Die GroKo hangelt sich nur noch von Krise zu Krise
Der Fall Maaßen ist symptomatisch für die Abgehobenheit der politischen Klasse in Deutschland. Nach der tödlichen Messerstecherei und den fremdenfeindlichen Ausschreitungen Ende August in Chemnitz war die Lage extrem aufgeheizt. Eine seriöse Beurteilung vor Prüfung der Fakten verbat sich. Trotzdem ließ sich Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen zu einer politischen Bewertung hinreißen. Dies zeugt von einer falschen Dienstauffassung, schwachem Urteilsvermögen und fehlendem Fingerspitzengefühl. Es muss zudem zu denken geben, wenn Maaßens Einschätzung prompt den Beifall der rechtspopulistischen AfD nach sich zieht.
Derartige Fehlgriffe des obersten Verfassungsschützers der Republik dürfen nicht belohnt werden. Doch genau dies taten die Parteichefs der Großen Koalition in der vergangenen Woche. Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Andrea Nahles (SPD) einigten sich auf die Beförderung Maaßens zum Innen-Staatssekretär mit einem Monatssalär von 14.100 Euro – ein sattes Plus von 2.600 Euro.
Das widersprach dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Bundesbürger. Wer im Job gravierende Fehler macht, muss Nachteile befürchten und kann nicht mit einem Gehaltssprung rechnen. Doch die Groko-Spitzen dachten nur in ihrer lebensfernen Polit-Logik: Es ging um Postenverteilung, Koalitions-Arithmetik, parteiinterne Gesichtswahrung.
Dieser faule Kompromiss löste an der SPD-Basis einen Flächenbrand des Protests aus. Für Nahles, gerade mal fünf Monate im Amt, wurde die Sache bedrohlich heiß. Sie funkte SOS zu ihren Regierungspartnern und forderte eine Neuverhandlung der Causa Maaßen. Merkel und Seehofer drehten sehr schnell bei. Wohl auch, weil eine am Freitag vergangener Woche veröffentlichte Umfrage (ARD-Deutschlandtrend) bei allen drei Parteivorsitzenden das große Muffensausen hervorrief. Demnach käme die Union nur noch auf 28 Prozent, gefolgt von der AfD mit 18, der SPD mit 17, den Grünen mit 15, der Linken mit 10 und der FDP mit 9 Prozent.
In einer erneut einberufenen Runde stuften die Koalitionäre Maaßen vom kurz vorher vereinbarten Posten eines Staatssekretärs zum Sonderberater im Innenministerium bei gleichen Bezügen herunter. Ein Blitzgang nach Canossa vor den Augen der deutschen Öffentlichkeit. Merkel schickte zusätzlich eine Entschuldigung hinterher. Man kann es einen Akt der Ehrlichkeit nennen. Man kann es aber auch als Offenbarung einer Kanzlerin begreifen, die ihr Ohr nicht mehr nah am Wähler hat.
Das schnelle Reparatur-Manöver täuscht nicht darüber hinweg: Die Statik der Groko stimmt nicht mehr. Sie ist ohnehin ein eher erzwungenes Bündnis, nachdem sich die FDP mitten in den Jamaika-Gesprächen vom Acker gemacht hatte. Nahles steht einer SPD vor, die ihrer sozialdemokratischen Identität nicht mehr sicher ist und sich verzweifelt gegen den Abwärtstrend stemmt.
Merkel wiederum ist die Macht entglitten. Die Regierungschefin war in der Finanz- und in der Griechenlandkrise die Königin Europas. Sie hatte ihrer Partei konstant Umfragewerte von über 40 Prozent beschert. Das ist passé. Die Kanzlerin hat stark an Autorität eingebüßt. Das liegt zum einen an ihrer Flüchtlingspolitik, die sicher von ehrenwerten Motiven getragen war. Merkel hat aber die Ängste in der Bevölkerung unterschätzt. Und sie hat die gewaltigen Anstrengungen der Integration von Menschen, die aus einem völlig anderen politischen, kulturellen und religiösen Umfeld kommen, nicht richtig bemessen.
Seehofer war die Willkommenspolitik von Beginn an ein Dorn im Auge. Seit er mit seiner Kardinalforderung einer Obergrenze bei der Kanzlerin an die Wand gefahren war, sinnt er auf kalte Rache. Die Chemie zwischen den Akteuren ist vergiftet, die Große Koalition kommt als saft- und kraftlose Veranstaltung daher. Die Profiteure dieser großen Erosion sind die AfD und die Grünen.
Die GroKo mag sich vordergründig noch einmal berappeln. Doch die nächste Krise kommt bestimmt. Deutschland braucht neue Köpfe und frische Projekte. Die Vorhaben für Bildung, Digitalisierung oder eine klimafreundliche Wirtschaft, die gleichzeitig wettbewerbsfähig ist, müssen mit Leben erfüllt werden. Derzeit herrscht zu viel Stückwerk-Denken. Mehr politische Reibung und demokratischer Streit können nicht schaden.