40 Prozent unseres Verhaltens wiederholen wir täglich – nicht immer ist das gut. Neueste Forschung zeigt, wie wir positives Verhalten etablieren und mit schlechtem brechen können.
Das Frühstück vorm PC, die Zigarette zwischendurch und die Chips-Tüte auf der Couch: Gewohnheiten, hat der Philosoph William James einst gesagt, sind unser Schicksal. Doch die Forschung zeigt: Wenn wir sie verstehen, können wir unser Leben ändern.
Gewohnheiten sind, so sagt es die Wissenschaft, Aktionen, die wir routinemäßig in bestimmten Situationen und Kontexten wiederholen. Oft geschieht das unbewusst. Das Gehirn schaltet in dieser Zeit in eine Art Autopilot-Modus. Damit versucht unser Gehirn, uns das Leben etwas leichter zu machen. Wer sich jeden Tag den Kopf darüber zerbrechen würde, ob er sich heute die Zähne putzt oder es lieber sein lässt, hätte sehr viel gedankliche Anstrengung mehr. Wendy Wood von der University of Southern California hat bei Studenten untersucht, wie oft sie in diesen Autopilot-Modus verfallen. Ihr Ergebnis: 40 Prozent des täglichen Verhaltens verlief in Gewohnheiten. Beim Autofahren oder Zähneputzen – ständig war das Gehirn im Autopilot-Modus, und die Studenten dachten über ganz andere Dinge nach.
Das deutet auch darauf hin, dass sich im Gehirn etwas ändert, wenn ein bewusster Vorgang zu einer Gewohnheit wird. Anne Gabriel, Neurowissenschaftlerin am Massachusetts Institute of Technology, konnte in verschiedenen Studien zeigen, dass es sich um Vorgänge im Großhirn handelt. Genauer gesagt im Striatum, einer Hirnregion, die für Bewegung, Stimmung und Belohnung wichtig ist. Wenn sich eine bewusste Aktivität zur Gewohnheit wandelt, verlangsamen sich die Gehirnwellen in dieser Region. Besondere Hirnaktivität konnten die Forscher immer zu Beginn und zum Ende der Gewohnheit messen. „Wenn jemand eine Gewohnheit verinnerlicht hat, verschiebt sich ein Großteil der neuronalen Aktivität auf den Anfang und das Ende des Verhaltens, als würde man es verpacken und eine Art an und aus dem Verhalten markieren." Gabriel nennt das „chunking", also zerstückeln oder zerteilen. Genau dieses chunking führt dazu, dass wertvolle Gehirnaktivität nicht auf die einfachsten Tätigkeiten verschwendet wird. Es erklärt auch, warum es so schwer ist, mit schlechten Gewohnheiten zu brechen. Eine Gewohnheit bloß ändern zu wollen, reicht nicht aus, weil sie ein unbewusster Impuls ist, der fest in unserem Gehirn verankert ist. Wer seine Gewohnheiten verändern will, muss den Autopiloten überlisten.
Reflexion über Trigger
Wie aber kann das funktionieren? Das Gehirn hat neben dem Autopilot-System noch ein zweites: das zielgerichtete. Es ist teuer in der Nutzung: Es kostet Anstrengung und jede Menge mentale Ressourcen. Wird es stark genutzt und ermüdet, kommen die Gewohnheiten wieder ins Spiel. Im Fall der Studenten konnten die Forscher feststellen, dass sie etwa in anstrengenden Prüfungsphasen in ihre ursprünglichen Gewohnheiten verfielen – und zwar in gute wie schlechte. Wer sich in dieser Zeit abgewöhnen wollte, Süßigkeiten zu essen, scheiterte kläglich und aß noch mehr. Aber auch gute Gewohnheiten wie Sport treiben oder viel zu lesen, nahmen zu. „Die Leute fallen zurück auf die Gewohnheiten, die am stärksten sind", erklärt es Wendy Wood. Gewohnheiten sollte man daher besser nicht in Stressphasen oder in solchen, in denen das zielgerichtete System stark beansprucht wird, zu ändern versuchen. Empfehlenswerter sei es, sie in den anderen Lebensphasen zu etablieren und wie ein Mini-Programm in den Alltag einzubauen.
