Die größten deutschen Fleischproduzenten halten Fleisch für einen Bestandteil gesunder Ernährung. Doch bei der Frage nach der Umweltverträglichkeit der Produktion weicht der Branchenprimus aus und verweist auf den Konsumenten.
Vegane Restaurants, vegan lebende Youtube-Stars, „vegane" Kitas – der Verzicht auf Fleisch liegt im Trend. Laut Gesellschaft für Konsumforschung bekannten sich im Jahr 2015 37 Prozent der Deutschen als Flexitarier, also als solche, die nur ab und zu Fleisch essen. Nach einer Erhebung der Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahe steht, ist diese Entwicklung wichtig. Denn die nach wie vor stark verbreitete Massentierhaltung trägt demnach einen großen Teil zur globalen Erwärmung bei. Laut der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO entstehen 14,5 Prozent aller Treibhausgase bei der Haltung und Verarbeitung von Tieren. Diese Zahlen dürften auch die Fleischfabrikanten kennen. Zu einer geringeren Produktion führt das aber nicht. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres produzierten die gewerblichen Schlachtbetriebe Deutschlands vier Millionen Tonnen Fleisch. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, nahm die Fleischerzeugung im Vergleich zum ersten Halbjahr 2017 damit um rund 8.400 Tonnen (0,2 Prozent) zu. Auf deutschen Höfen leben derzeit rund zwölf Millionen Rinder, 23 Millionen Schweine, 1,6 Millionen Schafe und 40 Millionen Hennen. Der Fleischkonsum der Deutschen lag im Jahr 2017 bei durchschnittlich 87,69 Kilogramm pro Kopf, wovon etwa 60 Kilogramm für den menschlichen Verzehr bestimmt waren. Die Heinrich-Böll-Stiftung kommt zu der Erkenntnis, die Deutschen müssten diesen Fleischkonsum bis zum Jahr 2050 halbieren.
„Es müssen viele Kontrollschritte ineinander greifen"
FORUM hat beim größten deutschen Fleischfabrikanten Tönnies nachgefragt. Im Jahr 2016 lag deren Umsatz bei mehr als sechs Milliarden Euro. Tönnies-Sprecher André Vielstädte antwortet mit einem Statement, in dem er die Vorzüge seines Unternehmens hervorhebt: „Tönnies steht für eine gesunde und genussvolle Ernährung mit Fleisch", sagt er. „Wir sind der festen Überzeugung, dass Fleisch ein Teil einer gesunden Ernährung ist. Fleisch ist natürlich ein besonderes Lebensmittel. Einerseits ist es von großer Nährstoffdichte und enthält viele lebenswichtige Vitamine, Spurenelemente und Aminosäuren. Andererseits müssen besonders bei der Fleischerzeugung, vom Anbau der Futtermittel bis zum Endprodukt, viele Kontrollschritte ineinandergreifen, um das Fleisch sicher zu machen."
Tatsächlich stand das 1971 gegründete Unternehmen in dieser Frage bislang nicht in der Kritik. Doch wie sieht es mit der Menge des Fleischkonsums in Deutschland aus? „Grundsätzlich entscheidet jeder Einzelne, welches Fleisch und wie viel er davon konsumiert", erklärt Vielstädte. „Wie groß die Unterschiede in den Verzehrmengen sind, zeigt ja ein Blick ins Ausland: Die Österreicher konsumieren durchschnittlich rund 106 Kilogramm pro Person, die Franzosen 88 und die Südkoreaner 62 Kilogramm."
Zu der konkreten Frage, ob es sinnvoll sei, den Fleischkonsum tatsächlich zu halbieren, schweigt das Unternehmen. Auch zu den Fragen, wie das Unternehmen zu der Kritik der Heinrich-Böll-Stiftung am Fleischkonsum allgemein steht, ob es sinnvoll sei, auf Futtermittel umzusteigen, die weniger Methan produzieren, oder ob es Alternativpläne für den Umstieg auf Flexitarierprodukte gebe, äußert sich Tönnies nicht. Stattdessen gibt es Einblicke in seine Meinung zum Thema Massentierhaltung: „In der Landwirtschaft haben wir den Anspruch, dass die Tiere, die wir schlachten und verarbeiten, vernünftig gehalten und aufgezogen werden", sagt Vielstädte. „Wir unterstützen unsere Erzeuger dabei, Tierwohl und Tierschutz in der Haltung sicherzustellen und weiter auszubauen." Die Landwirtschaft in Deutschland habe sich auf den Weg gemacht und sei weltweiter Treiber von Investitionen und Verbesserungen. „Uns ist beim Blick in den Stall eines wichtig: Es kommt nicht auf die Größe des Hofes an, sondern darauf, wie es dem Tier in dem einzelnen Stall und der Bucht geht. Hierzu und zu vielen anderen Fragen der landwirtschaftlichen Tierhaltung sind wir im engen Kontakt mit Politik, NGOs und Wissenschaftlern."
