Lisa Marie Schmitt zieht das große Los und bekommt ein Stipendium in Paris. Teil I der Serie „Absolventen der Hochschule der Bildenden Künste Saar".
Wie Lucy aussieht, erfahren die Zuschauer nicht. Die Filmfigur wird lediglich skizziert, von einer Stimme aus dem Off. Parallel fokussiert die Kamera ein aufgerissenes Fenster mit einer darin wehenden Bluse. Gehört sie vielleicht Lucy? Darauf geht Konzeptkünstlerin Lisa Marie Schmitt nicht ein. Sie offenbart lieber das Wesen ihrer Figur. Eigen soll sie sein und ein kindisches Verhalten an den Tag legen. Die 22-jährige Lucy sei davon überzeugt, Engel zu sehen, sogar ihre Stimmen zu hören. In den Uffizien, angezogen von den Sälen, bricht die schematisch skizzierte Protagonistin letztlich zusammen. „Lucy ist die Frucht einer Reinkarnation einer Nonne, die in Italien in einem Dorf begraben liegt", erklärt die französische Männerstimme aus dem Off. Allerdings hätte die junge Frau den Namen vergessen. Vielleicht könnte sie sich daran erinnern, falls sie endlich in Ruhe gelassen wird. Doch der Puls der Stadt lässt das nicht zu. Plötzlich löst die Konzeptkünstlerin das anfängliche, beinahe statische Fenster-Bild auf. Stattdessen präsentieren sich Zuschauern Reflexionen von Werbemonitoren, die das Innere des Louvres zeigen in der Métrostation Louvre-Rivoli, die sich in der Glasbarriere vor der U-Bahn spiegeln. Skulpturen großer Meister, berühmte Gemälde, U-Bahn-Fahrgäste – alle diese Bilder verschmelzen zu einem dynamischen Ganzen und nehmen den Betrachter komplett für sich ein. Stimmen, Geräusche und Musik kollidieren mit historisch bedeutenden Kunstwerken – bis man nicht mehr kann.
Video greift Schicksale mehrerer Figuren auf
Die Videoarbeit „Voyage Pathologique" in der Lisa Marie Schmitt das Schicksal gleich mehrerer Figuren aufgreift, befasst sich mit körperlicher und mentaler Gesundheit im Kontext von Kunst und Kultur. Jeder ihrer skizzierten Protagonisten scheint ein psychisches Leiden in sich zu tragen. Erst durch die Rezeption von Kunst kommt es zum Ausbruch. „Ja, Überfluss an historisch bedeutender Kunst an einem historisch bedeutenden Ort kann schon überwältigend sein", weiß Schmitt. Der kürzlich auf dem Wellness Badass Kulturfestival ausgestrahlte Kurzfilm ist eine Hommage an ihre Zeit als Stipendiatin in Paris. Dort wurde auch die Idee zum Kurzfilm geboren. Natürlich sei die Stadt inspirierend, „Paris bietet so viel Austausch, eine Vielzahl an Galerien, jeder Tag lockt mit neuen spannenden Ausstellungen", schwärmt die gebürtige Triererin. Allerdings hätte dieser rasante Rhythmus auch seinen Preis. „Die unglaubliche historische Vielfalt bricht über einen herein wie eine Welle", führt sie ihren kritischen Gedanken näher aus.
Die Auseinandersetzung mit dem Stoff spielt in der Konzeptkunst von Lisa Marie Schmitt eine zentrale Rolle. Dabei hatte sie eigentlich gar nicht vor, eine klassische Künstlerin zu werden. „Nach dem Abitur habe ich mich zunächst für Media Art and Design eingeschrieben", erzählt die Absolventin der Hochschule für Bildende Künste Saar und ehemalige Meisterschülerin von Professor Georg Winter. Doch schon nach ein paar Semestern merkte sie, was sie wirklich bewegt: „Meine Arbeit dreht sich nicht um Material, zumindest nicht um physisches Material." Vielmehr sei es die Idee, die die spätere Form bestimmt. „Lieber arbeite ich geistiges Material auf. Erst mit der Entwicklung des Ideen-Konzepts stellt sich überhaupt heraus, ob sich der Gedanke in eine Skulptur, ein Video oder einen Film verwandelt." Dabei geht es ihr nicht um Effekthascherei. Keine polarisierenden Themen, keine skandalösen Inszenierungen: „Ich beschäftige mich mit Dingen, die jeder kennt, die einem aber oft nicht bewusst sind." Die Zeit in Paris wurde in dieser Hinsicht für die junge Konzeptkünstlerin besonders fruchtbar. „Ich hatte viel Glück gehabt, ein Stipendium zu bekommen", weiß Lisa Marie Schmitt. Als eine von insgesamt 300 Künstlern aus der ganzen Welt zog auch die Rheinländerin in das renommierte Atelier- und Wohnkomplex Cité Internationale des Arts Paris (CIA) ein. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete die frisch diplomierte Absolventin noch als freie Künstlerin im Saarland und gab Kurse in zwei Kunstschulen. Während ihrer Meisterschülerzeit nutze die junge Frau die Hochschulateliers in der Depandance in Völklingen. „Die Arbeit im Saarland hat natürlich zwei Seiten. Auf der einen fühlt sich die Umgebung wie ein positiver Schutzraum an. Man kennt sich, man weiß, was auf einen zukommt. Auf der anderen Seite liegt unser Bundesland aber auch sehr abgeschottet", bringt es die Konzeptkünstlerin auf den Punkt. „Deswegen war es für mich auch so wichtig, hinauszugehen, um neue Impulse zu bekommen."
Helles, geräumiges Studio im Herzen Paris’
Sobald sie die Zusage erhält, bricht die ehrgeizige junge Frau in die französische Weltmetropole auf. „Als ich dann endlich in meinem neuen Atelier in Paris stand, fehlten mir die Worte", gibt sie offen zu. Das helle, geräumige Studio im Herzen der Innenstadt, „mit Notre-Dame de Paris und der Seine vor der Haustür", wurde für Schmitt für sechs produktive Monate zu ihrem Zuhause. Die Kosten federte dabei das Stipendium ab. „Sonst könnte ich mir das gar nicht leisten", gesteht Schmitt. Kunst zu verkaufen, ist nicht einfach und die unbekannter Künstler sowieso nicht. „Leider ist das kein Vorurteil", weiß Schmitt. In der Regel übernehmen die Auftraggeber lediglich die Unkosten der Künstler, manchmal kommt es nicht mal dazu. „Ich hatte kürzlich ein Videoscreening und Künstlergespräch und habe für einen Abend insgesamt 300 Euro bekommen, das kommt schon eher selten vor", sagt Schmitt. „Deswegen war es schon luxuriös sich keine Gedanken, um die Finanzen machen zu müssen." Stattdessen nimmt sich die Künstlerin Zeit an ihrem Videoprojekt zu arbeiten, „das war dann die Geburtsstunde von ‚Voyage Pathologique‘".