„Sie sind hoch motiviert und haben Freude an der Bildung": Silvia Oitner von der Berliner Alice-Salomon-Hochschule (ASH) schätzt ihre Studenten mit Fluchterfahrung sehr. Sie hofft, dass erfolgreiche Projekte wie das Pre-Study-Programm künftig eine normale Hochschulaufgabe werden.
Frau Oitner, an der Alice-Salomon-Hochschule studieren Geflüchtete unter anderem aus Afghanistan, dem Iran, dem Irak, dem Senegal, Kenia und Syrien – wie finden sie denn den Weg zu Ihnen?
Viele kommen zunächst über das ASH-Refugee Office. Das ist eine Anlaufstelle für alle Menschen mit Fluchterfahrung zu Fragen rund um Wohnungssuche, rechtliche Probleme oder mögliche Bildungswege – oder auch rund um Sprachkurse mit oder ohne Kinderbetreuung. Das Refugee Office bietet einen niederschwelligen Einstieg zu Bildungsthemen und arbeitet in allen Bereichen eng mit verschiedenen Praxispartnern aus dem Bereich der Sozialen Arbeit und der Bildungsarbeit zusammen. Dort informieren wir auch über die Möglichkeit des Pre-Study-Programmes oder verweisen auf die Programme anderer Hochschulen, die den Kompetenzen und Vorstellungen der Klienten und Klientinnen entsprechen.
Pre-Study-Programm? Was ist das denn?
Das ASH-Pre-Study-Programm bereitet Menschen mit Fluchterfahrung auf ein reguläres Studium im Bereich Soziale Arbeit, Erziehung und Bildung im Kindesalter, Gesundheits- und Pflegemanagement sowie Physio- und Ergotherapie vor. Die Teilnehmenden erwerben alle nötigen Voraussetzungen für die Bewerbung in einem Studiengang der ASH Berlin oder an anderen deutschen Hochschulen.
Also wirklich dem Studium vorgeschaltet …
Ja, es eignet sich besonders für Geflüchtete, die sich noch nicht für ein reguläres Studium an der ASH Berlin bewerben können, weil ihnen noch Zeugnisse, Sprachkenntnisse oder das verpflichtende Vorpraktikum im jeweiligen Berufsfeld fehlen. Im Rahmen des zweisemestrigen Programms können sprachliche Kompetenzen in Deutsch und das für manche Studiengänge verpflichtende ein- bis dreimonatige Vorpraktikum erworben werden. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, erste Kurse zu belegen, die im Studium angerechnet werden.
Wie läuft das konkret ab?
Der Fokus liegt stark auf dem Deutschlernen und dem Vorpraktikum, da es sich dabei um Zulassungsvoraussetzungen für das Studium handelt. Zwei volle Tage die Woche wird intensiv Deutsch gelernt. Die Praktika finden in unterschiedlichsten Institutionen der Sozialen Arbeit, Erziehungs-, Bildungs- oder Gesundheitsprofessionen statt; zum Beispiel in einem Familienberatungszentrum, einer Beratungsstelle für Geflüchtete, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung, im Jugend-, Sport- oder Theaterbereich, Schulen oder Kitas oder auch in Gesundheitseinrichtungen. Interessant ist übrigens das Verhältnis von Frauen und Männern: Zwei Drittel der Teilnehmenden sind männlich, ein Drittel weiblich. Genau anders herum als sonst im Regelstudienprogramm im Sozialen.
Von den Teilnehmern des Pre-Study-Programms machen ja nicht alle mit einem regulären Studium weiter. Schaffen es nicht alle?
