Am 29. und 30. September lädt die Landeshauptstadt Saarbrücken zu den „Tagen der Bildenden Kunst" ein. Mit dabei ist auch die Malerin Andrea Neumann, die interessierte Besucher in ihrem Atelier in der „Sonderwerkstatt" am Eurobahnhof empfängt und sich auf anregende Gespräche freut.
Der Herbst ist da! Und damit auch die „Tage der Bildenden Kunst" in Saarbrücken. Bei diesem „Kunstspaziergang", der bereits zum 19. Mal stattfindet, öffnen Künstlerinnen und Künstler ihre Ateliers, und alle Interessierten sind eingeladen, den Kunstschaffenden über die Schulter zu blicken. Und das ganz ungezwungen, jeder kann dabei sein. „An den ‚Tagen der Bildenden Kunst‘ kommen viele Menschen aus unterschiedlichen Kontexten in die Ateliers. Das Wichtige daran ist, dass dabei Schwellenängste abgebaut werden", weiß auch die Malerin Andrea Neumann, die seit 2009 in der „Sonderwerkstatt" am Quartier Eurobahnhof, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Atelierhaus Kuba, ihr großzügiges Atelier bezogen hat.
Seit 2001 nimmt sie bereits an diesem Kunstspektakel teil, zuerst mit einer Ateliergemeinschaft in einer ehemaligen Schule in Rockershausen, danach am Standort AW-Werk in Burbach und nun zum zehnten Mal in der „Sonderwerkstatt". Einige Kunstinteressierte schauen über Jahre immer wieder an den „Tagen der Bildenden Kunst" bei ihr vorbei – und kommen später dann auch zu ihren Ausstellungen.
Ruhe sorgt für Struktur
Der Atelierboden ist übersät mit Farbschlieren und -tropfen, denn Andrea Neumann legt die Leinwände – fast immer – auf den Boden, um daran zu arbeiten. „Für die ‚Tage der Bildenden Kunst‘ streiche ich meistens den Boden neu, damit es ordentlicher aussieht. Wenn ich am Arbeiten bin, ist das nicht von Interesse. Aber es ist auch gut, wenn der Untergrund wieder clean ist, das schafft wieder mehr Ruhe für das Auge, sowohl für die weitere Arbeit als auch zum Strukturieren der entstandenen Arbeiten", erläutert Neumann lächelnd ihren persönlichen Vorteil des öffentlichen Kunstspaziergangs, der sie zum Aufräumen animiert. Eine riesige Leinwand, bestehend aus mehreren Teilen, und fast elf Meter lang, wird sie an den „Tagen der Bildenden Kunst" wegpacken. Denn sie ist noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und soll final erst in einer künftigen Ausstellung in der Johanneskirche gezeigt werden. Von 1991 bis 1995 hat Andrea Neumann an der Hochschule der Bildenden Künste Saar Freie Kunst bei Bodo Baumgarten und Jo Enzweiler studiert. Seit ihrem 1996 abgelegten Diplom arbeitet sie freischaffend und wurde seither mit zahlreichen Preisen bedacht. Bei der alle vier Jahre stattfindenden Überblicksschau saarländischen Kunstschaffens, der Landeskunstausstellung, früher Kunstszene Saar, war sie seit dem Jahr 2000 immer mit ihren Arbeiten vertreten. Darüber hinaus ist sie im saarländischen Künstlerhaus seit vielen Jahren im Vorstand aktiv, das reicht von der Programmgestaltung bis hin zu Ausstellungsvorbereitungen.
Andrea Neumann arbeitet vorrangig als Malerin, wobei sie auf Vorzeichnungen, Skizzen oder Studien verzichtet. Das mag vielleicht auch im Entstehungsprozess begründet liegen. Ihre figurativ ausgerichtete Malerei – der meist fotografische Vorlagen zugrunde liegen – entsteht in einem langwierigen Prozess. Auch wenn das Ergebnis auf der Leinwand zunächst wie eine schnelle, flüchtige Malweise erscheint, so ist doch genau das Gegenteil der Fall. Der langwierige Arbeitsprozess beginnt bereits beim Erstellen der Malmittel und der Vorbereitung der Arbeitsmaterialien. Andrea Neumann arbeitet mit Eitemperafarben, die sie selbst herstellt. Zunächst werden Eier, Leinöl und Wasser miteinander vermischt, anschließend werden die Farbpigmente in die Eier-Öl-Emulsion eingerührt. Hört sich ein wenig nach Backrezept an und sieht bei der Herstellung zunächst auch so aus. Jede Farbe wird einzeln angemischt und ist nur wenige Tage haltbar. Die Eitemperafarbe trocknet auf dem Bildträger schneller als Ölfarbe, was Neumanns Malweise mit vielen übereinander gelagerten Schichten entgegenkommt. Die häufig recht flüssig angesetzte Farbe schüttet sie zumeist auf die am Boden liegende Leinwand, und erzielt damit den luziden, an Aquarellfarben erinnernden Farbauftrag, der ihren Gemälden eine schemenhafte Verklärung verleiht. „Meine Malerei sieht meistens aus, als sei sie in einem schnellen Akt entstanden. Das ist nicht der Fall, aber die Kontrolle über die Malmittel findet tatsächlich nicht im Einzelschritt statt, Ergebnisse sehe ich oft erst nach dem Trocknen. Das bedeutet ein vielfaches, schichtweises Überarbeiten. Und immer wieder auch das Scheitern. Immer entstehen mehrere Bilder parallel. Gern arbeite ich dazwischen auch mit kleineren Formaten, auch wenn dies oftmals ebenso lange dauert wie die größeren Bilder, so habe ich doch das erleichternde Gefühl, dabei weniger Risiko einzugehen", erläutert Neumann ihre Arbeitsweise.
