Lücken haben etwas Fatales. Wo sich eine auftut, ist irgendetwas nicht in Ordnung, nicht perfekt. Und wer will schon in einer unperfekten Welt leben? Folglich sind umgehend „der Gesetzgeber" wahlweise „die Politik" gefordert, sich um diesen und jenen Lückenschluss zu kümmern. Das Ansinnen, jeden Einzelfall zu regeln, ist längst Alltagsroutine im politischen Forderungsgeschäft.
Herausgekommen sind Regelungsgeflechte, die immer öfter Lähmungserscheinungen hervorbringen. Eindrucksvoll zu besichtigen ist das etwa an dem dicken Schinken, den unlängst Innenminister Bouillon zur Klärung interkommunaler Zusammenarbeiten vorgelegt hat. Fast schien es, als sei der Schinken nur gemacht, um alle Widerborstigen damit zu erschlagen. Tatsächlich könnte er zum Gegenteil führen.
Die Detail-Regelungswut für alles und jeden kann in den Wahnsinn treiben. Einfaches Abitur reicht zum Ausfüllen von Bafög-Anträgen kaum aus, Rentner leben in Sorge, wenn sie ausfüllen müssen, was zum Abzug von der Rente anzugeben ist. Pfleger bräuchten einen Pfleger, der pflegt, während sie Formulare ausfüllen, Lehrer einen assistierenden Rechtsanwalt, um alle Fallen zu umzuschiffen. Womit die Aufzählung mangels Platz abgebrochen wird.
Ja, die Welt ist komplizierter geworden, und wir haben mit unserer Einzelfall-Regelungswut erheblich dazu beigetragen, dass wir uns selbst auf oft unsicherem Terrain bewegen. Was wiederum den Ruf nach noch mehr Regelungen beflügelt, vor allem natürlich, um das Verhalten anderer zu regeln. Man kann das als überbordenden Egoismus interpretieren. Man könnte darin aber auch einen gewaltigen Vertrauensverlust sehen. Die Forderung nach immer neuen Detailregelungen schafft mehr Bürokratie und gleichzeitig in vielen Bereichen weniger menschlichen Umgang. Wenn zugleich große Fragen wie Abgasskandal, sichere Renten, Energiewende und viele andere über Jahre nicht gelöst werden, darf sich niemand über Vertrauensverluste wundern. Detailfragen anzugehen ist verführerisch, notwendig ist jedoch mehr Mut zur Lücke im Kleinen, dafür aber sichtbare Ergebnisse im Großen, die Vertrauen schaffen. Manche Suche nach Lückenbüßern könnte sich dann vielleicht erübrigen.