Krankenpfleger haben einen stressigen Job, da sind sich alle einig. Darüber zu diskutieren, dass Bäcker früh aufstehen müssen, würde dagegen niemandem einfallen. Wenn es Diskussionen um den Lehrerberuf gibt, wird es emotional – und jeder fühlt sich berufen mitzureden.
Sie sind erkennbar sauer. „Wenn nicht jetzt, wann dann!", rufen die Teilnehmer der Demo vor der Saarländischen Staatskanzlei im Chor. Sie sind erzürnt über die Pläne der Landesregierung, erst ab dem Jahr 2020 die sogenannten multiprofessionellen Teams finanziell zu fördern. Die Teams sollen Lehrer im Umgang mit sozial auffälligen Schülern unterstützen. So etwas könne man nun mal nicht sofort hinbekommen, versucht Minister Ulrich Commerçon zu erklären und erntet für seine Erklärungen Pfiffe von der aufgebrachten Menge. Das Beispiel zeigt: Die Diskussion um den Lehrerberuf ist längst so emotionsgeladen, dass ein sachlicher Diskurs kaum mehr möglich ist.
Ein paar Tage vorher sitzt die Autorin Ingrid Freimuth in der Saarbrücker Villa Lessing mit einer Schülerin, einer Lehrerin und einem Vertreter der mittelständischen Wirtschaft auf dem Podium und diskutiert über Bildungspolitik – ein Lehrer aus dem Publikum richtet sich an die Schülervertreterin Maja Emanuel: „Was sagen Sie, wenn Ihnen ein 14-jähriger Schüler im Unterricht sagt, den Frauen in der Silvesternacht in Köln wäre nichts passiert, wenn sie Burka getragen hätten?", fragt er. Applaus brandet auf, die Landesschülersprecherin des Saarlandes antwortet: „Wenn man von der Silvesternacht spricht, spricht man nicht von der Bildungspolitik, da muss man immer ein bisschen aufpassen, dass man differenziert." Der Lehrer aus dem Publikum ist nicht zufrieden mit der Antwort. Mit lauter werdender Stimme wirft er ein: „Entschuldigung, aber das ist Bildungspolitik, weil es im Unterricht passiert ist." Doch Maja Emanuel will darauf nicht eingehen: „Die Silvesternacht ist nicht im Unterricht passiert", beharrt sie. Der Lehrer wirkt nun verärgert und ruft: „Nein, die Äußerung!"
Sie hat einen Nerv getroffen
„Lehrer über dem Limit – warum die Integration scheitert" heißt Ingrid Freimuths Buch. Und die Stimmung an diesem Abend lässt den Schluss zu, dass tatsächlich viele der Zuhörer die Thesen der Autorin teilen. Mit den Aufzeichnungen ihrer Erfahrungen aus rund 40 Jahren im Schuldienst trifft sie einen Nerv. Sie schreibt: Integration könne nicht gelingen, solange von Staat und Pädagogik die in unterschiedlichen Kulturen verschieden ausgeprägten Rangordnungsstrukturen negiert werden. Denn die wirkten sich besonders auf schulisches Lernen negativ aus. Freimuth berichtet von ihren Erfahrungen mit Weigerungen, im Unterricht mitzuarbeiten und völlig inakzeptabel aggressivem Verhalten – das führe bis zum stressbedingten frühen Tod einiger ihrer Kollegen. Die Politik schaue tatenlos zu. Konkret schreibt Freimuth über die kulturellen Unterschiede, die ihrer Meinung nach für Probleme in der Schule sorgen, wie sie auf dem Podium berichtet: „Wir haben ein Problem, das sind die unterschiedlichen Erziehungsstile", sagt sie. „In Oberschicht, Mittelschicht und Unterschicht werden die Kinder unterschiedlich erzogen." So komme es in der Schule zu einer Heterogenität mit unterschiedlichen Wertvorstellungen. „Zuwandererkinder sind gern im Denken des Machos verhaftet und in dieser Befindlichkeit können sie nur sehr schlecht überhaupt Anweisungen entgegennehmen", erklärt Freimuth, die in ihrem Buch von „verwuschelten Sozialarbeitern" schreibt, die ihre Schüler stundenlang nach familiären Missständen befragen. Das führe aber zu nichts. Stattdessen sollte es einen Security-Raum an Brennpunktschulen geben und Sicherheitsleute, die die Schule bewachen, schreibt sie. Ständig schwänzenden Teilnehmern von Deutschkursen müsse der Staat ihrer Meinung nach die Kurskosten von den Zuwendungen kürzen.