Denn auch wenn es mitunter so aussieht, als wären manche Menschen bloß kontrollierter als andere und könnten sich deshalb leichter verändern, konnten die Psychologen Angela Duckworth und Brian Galla der University of Pennsylvania nachweisen, dass der Kern von Selbstkontrolle unsere Gewohnheiten sind. In sechs Studien konnten sie zeigen, dass Probanden mehr Sport trieben, gesünder aßen, sich seltener vom Lernen ablenken ließen, erfolgreicher meditierten und bessere Noten schrieben, wenn sie feste Gewohnheiten hatten. Die Gewohnheiten erklärten wiederum die Wirkung der Selbstkontrolle aufs Zielverhalten: Wer diszipliniert war und häufig übte, hatte kaum mit inneren Konflikten zu kämpfen, die ihn vom Erreichen des Ziels abhielten. Selbstkontrolle wirkte nicht, indem unerwünschtes Verhalten unterdrückt, sondern erwünschtes Verhalten in den Alltag eingebaut wurde: häufig, zur gleichen Zeit, am gleichen Ort.
Um seine Gewohnheiten zu ändern, braucht es Reflexion über die eigene Persönlichkeit, Trigger und tiefsitzende Muster, sagt der Psychotherapeut Richard O’Connor. O’Connor geht davon aus, dass es tatsächlich mindestens drei Monate dauert – entgegen der weit verbreiteten Annahme von 21 Tagen –, bis eine neue Gewohnheit etabliert ist. „Was immer Sie tun: Es wird wahrscheinlicher, dass Sie es nochmal tun, weil Sie es schon einmal getan haben." Auch der Kontext hat einen Einfluss darauf, ob es uns gelingt, unsere Gewohnheiten zu ändern. Die besten Zeiten um sie zu verändern sind, wenn wir auf Reisen gehen, den Job wechseln oder umziehen. Dadurch dass der Kontext unterbrochen wird, wird es einfacher, neue Gewohnheiten zu entwickeln. Auch kleine Wechsel in der Routine können schon hilfreich sein.
Den Autopiloten überlisten
Letztlich funktionieren Menschen unterschiedlich und unterscheiden sich deshalb auch darin, wie sie sich am besten verändern können. Die US-amerikanische Autorin Gretchen Rubin hat in ihrem Buch „Better Than Before: Mastering the Habits of Our Everyday Lives" vier verschiedene Typen identifiziert. „Die Leute wollten laufen gehen, aber aus irgendeinem Grund konnten sie sich selbst nicht dazu bringen, Sport zu machen. Oder sie wollten in ihrer Freizeit ein Buch schreiben, aber haben es trotzdem nicht getan. Ich habe versucht herauszufinden, warum Menschen Gewohnheiten brechen oder auch nicht brechen", so Rubin. Wer Gewohnheiten ändern will, müsse Strategien erarbeiten, die für ihn passend seien. Das reiche vom Finden des richtigen Zeitpunkts über das Erschaffen eines Belohnungssystems bis zum bewussten Nutzen von Leckereien, um gute Gewohnheiten zu stärken.
Rubin unterscheidet die vier Typen danach, wie sie auf innere und äußere Anforderungen reagieren. „Upholder" (Verfechter) tun sich leicht damit, das zu tun, was sie selbst und andere von sich erwarten, wohingegen „Obliger" (Verpflichtende) Verantwortlichkeit oder Rechenschaftspflicht gegenüber jemand anderem benötigen. „Questioner" (Fragende) müssen wissen, warum sie etwas tun sollen, und „Rebels" (Rebellen) lehnen sich gegen Erwartungen auf. Rubin geht davon aus, dass die meisten Menschen zu den Obligers zählen, während die Rebels die kleinste Gruppe sind. „Wir können nur glücklich, gesund, kreativ und produktiv sein, wenn wir unsere eigene Natur annehmen, unsere Werten und unsere Interessen. Die Fragen sind: Welcher Typ Mensch bin ich? Was funktioniert für mich? Was ist mir wichtig?", so Rubin. Wer also seine Gewohnheiten ändern will, muss sich mit sich selbst auseinandersetzen und gezielte Strategien erarbeiten, mit denen er den Autopiloten im Kopf überlisten kann. Und obwohl der Beginn einer neuen Woche, eines neuen Monats oder eines neuen Jahrs ein beliebter Motivator zum Ändern der Gewohnheiten sein kann, sagt Rubin: „In fast allen Fällen ist der beste Startpunkt genau jetzt."