleicht fühlt sich einer von beiden nicht wertgeschätzt, hat das Gefühl, nahezu alle Hausarbeit zu verrichten oder den Eindruck, dass der andere häufig nicht zuhört, wenn man ihm oder ihr etwas mitteilt.
Wer verschiedene Tipps und Regeln beachtet, kann lernen, konstruktiver und weniger verletzend zu streiten. Jalka empfiehlt, Streiten und Kommunikationstechniken beständig zu üben. Die Verbesserung von Konfliktfähigkeit stärke Selbsterkenntnis, Einfühlungsvermögen, Dialogfähigkeit und Entscheidungsstärke. Dies seien Bausteine für Kompetenz und Erfolg in Beruf und Privatleben.
Zum Streit gehört natürlich auch eine Entschuldigung. Lesen Sie deshalb im nächsten Teil unserer Serie „Lassen Sie uns reden!": Es tut mir leid – wie Sie aufrecht um Verzeihung bitten und was Sie tun können, wenn sich ihr Gegenüber nicht entschuldigt, obwohl Sie es verdient hätten.