Doch die Heterogenität der Schulklassen ist nur eine Herausforderung für heutige Lehrer. Wie eine Umfrage der Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Nordrhein-Westfalen zeigt, beschweren sich zahlreiche Lehrer über die mangelhafte Ausstattung an ihren Schulen. Und dann ist da noch die höhere Belastung, wie ein Lehrer am Rande der Lesung in Saarbrücken schimpft: „Die haben hier alle den Schuss nicht gehört. Wir sind schon zehn Schritte weiter. Es fehlen dieses Jahr 42.000 Lehrer in der Bundesrepublik Deutschland. Als ich Lehrer geworden bin vor 40 Jahren, habe ich das mit Begeisterung gemacht, und es hat alles gestimmt. Seither hat man mir dreimal die Arbeitszeit erhöht und das Gehalt gekürzt – und insgesamt immer weitere Belastungen. Jahr für Jahr für Jahr immer weitere Belastungen." Um das zu unterstreichen, hat der VBE die Arbeitssituation in Schulen mit der in Unternehmen der freien Wirtschaft verglichen. In anderen Unternehmen gebe es demnach viel höhere Beiträge zur Gesundheitsförderung. Der Lehrerberuf müsse wieder attraktiver werden, denn laut Schätzungen der Bertelsmann-Stiftung könnten bis 2025 35.000 Lehrkräfte in Deutschland für die Grundschulen fehlen. Für die Sekundarstufe I fehlten 2030 rund 27.000 Lehrer.
Bis zu 35.000 Lehrer fehlen
Die Lehrer stellen bei dieser hitzigen Diskussion nur die eine Seite dar. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Stimmen, die ihnen vorwerfen, zu übertreiben. „Es war emotional, ich habe aber insbesondere auch bei der Autorin den Eindruck gehabt, dass sie mit ihrem Beruf ziemlich überfordert war. Und dann ist das natürlich hart", fasst ein Vater die Diskussion über Ingrid Freimuths Buch zusammen. Eine Meinung, die stellvertretend für die emotionale Diskussion steht, sagt der Lehramtsstudent Stefan Gretzinger. Er studiert in Stuttgart und engagiert sich in der SPD: „Ich glaube, heutzutage wird wirklich häufig in Extremen diskutiert", sagt er. „Die einen sagen, die Lehrer sind so faul und sind Heulsusen. Das kann ja nicht so schwer sein, den Bälgern etwas zu erklären." Die andere Seite steuere bei solchen Argumenten naturgemäß hart gegen. „Bei der Seite der Lehrer ist aber viel Wahres dran", glaubt der Student. „Ich bekomme es auf Parteitagen und Landesdelegiertenkonferenzen von Jusos immer wieder mit: Wenn es ein neues Thema gibt, dann muss das im Unterricht behandelt werden", sagt er. „Dann heißt es: Wir brauchen ein neues Schulfach, das sich mit dem Thema Glück auseinandersetzt. Wir brauchen ein neues Schulfach, das sich nur mit Politik auseinandersetzt. Alle Probleme sollen in der Schule gelöst werden. Das ist eine Ansicht, die viele haben, dass die Schule zu viel leisten kann. Das sorgt dann auch für eine Belastung." Lehrer werden will er trotz der erwartbaren Belastung aus einem ganz bestimmten Grund: „Man kann in dem Beruf nicht abschalten, und da ist schon ein Risiko dabei. Ich finde, das macht es umso spannender. Ein bisschen ist das eine Kunstform."