Vielfaches Überarbeiten
Sie arbeitet motivisch häufig in Gruppen, das Wort „Serie" mag sie nicht so gern. Seit einiger Zeit bestimmen Figuren die Bildszenerien, die in ihrer Funktion oder ihrem Tun dargestellt sind, wie zum Beispiel Richter, Sportler oder Ärzte. Die Figuren findet sie in ihrem Umfeld, auf Fotografien, oder sie sucht sich zu einem Stichwort im Internet entsprechende Szenen. Zu dieser figurativen Motivreihe gehört auch ein „Redner" mit dem Bildtitel „konjunktiv", der ohne Angabe von räumlichen Koordinaten in einem undefinierbaren Raum, mit eindringlicher Geste zu einem für den Bildbetrachter unsichtbaren Publikum spricht. Selbst das Rednerpult hat sich aufgelöst, nur die Ablagefläche für das Manuskript ist erhalten geblieben. Obwohl der Redner quasi im luftleeren Raum agiert, und durch das Weglassen räumlicher Koordinaten eine Verortung nicht stattfindet, erreicht Andrea Neumann in eben diesem Verzicht eine besondere innerbildliche Präsenz. Der Redner unterstreicht seinen Vortrag mit einer eindringlichen Geste der linken Hand, die Neumann sowohl durch die Größe als auch durch die Platzierung vor dem leuchtenden Weiß des Hemdes hervorhebt. „Eine einzelne Figur setzt sich in meinem Kopf aus vielen verschiedenen Vorlagen zusammen. Denn jede aktive Person entwickelt für ihren jeweiligen Beruf prototypische Haltungen, die mich faszinieren", führt Andrea Neumann zur Bildfindung aus.
Die Befindlichkeiten ihrer Protagonisten verbirgt die Malerin hinter Bewegungsmustern und Ritualen. Im Kontrast zu diesen Bewegungsmustern steht das „Nicht-Greifbare" der wiedererkennenden Porträtleistung. „Ein Gesicht zu malen mit Ausdruck und gleichzeitigem Verzicht auf Details ist sehr schwierig und zugleich herausfordernd bei der Umsetzung", ergänzt Neumann zu den Porträts. So auch beim Gemälde mit dem Titel „metamorph", das eine am Boden liegende Figur zeigt, die zwar zum Betrachter blickt, aber sich letztlich sowohl einer eindeutigen Verortung als auch Befindlichkeit entzieht. Ob die Figur gestürzt ist oder sich genüsslich am Boden räkelt – wir wissen es nicht. Auch die Geschlechterdefinition ist nicht von Bedeutung. Mit dem Titel „metamorph" lässt Neumann dem Betrachter die Option, ob er diesen auf motivisches oder die malerische Umsetzung beziehen möchte.
Auch wenn ihrer Malerei auf Leinwand keine Studien oder Zeichnungen zugrunde liegen, so beginnt doch jede Arbeit mit einer groben Vorzeichnung. Diese führt sie direkt auf der Leinwand aus. Mit dünnflüssiger Farbe, manchmal nur Wasser, werden Umrisse und Proportionen der Figuren angelegt. Durch den Verzicht auf eine konkrete Vorzeichnung bleibt das Ergebnis – das sich erst durch zahlreiche Malschichten entwickelt – offen. Überhaupt geht es Andrea Neumann vielfach um die Malerei als Prozess, um die Organisation von Farbe, Licht und Kontrasten. „Denn jede Leinwand stellt eine neue Herausforderung dar, jede einzelne Leinwand will für sich geklärt werden", formuliert Andrea Neumann den Antrieb für ihre Auseinandersetzung mit der Malerei. Ob ihr diese Herausforderungen immer gelungen sind, möchte sie für sich selbst im Austausch mit dem interessierten Publikum erörtern und blickt den „Tagen der Bildenden Kunst" erwartungsfroh entgegen.