Janoschs Kinderbuchklassiker „Oh, wie schön ist Panama" war Inspiration fürs Restaurant „Panama" in Tiergarten. Küchenchefin Sophia Rudolph pendelt dabei zwischen verschiedenen kulinarischen Traditionen hin und her.
Oh, wie schön, dass Panama so nah ist! Während in Janoschs Kinderbuch der kleine Bär, der kleine Tiger und die Tigerente erst einmal weit ausziehen müssen, um ihr eigenes „Panama" in ihrem Zuhause wiederzufinden, müssen die Berliner dagegen keine lange Reise antreten. Vielmehr hat sich das literarische „Panama" ganz real in Gestalt eines Restaurants und einer Bar in einem denkmalgeschützten Hof-Ensemble an der Potsdamer Straße eingefunden. Schön ist dieses „Panama" sowieso. Auf zwei Stockwerken und in lichten Räumen speist es sich in ehemaligen Druckereiräumen zwischen Kunst und hellem Holz zeitgenössisch-urban. Die angeschlossene „Tiger Bar" ist in einer Remise linker Hand, und an warmen Abenden raunen die Tische im Hof zwischen den ockerfarbenen Ziegelbauten vom Gründerzeit-Berlin.
Küchenchefin Sophia Rudolph gab dem „Panama" seit seiner Eröffnung Mitte 2016 das Diesseitige, Regionale, einfach Produktzentrierte mit auf den Weg, um es mit exotischen Zugaben oder Twists in der Zubereitung ungewohnt zu akzentuieren. Das Fremde findet sich im Eigenen wieder; das Eigene ist die Bühne für vermeintlich Fremdes, das bald schon wieder das neue Eigene ist. Das Hin- und Herpendeln zwischen verschiedenen kulinarischen Traditionen ist der gebürtigen Berlinerin allemal vertraut. Sie absolvierte Studium und Koch-Ausbildung am Institut Paul Bocuse in Frankreich. Nach mehreren Stationen in namhaften französischen Restaurants machte sich Sophia Rudolph zurück in Berlin als Souschefin in Marco Müllers „Rutz" einen Namen.
Manchmal liegt ihr fiktives Panama in Japan: Sophia Rudolph kreuzt ein Tatar vom Hohenloher Rind mit Miso-Creme, Shiitake-Pilzen und Wakame-Algen. Gibt Johannisbeer-Marmelade und Nigella – Schwarzkümmel – zu. Einmal umrühren und fertig. Das ist unser Job: Wir öffnen die hölzerne „Zauberbox", entnehmen Besteck aus dem orientalisch anmutenden Gehäuse und mischen unser Tatar selbst am Tisch und teilen miteinander. Die frische Süße der Johannisbeeren und das Umami der Misocreme binden das Fleisch für ein „klassisches" Tatar unüblich, aber genauso überraschend gut zusammen, dass sofortiges Wohlgefühl ausbricht. Et voilà: die Synthese aus Vertrautem und Unbekanntem. Wir verstehen sofort, weshalb einige Gäste – so besagt es die Restaurant-Legende – dieses „Signature Dish" durchaus als Dessert noch einmal ordern.
Das entspricht der Philosophie des Hauses: Die Gerichte können problemlos einzeln verspeist werden. Das Teilen und gemeinsame Essen von mehreren Tellern ist jedoch gern gesehen. Wir erfreuen uns zum Rind an der Wein-Empfehlung von Chefsommelier Nick Pratt: Mit einem Rosé Pinot Grigio vom Weingut Ferlat streifen wir das inzwischen von der Begleiterin angemischte Tatar, zu dem wir immer wieder noch einmal in die Becher mit den hausgemachten Roggencrackern greifen. Der kleine Chip obenauf reicht uns nicht. Knick-Knack mit Körnlein trifft auf mild-würziges Fleisch und angebubbelte Erdbeer- und Granatapfel-Noten des Weins – eine feine Mischung und perfekte Ergänzung. Die Pinot-Grigio-Trauben des Italieners im Glas lagen vor dem Eintreffen in Tank, Fass und Flasche vier Tage auf der Schale und bekamen so, bei aller Leichtigkeit im Schluck, mehr „Wumms", Tiefe und Farbe. Üblich seien 30 Minuten bis vier Stunden, verrät Nick Pratt.
Der Italiener hinter der Kamera wiederum hat sich nicht nur der intensiven Farbe wegen auf das Fisch-Gericht eingeschossen. Eine Wolfsbarsch-Ceviche lagert auf tiefgrünem Petersiliensud und hat Salzzitrone, gebackene Kapern und Tapioka-Perlen im Geleit. „Ist das Petersilie mit Tollwut?", fragt der Fotograf. „Dir ist der Gin zu Kopf gestiegen!", entgegnet die Begleiterin. Das erscheint mir unwahrscheinlich, denn der „Grenoble Drink" kommt zum Essen angenehmerweise als Miniatur-Ausgabe daher. Aber wer weiß das schließlich alles so genau? Der auf Tanqueray-Gin basierende Drink greift mit einem Kapern-Cordial, „Slim Tonic" von Thomas Henry, einem Hauch Salz und einem „kleinen Schwapp Petersilie", wie es der Service formuliert, die Aromen der Ceviche auf. Es ist und bleibt eine leichtfüßige Veranstaltung im Glas, die uns beschwingt, statt uns ernsthaft anzuschickern.
