Höchste Zeit, sich einmal über die Dauerempörten zu empören
Sich empören ist in! Kaum ploppt irgendeine Neuigkeit auf einer Nachrichtenseite im Internet, bei Facebook oder wahlweise einem anderen der sozialen Medien auf, stürzen sich unzählige Berufsempörer darauf wie die Fliegen auf den sprichwörtlichen Mist. Keine Meldung, kein Beitrag ist zu klein oder zu nichtig, um nicht fein säuberlich auf moralische Fragwürdigkeiten hin geprüft und seziert zu werden. Wer sich empört, trifft den Zeitgeist. Ist wichtig – und wird gehört. Außerdem kann man so herrlich von eigenen Unzulänglichkeiten ablenken, wenn man mit dem virtuellen Finger auf andere zeigt.
Also springen wir heute einfach mal auf den fahrenden Zug auf und empören uns auch – über die Vielzahl der Empörten. Wo man früher noch mühsam die Eckkneipe aufsuchen und mindestens drei Runden Bier und Korn spendieren musste, um Gehör und Empörungswillige zu finden, reicht heute ein kleiner Mausklick oder ein Fingerwisch auf dem Smartphone oder Tablet. Es lebe die Kommentarfunktion und die Segnung der sozialen Medien. Das verhilft Lieschen Müller von nebenan endlich zu ihren fünf Minuten Ruhm.
Das Rezept ist ganz einfach: Man nehme einen Sachverhalt von allgemeinem Interesse und setze diesen in einen aberwitzigen Zusammenhang. Einfach nach irgendeiner Form von -ismus mit negativer Bedeutung googlen – etwa Sexismus, Fanatismus, Voyeurismus – und hinaus damit in die digitale Welt. Bereits wenige Minuten später heißt es: Ring frei zur ersten Runde.
Beispiel gefällig? Serena Williams fiel im Finale der US Open weniger durch ihr ansonsten meist brillantes Tennisspiel auf, sondern vielmehr durch Pöbeleien gegenüber dem korrekt leitenden Schiedsrichter. Der Karikaturist Mark Knight nahm dies zum Anlass, Williams zu zeichnen, wie sie wütend und heulend auf ihrem zertrümmerten Schläger herumspringt – garniert mit Schnuller auf dem Boden, um das eher kindische Verhalten zu unterstreichen. Überspitzt, wie es für eine Karikatur normal ist, aber keineswegs bösartig.
Kaum veröffentlicht, ergoss sich ein Shitstorm über den Schöpfer der Zeichnung. Nicht das durchaus diskutable Verhalten des Tennisstars wurde thematisiert. Vielmehr sei die Darstellung Williams’ sexistisch, ja, gar rassistisch fuhr beispielsweise Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling an der Spitze der Kritiker schwerstes Geschütz auf. Gleich zwei Ismen – mehr geht kaum. So viel zum Thema, Kunst und Satire dürfen alles. Dabei stellt sich durchaus die Frage, ob es nicht viel eher rassistisch ist, wenn sich der Künstler mit der Überspitzung der dargestellten Person zurückhalten soll oder muss, nur weil diese dunkelhäutig ist.
Rowling ist kein Einzelfall, denn zahlreiche Promis beherrschen die Klaviatur der Empörung perfekt. Insbesondere dann, wenn sie dringend mal wieder eine Schlagzeile brauchen. Til Schweiger etwa empört sich sehr oft und sehr gern – vorzugsweise über Facebook: über die Kritiker seiner Filme, den Sendetermin „seines" Tatorts oder die Frühstücksrechnung im Luxushotel. Und provoziert seinerseits damit jede Menge Empörung. Empörend, so viel Geltungssucht.
Apropos Geltungssucht. Der Fall des Daniel Küblböck ist ein tieftrauriger. Immer um Anerkennung heischend war ihm kein TV-Format zu niveaulos, um nicht doch daran teilzunehmen. Stets begleitet von hämischen und fragwürdigen Kommentaren im Netz, die auch nach seinem mutmaßlichen Freitod vor knapp zwei Wochen nicht abrissen. Dass allerdings ausgerechnet Oliver Kalkofe sich als moralische Instanz berufen fühlt, die Ehre Küblböcks retten zu wollen, und all jene angreift, die sich wenig pietätlos äußern, hat einen ziemlich schalen Beigeschmack. Ausgerechnet jener Kalkofe, der regelmäßig Ausschnitte aus Fernsehsendungen benutzt, um Personen, die sich in Trash-Formaten ohnehin schon der Lächerlichkeit preisgeben, genüsslich vorzuführen. Da scheint jemand dringend Aufmerksamkeit zu brauchen.
Einer, der sich eigentlich tatsächlich berufen fühlen durfte, sich zu Küblböck zu äußern, war Dieter Bohlen – Wegbegleiter und Förderer des Paradiesvogels. Seine Worte waren durchaus einfühlsam – die Wahl seiner Kleidung im entsprechenden Videobeitrag dagegen deutlich weniger: „Be one with the ocean" – „Sei eins mit dem Ocean" stand auf seinem Hoodie. Hier war die Empörung natürlich programmiert – aller verzweifelten Erklärungsversuche hinterher zum Trotz. Und ganz ehrlich: dieses Mal ausnahmsweise sogar völlig zu Recht.