Sortiment an veganen Produkten
Auch im Segment der Geflügelfabrikanten gibt es einen bekannten Branchenprimus in Deutschland. Und anders als Tönnies stand die PHW-Gruppe zuletzt immer wieder in der Kritik. Die Marke „Wiesenhof" hat sich bis heute nicht von den Bildern erholt, die prekäre Zustände in Höfen zeigen, die für das Unternehmen Hühner züchten. Auf Nachfrage nach der Umweltverantwortung des Unternehmens wird der Vorstandsvorsitzende der PHW-Gruppe, Peter Wesjohann, aber konkreter als Tönnies. Vor allem auf die neuen Marktbedingungen durch geringer gewordenen Fleischkonsum scheint man dort gut vorbereitet zu sein: „Im März 2015 haben wir ein vielseitiges Sortiment an veganen Produkten auf den Markt gebracht, um Verbrauchern, die sich fleischlos ernähren möchten, eine gute Alternative zu Geflügelfleisch zu bieten", sagt Wesjohann. „Den für uns konsequent nächsten Schritt sind wir Anfang des Jahres gegangen, in dem wir uns nach der Entwicklung unseres veganen Sortiments mit der Entwicklung von Fleisch aus Zellkulturen beschäftigt haben." Die PHW-Gruppe ist aus diesem Grund eine strategische Partnerschaft mit dem Unternehmen Supermeat eingegangen, das Fleischalternativen erforscht. Wissenschaftler versuchen seit vielen Jahren, Fleisch im Labor zu züchten und damit der Massentierhaltung Paroli zu bieten. Das, versichert Wesjohann, will PHW in Zukunft verstärkt unterstützen: „Wir freuen uns darauf, ein vielversprechendes Start-up in allen Fragen der Forschung und Entwicklung zu beraten und mit unserem langjährigen Know-how einen Beitrag zur Entwicklung von Fleisch aus Zellkulturen zu leisten." Zudem investiert die PHW-Gruppe in den Hersteller von Meeresfrüchten auf pflanzlicher Basis Good Catch und unterhält eine Vertriebspartnerschaft mit dem veganen Burgerproduzenten Beyond Meat. Von Schwarz-Weiß-Szenarien halte man bei PHW aber nichts. „Unsere Aufgabe als Lebensmittelhersteller ist es, für den Verbraucher möglichst viele verschiedene und überzeugende Angebote zu schaffen", sagt Wesjohann. Deshalb verschwinden auch in Zukunft keine Geflügelprodukte aus den Supermarktregalen. „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir unsere Produktpalette breiter aufstellen und uns als Anbieter von hochwertigen Proteinprodukten definieren."
„Einen Überschuss gibt es nicht"
Auch in Sachen Klimaschutz ist die PHW-Gruppe nicht untätig. Zwar stoßen Vögel weit weniger CO₂ als Rinder aus, die Umweltsünde bei der Geflügelproduktion ist aber vor allem das Futter. Denn zum Übersee-Soja, das weite Strecken zurücklegt, um in den Mägen deutscher Hühner zu landen, gibt es bislang kaum Alternativen. Nun kooperiert die PHW-Gruppe mit dem kanadischen Unternehmen Enterra Feed Corporation. „Unser Ziel ist es, künftig auf den Zusatz von Soja in unserem Geflügelfutter so weit wie möglich zu verzichten. Stattdessen sehen wir in dem von Enterra entwickelten Insektenprotein eine geeignete Alternative", erläutert Wesjohann. Die Enterra Feed Corporation produziert und vermarktet Futterzusätze, die aus den Larven der schwarzen Soldatenfliege stammen. Das Unternehmen zieht die Larven unter kontrollierten Bedingungen auf lokal gewonnenen Nahrungsabfällen auf. Die Nährstoffe bleiben somit erhalten. Die Insekten verarbeiten also Lebensmittelabfälle: Aus zwei Kilo Lebensmittelresten wird ein Kilo Larven.
Im Segment der Geflügelzucht scheint also ein Umdenken stattzufinden. Noch dauert es allerdings, bis ein Rad ins andere greift. Im Moment gibt es einen Überschuss bei der Produktion von Geflügelfleisch: „Wir gehen davon aus, dass wir in Deutschland Ende 2018 einen Selbstversorgungsgrad von unter 100 Prozent bei Geflügel haben", sagt Wesjohann. „Entsprechend wird das Geflügel von unseren Vertragslandwirten als Frisch-, Frost- oder als Convenience-Produkt weiterverarbeitet. Aus den Resten des Geflügels, die nicht für den menschlichen Verzehr genutzt werden, stellen wir hochwertige Eiweiß- und Fettprodukte her." Ähnlich sieht es bei Tönnies aus. Das Unternehmen verwertet laut Andreas Vielstädte alle Teile der Tiere: „Einen Überschuss des Produktes gibt es nicht. Wir verwerten unseren Rohstoff zu nahezu 100 Prozent. Der Großteil wird als Lebensmittel gewonnen, weitere Teile können als Tiernahrung oder tierische Nebenprodukte gewonnen werden."