Der per Säure im peruanischen Stil kalt gegarte Raubfisch zeigt sich von seiner eleganten weißen Seite und schäkert mit dem verflüssigten Petersiliensträußchen zuerst im Teller und anschließend an unserem Gaumen herum. Die Ceviche ist ein zarter Auftakt mit Nachhall für den Abend – sowohl auf der Getränke- wie auf der Tellerseite. Idealerweise wählen die Gäste drei bis vier Gerichte aus. Der Service empfiehlt gern eine Getränkebegleitung mit Weinen oder Cocktails. „Wir legen dann die Reihenfolge fest, in der serviert wird", erklärt Restaurantmanager Jacob Frey.
Die Karte weist Rubriken wie „Blätter & Blüten", „Rohes", „Körner & Gemüse", „Grains & Vegetables" oder „Fleisch & Fisch" in der typografischen Gestaltung von konkreter Poesie aus – die Buchstaben wandern und fließen um die jeweils drei Gerichte herum. Pro Teller sind zwischen neun und 19 Euro einzuplanen; Bar-Snacks werden für sechs bis elf Euro gereicht.
Beim Fleisch-Teller mit Rot und Rind wird’s substanzieller. Eine Sauce vom Bleu d’Auvergne-Käse begleitet Scheiben vom gereiften deutschen Rumpsteak. Ein gegrillter Romana-Salat und in Tempura-Teig frittierte Zwiebeln und ein wenig minziges Shiso gesellen sich hinzu. Passt. Das mit seinem roten Fleisch und dem kräftigen Blauschimmelkäse von Hause aus krawummsigere Gericht macht beim angerösteten Salat und den etwas karamelligen, in ihrer Tempurahülle aromasicher ausgebackenen Zwiebeln dennoch einen schlanken Fuß.
Zum Dessert geht’s in die Bar
Im Gefolge des Tellers überrascht ein Weißwein aus Teneriffa im Glas. Der „Suertes del Marqués Trenzado" erweist sich als statthafter Gegenpart zum Fleisch. Sommelier Nick Pratt räumt nebenbei mit althergebrachten Trinkgepflogenheiten auf: „Es braucht nicht das Tannin des Rotweins, um das Fett auseinanderzuschneiden." Wir zerlegen also mit der Coupage aus den Rebsorten Listán Blanca und Pedro Ximénes das Rind: mit ordentlich Holzaroma in der Nase, ein bisschen Popcorn im Mund und einer Anmutung von kräftigem Jeréz im Rücken. Der Sommelier bestätigt uns in unserer Wahrnehmung: „Beide Rebsorten werden normalerweise für Sherry verwendet. Der Winzer baut sie aber normal aus."
Nach unten, in die „Tiger Bar", verfügen wir uns zum Abschluss und Dessert. Konnten wir Sophia Rudolph im oberen Gastraum beim konzentrierten Anrichten der Teller am halboffenen Pass zuschauen, richten wir am Tischchen dort unseren Blick auf den Bartender in Aktion. Wir merken uns: Im „Panama" werden die Tische in amerikanischer Manier, in zwei Durchgängen am Abend, vergeben. Wer so richtig deutsch und unbegrenzt in seiner Zeit sitzen möchte, gibt das bei der Reservierung mit an.
Uns beschert der Wechsel in die „Tiger Bar" einen „Panamito" im Glas und ein beinah klassisch griechisches Dessert auf dem Teller. Der kleine Panameño ist ein in ein Kaltgetränk transformierter doppelter Espresso, auf Eis geshaked und im Nahkontakt mit Zitronenschale und Zuckerrohrsirup veredelt.
Diese Erfindung des Sommeliers erweist sich als vorzüglich sommerliche Kaffee-Begleitung zum Joghurt mit Aprikosencreme, Walnüssen und Brioche-Krümelchen. Wir ziehen mit dem cremigen, kühlen Joghurt weiße Schlieren durch die orangefarbene Fruchtcreme-Spirale auf dem schwarzen Porzellan. Naschen so jeden Bissen ein bisschen anders gemischt. Die gar nicht mal so süße Süßspeise ist schlicht wie gekonnt: Die komprimierten Früchte sind Geschmacksbömbchen. Wir schwadronieren von Obstbäumen auf Wiesen.
Der Fotograf tritt beim Teller-Aufräumen anschließend noch einmal so richtig in Aktion. Er richtet ganz nebenbei unsere drei Löffel-Gabel-Paare im exakt gleichen Abstand auf dem Teller aus, murmelt die Worte „zwanghaft obsessiv" und fühlt sich wohl ein bisschen ertappt. Keine Frage, der studierte Architekt findet auch nach der Kulinarik mit peniblem Augenmaß jederzeit das stimmige Arrangement. In einem mit Kunst und Design nicht nur auf den Tellern so sehr durchgestalteten Ambiente ist das wohl folgerichtig. Panama ist eben überall dort, wo man es in sich selbst oder in seiner Umgebung erkennen kann.