Der Ball ist rund – der von Fußballern und der von Tennisspielern. Würde Boris Becker die Fußball-Champions-League komplett umgestalten wollen, bekäme er aber wohl ein Problem. Ähnliches hat der spanische Fußballer Gerard Piqué mit dem legendären Davis Cup versucht. Doch er gewann die Stimmen von ausreichend vielen Tennisfunktionären für seine vermarktungsfreundliche „Reform".
Die Silbe und das Wort „tot" kommen neuerdings häufig vor, wenn es um den 118 Jahre alten Davis Cup geht. Ob in den sozialen Medien oder in der Tennis-Szene generell. Wegen seiner Total-Reform. Nicht, weil die Idee dazu bereits 1899 von Dwight Filley Davis und drei weiteren Mitgliedern des Tennisteams der Harvard Universität geboren wurde, die ihren Tennisverband davon überzeugen konnten, ein Nationenturnier gegen das Tennismutterland Großbritannien auszutragen. Davis erarbeitete die Wettkampfregeln und besorgte die „wohl hässlichste Salatschüssel der Welt", wie die Trophäe als Dauerscherz genannt wird. In diese Schüssel sollten später als würzende Essenzen die Seele und die Emotionen von Spielern, Fans und Funktionären fließen, wenn abwechselnd vor heimischem und „feindlichem" Publikum in endlos legendären Matches um die Tennis-Ehre des einen oder anderen Landes gefightet wurde.
Emotionen hielten den Cup lange am Leben, obwohl es im dichten Wettbewerbskalender der Profis immer schwieriger wurde, die Turniertermine unterzubringen. Ebenso die Spitzenleute auf Beläge zu locken, die von der Gastgebernation extra schlitzohrig ausgesucht wurden – gegen die Vorlieben der Teilnehmer oder den gerade aktuellen Saison-Belag.
Seit 1900 wird der wichtigste Wettbewerb für Nationalmannschaften im Herrentennis, dem sich bis 1913 bereits Belgien, Österreich, Frankreich und „Australasia" – ein Team aus Australien und Neuseeland – angeschlossen hatten, ausgetragen. Davis spielte von Anfang an selbst mit und gewann mit den USA die ersten drei Begegnungen, zur Verwunderung der Briten. Selbst der britische Rasen kam nicht gegen die Entschlossenheit der Amerikaner an. Die Faszination, die Fan-Unterstützung und die bis heute elektrisierende Spannung um den Nationenwettbewerb waren geboren.
Finalturnier mit 18 Mannschaften an neutralem Ort
Als der Gründer 1945 starb, erhielt der Wettbewerb seinen Namen: Davis Cup. Das Turnier der Tennisländer wird mittlerweile jedes Jahr unter über hundert Nationen in Gruppen und Runden ausgespielt, deren wichtigste die Weltrunde mit acht Staaten ist. Veranstalter ist die International Tennis Federation (ITF). Der vergleichbare Wettbewerb im Damentennis ist der Fed Cup, der entsprechend dem Davis Cup verändert werden soll.
Ab 2019 soll es nach demmWillen der ITF beim neuen Davis Cup nur noch eine Vorrunde mit Heim- und Auswärtsspielen im Februar geben, ehe im November – oder doch schon im September, so ist mittlerweile zu vernehmen – ein Finalturnier mit 18 Mannschaften an einem neutralen Ort ausgetragen wird. Bisher wurde an vier Wochenenden übers Jahr verteilt gespielt.
Den „Head" des deutschen Tennis, Boris Becker, der in Hartford 1987, Göteborg 1988 und Stuttgart 1989 prägende Ikone des Davis Cups war, fehlten zunächst die Worte, als er von der Entscheidung für die Total-Reform hörte. Dann schickte er via Instagram bedeutungsschwere Fotos, von denen eines einen Grabstein mit der Aufschrift zeigte: „Hier liegt der Davis Cup. 1900 – 2018." Michael Stich, Davis-Cup-Sieger von 1993, übte harsche Kritik: „Es ist traurig, dass eine Gruppe von Funktionären die Tradition des Davis Cups beerdigt." – Davis Cup, der Straßenfeger. Deutschland dreimal Gewinner.
Doch bei aller Nostalgie war es Zeit für Reformen, die Spieler wie Milos Raonic, Novak Djokovic und Marin Cilic prinzipiell begrüßten. Denn auch deutsche Spitzenspieler wie Philipp Kohlschreiber und Sascha Zverev tun sich seit geraumer Zeit schwer damit, die Davis-Cup-Termine, mit deren speziellen Belägen und strapaziös langen Matches, in ihren persönlichen Kalender einzubauen. Dennoch spielten sie alle gern und gut, wenn es denn mal klappte: So wie Zverev und Kohlschreiber in diesem Jahr im Viertelfinale in Spanien, in der aufgeladenen Atmosphäre einer Stierkampfarena gegen einen Rafael Nadal, den man selten so entfesselt erlebt hat, wenn andere Athleten ihre Matches durchkämpfen. Nadal zieht im September im Halbfinale gegen Frankreich den Davis Cup dem eine Woche darauf startenden Laver Cup vor. Im neuen Davis Cup ab 2019 will Lucas Pouille, französischer Top-20-Spieler, nicht mehr mitmischen. Er attackierte die Abgeordneten des ITF-Verbandstages in Orlando/Florida über die sozialen Medien: „Ihr Typen seid eine Schande für das Tennis."
