Selten war eine Wahl im Freistaat Bayern so unkalkulierbar wie dieses Mal. Dabei geht es um mehr als eine Landtagswahl unter besonderen Vorzeichen und Koalitions-Spekulationen.
Frohlocken und Hosianna singen würde er wohl kaum, wenn sich das bayerische Urgestein Franz-Josef Strauß wie einst der Münchener im Himmel den Wahlkampf von einer Wolke aus ansehen könnte. Da würde ihm, der lateinische Sprüche liebte, wohl eher ein „sic tempora mutantur" (so ändern sich die Zeiten) entfahren. Und das nicht nur, weil die Zeiten absoluter CSU-Mehrheiten Geschichte sind. Schlimmer noch: Für das TV-Spitzenduell sah sich der Bayerische Rundfunk veranlasst, einen Grünen als ärgsten Herausforderer von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einzuladen. Mit der Doppelspitze Katharina Schulze und Ludwig Hartmann haben sich die Grünen in Umfragen stabil auf Platz zwei der bayerischen Parteienrangliste festgesetzt. Die SPD protestierte erwartungsgemäß mit dem Hinweis, immer noch zweitstärkste Kraft im Landtag zu sein. Sie werde aber nicht als Herausforderer wahrgenommen, kontert die Chefredaktion des Senders.
So muss sich die SPD, in letzten Umfragen sogar nur auf Platz vier, im „kleinen Duell" an FDP, Freien Wählern, Linken und AfD abarbeiten.
Umfragen sind das eine, schließlich hat das vergangene Mammutwahljahr gezeigt, dass am Schluss noch überraschende Wendungen möglich sind. Die Trends in Bayern sind aber ziemlich klar – und die Stimmungslagen offenbar auch. Zumindest legt das ein Blick auf das Gillamoos im niederbayrischen Abensberg nah. Er ist nicht nur einer der ältesten Jahrmärkte Bayerns, dort hat sich auch – neben dem Politischen Aschermittwoch – eine besondere Kultur des politischen Frühschoppens etabliert. Zur gleichen Zeit schenken Parteien in nebeneinander aufgebauten Zelten der Konkurrenz verbal deftig ein.
Freie Wähler und FDP halten sich bereit
Zu besichtigen waren in diesem Jahr Grüne, die die Aussicht auf Regierungsbeteiligung sichtlich beflügelt hat, eine SPD, die in Bayern traditionell bei Landtagswahlen kaum einen Blumentopf gewinnen kann und eine FDP, die zwar bereit wäre, mit der CSU zu regieren, wozu es rein rechnerisch derzeit aber alleine noch nicht reichen würde. Ganz ähnlich tritt Hubert Aiwanger auf, Chef der Freien Wähler, in Bayern traditionell eine starke Kraft. Er hat Landwirte und Mittelschicht, aber vor allem eine mögliche Koalition mit der CSU im Blick. Schließlich die AfD, die sich als neue und bessere CSU andient, sich im Vokabular aber weit nach rechtsaußen bewegt. Für Bundesparteichef Meuthen ist die Stoßrichtung klar: Die Bayern-Wahl soll die „Wende" für ganz Deutschland bringen. Entsprechend wird man im Wahlkampf nicht müde, der CSU vorzuwerfen, in Berlin „wie ein Schoßhündchen" Kanzlerin Merkel hinterherzulaufen. Das dürfte eine der wesentlichen Triebfedern sein für das Gebaren der CSU auf Bundesebene. Genutzt hat ihr das alles nicht. Im Gegenteil, wie die Entwicklung von Umfragen nahelegen.