Wenn Absolventen des Pre-Study-Programmes sich anschließend nicht für ein reguläres Studium entscheiden, heißt das nicht, dass sie „es nicht geschafft haben". Viele finden schon während des Pre-Study-Programms in den Beruf. Der Bedarf an Fachkräften im Bereich der Sozialen Arbeit und Kompetenzen im Themenkomplex Flucht und Migration ist sehr groß. Wir erhalten immer wieder Anfragen von außerhalb. Viele der Studierenden mit Fluchterfahrung bekommen leider nach wie vor kein Bafög und müssen neben dem Studium bereits Geld verdienen. Wenn wir von Praxispartnern über Jobangebote informiert werden – das geht vom Minijob bis hin zur Vollzeitbeschäftigung –, leiten wir diese Angebote an die ehemaligen Teilnehmenden des Pre-Study-Programms und andere Studierende mit Fluchterfahrung weiter. An der ASH ist glücklicherweise Beruf und Studium vereinbar.
Wie klappt denn die Zusammenarbeit mit den Geflüchteten?
Alle Teilnehmenden zeichnen sich durch einen hohen Bildungsgrad aus – schließlich haben alle bereits mindestens ihr Abitur im Heimatland erfolgreich abgeschlossen oder bereits ein Studium begonnen oder sogar schon zum Abschluss gebracht. Die Menschen bringen unglaubliche Kompetenzen, Durchhaltevermögen, Kraft und Widerstandfähigkeit mit. Natürlich gibt es auch Menschen, die stark traumatisiert wurden – im Herkunftsland, auf dem Weg nach Deutschland und in Deutschland selbst.
In Deutschland traumatisiert?
Immer wieder berichten Teilnehmende, dass sie sehr schlechte Erfahrungen mit dem Jobcenter machen und bestimmte Maßnahmen verwehrt oder an Auflagen geknüpft werden.
Manchmal reicht dann auch ein Anruf von mir im Jobcenter, dann ist es plötzlich doch möglich, dass der Teilnehmer ein Studium anfängt oder am Programm teilnimmt. Von einigen Mitarbeitern im Jobcenter habe ich den Eindruck, dass sie ihre Machtposition ausnutzen und nach Gutdünken handeln, andere wiederum sind sehr hilfsbereit und unterstützen uns mit Informationen.
Wie viele machen denn dann wirklich ein Studium?
Von den 21, die im zweiten Jahr das Pre-Study-Programm durchlaufen haben, sind 16 bis zum Ende geblieben und zwölf werden mit dem Studium beginnen. Einige haben aufgehört, um ins Berufsleben einzusteigen oder gleich eine Ausbildung als Erzieher zu machen, andere fühlen sich noch nicht bereit für ein Studium und werden das Programm noch mal wiederholen. Insgesamt sind die Teilnehmenden nicht nur wahnsinnig motiviert, sie haben auch viel Freude an der Möglichkeit, ihren Bildungsweg endlich wieder fortzusetzen – trotz all der Hürden auf dem Weg dahin.
Profitiert denn auch die ASH von ihrem Hilfsangebot für Geflüchtete?
So würde ich das nicht ausdrücken. Es ist unsere Aufgabe, den Zugang zu unserer Hochschule auch den Menschen aus noch unterrepräsentierten Gruppen zu ermöglichen. So fördern wir auch den Zugang von Jugendlichen aus nicht akademischen Haushalten.
Personen mit Fluchterfahrung werden außerdem dringend als Sozialarbeitende sowie im Bereich der Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitsprofessionen gebraucht. Mehrsprachige Fachkräfte fehlen. Der Bedarf wird nicht weniger werden in unserer Einwanderungsgesellschaft. Da ist es wichtig, dass wir ein Angebot machen, das dem Menschenrecht auf Bildung entspricht.
Ihre Studenten machen wertvolle Erfahrungen. Geben sie diese auch weiter?
Für unsere Studierenden gibt es die interessante Möglichkeit, im Rahmen ihres Studiums als studentische Mitarbeitende eingestellt zu werden und im Rahmen des Refugee Offices Geflüchtete bei der Suche nach einer Wohnung oder Sprachkursen zu unterstützen oder die Teilnehmenden des Pre-Study-Programms zu begleiten.
Hört sich nach vielen Möglichkeiten an. as würden Sie sich für die Zukunft noch wünschen?
Wir sind nur projektgefördert. Ich hoffe, dass solche Programme in Zukunft als grundständige Aufgabe aller Hochschulen finanziert werden – und nicht nur in Form von Projekten.