Gibt es einen großen Tennisspieler, der in seiner Karriere nicht für sein Land beim Davis Cup angetreten ist, gar die Trophäe geholt und mit seinen Teamkameraden hochgestemmt hat, während Freudentränen in Strömen flossen? – Undenkbar! Das Ende der großen Tradition, die viele Menschen vor den Fernsehgeräten und in den riesigen Stadien erst zu Tennisliebhabern gemacht hat, wird von den Gegnern, die sich jenseits der Abstimmungs-Veranstaltung in Orlando in der Mehrheit fühlten, beklagt. Beim reformierten Davis Cup handelt es sich um eine neue Veranstaltung, ein neues Turnier, wie es mehr oder weniger kommerziell unterfüttert immer wieder mal ein neues gibt.
So wie auch den Laver Cup, der vom 21. bis zum 23. September zum zweiten Mal, diesmal in Chicago auf Hartplatz, ausgetragen wird, und mit seiner Struktur aus berufenen Top-Spielern für das „Team Europe" auf der einen Seite und das „Team World" auf der anderen Seite erkennen lässt, dass es mehr ums Vergnügen als um irgendeine Logik geht. Roger Federer brachte den Laver Cup, den er nach der australischen Tennislegende Rod Laver benannte, vor einem Jahr an den Start. Federer, nicht nur Maestro und Rekordtitelhalter auf den Courts der Welt, sondern auch intelligenter Geschäftsmann, bediente damit neue Zuschauerbedürfnisse nach guter Unterhaltung, bei großer Leistung, im Schnelldurchlauf. Federer spielt heuer selbst wieder mit, ebenso wie Deutschlands Nummer eins, Alexander „Sascha" Zverev, Grigor Dimitrov, Novak Djokovic, David Goffin und Kyle Edmund, im Team Europe. Kein Anspruch auf zu große Ernsthaftigkeit besteht auch beim Team World, in das Juan Martin del Potro, John Isner, Kevin Anderson, Diego Schwartzman, Jack Sock und Nick Kyrgios geholt wurden, alles Spieler mit Charisma und starken Bilanzen.
Nicht von einem 20-fachen Grand-Slam-Sieger, sondern von einem Kicker, Gerard Piqué, als Teilhaber eines Unternehmensinvestors, wurde der Davis Cup einer „Tot(al)"-Reform unterzogen. „Coup Piqué" wäre künftig dessen treffendere Bezeichnung.
Drei Milliarden Euro für 25 jahre
Als pikant wurde die intensive Werbetour von ITF-Präsident David Haggerty zu den abstimmenden Tennisnationen und Delegierten, insbesondere in die afrikanischen und südamerikanischen Staaten, wahrgenommen. Ebenso die Abstimmung selbst, bei der sogar Länder, die auf der Gegner-Seite eingeordnet worden waren, für die Reform stimmten. „Tennismagazin.de" zufolge, wurde DTB-Präsident Ulrich Klaus, als er bei der Abstimmungsveranstaltung zu einem Plädoyer gegen die Reform ansetzte, von ITF-Chef Haggerty darauf hingewiesen, er solle doch bitte nur konkrete Fragen zum Thema stellen.
Es geht um viel Geld. Immerhin sollen der ITF vom Kosmos-Konsortium insgesamt drei Milliarden Euro für 25 Jahre versprochen worden sein. Den nationalen Verbänden sollen künftig jährlich 25 Millionen Dollar für Strukturen und Nachwuchsprogramme über die ITF zukommen. Bezweifelt wird allerdings, dass die vor der Reform nicht befragten, aber für die Turniere umso mehr gefragten Top-Spieler antreten, wenn Urlaub und Regeneration und schließlich Saisonvorbereitung angesagt sind. Wenn im Januar ab 2020 der wiederbelebte World Team Cup der Spielervereinigung ATP ansteht, der kompakt in einer Woche, mit 24 Teams, 15 Millionen Dollar Preisgeld und Weltranglistenpunkten ausgespielt werden soll.
Gefragt nach ihrer Meinung wurden die Tenniscracks im Vorfeld nicht. Umso lauter verkündeten aktive und ehemalige Spieler, wie auch viele andere, nach dem ITF-Votum ihr Missfallen über den harschen Umgang mit dem Davis Cup. Selbst Federer, der sich für eine Reform ausgesprochen hatte, war entsetzt. „Ich bin traurig darüber, nicht mehr den Davis Cup zu haben, der er einmal war." Sein Statement zur mangelnden Transparenz: „Ich hoffe wirklich, dass jeder Cent für die nächste Generation aufgewendet wird."