Auch Maßnahmen im Land, die darauf abzielten, der AfD bei deren einzigem Thema, nämlich Flüchtlinge, Paroli zu bieten und Tatkraft zu zeigen, verfingen nicht. Die 500 zur Grenzsicherung eingesetzten Polizisten hätten gerade mal vier Flüchtlinge aufgegriffen, spotten SPD und Grüne. Gleichzeitig würde die bayerische Polizei aber mehr als zwei Millionen Überstunden vor sich herschieben. Und die Ankündigung von Ministerpräsident Markus Söder, in jeder Großstadt wieder Reiterstaffeln auf Streife zu schicken, liefert SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen die nächste Vorlage: Die Polizei brauche „Zweibeiner und keine Vierbeiner".
Fast symptomatisch für den Zustand von CSU und SPD gleichermaßen war die Anekdote um den Wahlkampfslogan „Söder macht’s". Die CSU-Wahlkampfstrategen hatten offenbar schlicht verpennt, sich diesen Slogan im Internet zu sichern. Was die SPD wiederum unter bundesweitem Gelächter auskostete. Nur genutzt hat es ihr ganz offensichtlich nicht. Für Spott sorgte auch ein Wahlkampfpapier der CSU, offenbar als Argumentationshilfe gegen die politische Konkurrenz gedacht. FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen fasste in einem spöttischen Tweet die CSU-Punkte zusammen: „Achtung. Die FDP will, dass schwule Ehepaare auch nach 20 Uhr legal Gras kaufen können."
Anekdoten und viel Nervosität
Die siegesgewohnte CSU steckt nicht erst seit der Bundestagswahl, als sie das bislang schlechteste Ergebnis mit erstmals unter 40 Prozent eingefahren hat, in einer höchst unangenehmen Situation. Neben den Angriffen von außen, der AfD auf der einen, Grüne sowie Freien Wählern und FDP auf der anderen Seite, rumort es in der Partei massiv. Der quälende interne Machtkampf, der mit Söder als Ministerpräsident und Spitzenkandidat sowie Seehofer als Parteichef und für die Berliner Bühne vorübergehend beendet wurde, schwelt weiter. Innerparteilich ist die Initiative „Konservativer Aufbruch – Basisbewegung für Werte und Freiheit" nicht zu unterschätzen, gut vernetzt in allen Regionen und vor allem getragen von den eher jungen in der Partei, die gegen „Sozialdemokratisierung und Vergrünung" der Union kämpfen und im Wahlkampf Thomas Jahn (Kaufbeuren) unterstützen.
Ein anderer Kandidat sorgt gleichzeitig für erheblich mehr Schlagzeilen und Ungemach: Franz Rieger. Der Landtagsabgeordnete, der den Wiedereinzug anstrebt, ist im Zuge der Regensburger Parteispendenaffäre ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Er gilt als „Risikokandidat".
Inhaltlich dominierten zuletzt zwei Themen den Wahlkampf: Zum einen der Komplex Migration, Flüchtlinge, innere Sicherheit, auf der anderen Seite bezahlbarer Wohnraum. Dahinter sind Fragen wie drohender Ärztemangel in ländlichen Regionen und andere Themen in den Hintergrund gerückt. Am Ende geht es ohnehin zunächst einmal um Zahlen und die Frage, wer mit wem kann. Eine CSU-Alleinherrschaft ist ziemlich ausgeschlossen.
Spannender und weit über Bayern hinaus folgenreicher wird sein, wie sich Kräfte und Strömungen anschließend sortieren, wer sich mit welchen Schlussfolgerungen aus dem Ergebnis durchsetzen wird. Dazu wird man allerdings noch die Wahl in Hessen vierzehn Tage später abwarten.
Alle Parteien stehen in Umbruchphasen, personell und inhaltlich. Gleichzeitig ist spätestens nach dem jüngsten, durch die Causa Maaßen ausgelösten Desaster klar, dass die Menschen etwas anderes erwarten als die Selbstbeschäftigung, die die Parteien seit nunmehr zwölf Monaten, seit der letzten Bundestagswahl, geboten haben. Übrigens nicht zuletzt auch wegen der Bayern-Wahl.