Hautnah und exklusiv dabei, wenn deutsche Soldaten ihren Grundwehrdienst leisten oder in Mali kämpfen: Seit einigen Jahren wirbt die Bundeswehr mit hippen Youtube-Videos. Sie sind Teil einer ausgeklügelten Strategie, um neue Rekruten zu finden. Größter Kritikpunkt: Die harte Realität kommt nicht vor.
Der Werbeaufwand ist enorm: Immer wieder präsentiert sich die Bundeswehr mit neuen Motiven – in Schaukästen in deutschen Innenstädten, auf Plakaten an Bushaltestellen, in ganzseitigen Anzeigen in Magazinen wie „Stern" oder „Spiegel" und mit neuen Filmen im Internet. Den letzten großen Auftritt gönnte sich die Bundeswehr im August in Köln, die Grenzen zwischen Kriegsspiel und Realität waren dabei fließend: Pünktlich zur weltgrößten Computerspielmesse Gamescom plakatierte man weiträumig rund um die Kölner Messe, um auf den eigenen Messestand aufmerksam zu machen. Auf den Plakaten zu sehen: Stilisierte bewaffnete Soldaten, die wie Figuren aus einem Computerspiel wirken. Dazu gab es markige Sprüche wie: „Multiplayer at its best" oder „Mehr Open World geht nicht". Alles schön im Computerspiel-Slang.
Dieser Aufritt sorgte für eine Menge Kritik. Beim Nachrichtendienst Twitter gab es einen wahren Shitstorm. Viele empfanden die Art der Werbung und den Auftritt der Bundeswehr rund um die Computermesse als unpassend. „Die Aussage ist doch: Bei uns bekommt ihr echte Waffen, mit denen ihr herumballern könnt", schrieb ein Nutzer. „Kampfeinsätze sind ernst und sollten auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit behandelt werden. Werbung ja, aber nicht so", twitterte der empörte Nutzer Ronny2012. Auch die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) bedauerte die Selbstdarstellung der Bundeswehr zur Gamescom. „Das, wofür die Bundeswehr steht, ist zu ernsthaft, um es in dieser Form und in so einem Kontext zu präsentieren", gibt der stellvertretende EAK-Vorsitzende Lutz Krügener zu bedenken. Der Charakter der Plakate und der Bundeswehrwerbung insgesamt sei unseriös. Schließlich gelte: Wer in Deutschland zum Militär gehe, signalisiere die Bereitschaft, im Ernstfall zu töten oder selbst getötet zu werden. „Von der Bundeswehr erwarte ich schlicht mehr Seriosität, Klarheit und Ehrlichkeit", so Krügener.
Schnelle Schnitte, viel Pathos
Die Bundeswehr selbst twitterte dazu: „Wir wollen zum Nachdenken darüber anregen, was wirklich zählt: Krieg spielen oder Frieden sichern?" Das Ziel der Werbekampagne wird allerdings erst deutlich, wenn man die kleingedruckten Zeilen auf den Postern liest: „Echte Kameradschaft statt Singleplayer-Modus? Mach, was wirklich zählt. Lerne Teamwork kennen und bewirb dich für eine Karriere bei der Bundeswehr", hieß es da. Armee-Mitarbeiterrekrutierung im Jahr 2018 …
Die Werbemasche ist nicht neu. Seit 2011 heißt es für die Bundeswehr: Antreten im Netz, auf Plakaten, in Filmen oder auf Messen. Damals wurde in Deutschland die Wehrpflicht ausgesetzt, neue Rekruten mussten fortan aktiv akquiriert werden. „Das ließen wir uns von Anfang an eine Menge kosten", berichtet ein ehemaliger PR-Insider und -Stratege aus dem Verteidigungsministerium, der nicht namentlich genannt werden will. „Wir hatten ja gleich mehrere dringende Probleme: Die weltpolitische Lage verschlechterte sich, damit wurden die Aufgaben der Bundeswehr immer vielfältiger." Und dann stand man parallel auf einmal in direkter Konkurrenz zur freien Wirtschaft und kämpfte ums Personal in spe. Was also tun, um geeignete und motivierte Bewerber zu bekommen? Die Bundeswehr beschritt für sie völlig neue Wege. „Unter dem Motto: ‚Mach, was wirklich zählt‘ haben wir versucht, unsere Zielgruppe völlig neu anzusprechen", berichtet der Ex-Insider. Die Zielgruppe, das sind für die Bundeswehr die 18- bis 35-Jährigen. „Und völlig neu ansprechen: Das hieß unter anderem, unseren Auftritt in den sozialen Netzwerken zu stärken und aufzubauen." So entstand 2016 die Youtube-Webserie „Die Rekruten". In fünf- bis zehnminütigen Episoden wurde das Leben einzelner Neueinsteiger in der Marinetechnikschule in Parow (Mecklenburg-Vorpommern) gezeigt. „Ein Riesenerfolg", freut sich der ehemalige Stratege aus dem Bundesverteidigungsministerium. „Einzelne Folgen erreichten weit über 200.000 Aufrufe. Die Serie setze sich an die Spitze der Youtube-Trends."
Was auf den ersten Blick wie eine von Soldaten selbst produzierte Serie wirkt, ist allerdings bei näherer Betrachtung professionell produziert. „Da kann man nur sagen: gut gemacht!", lobt der Berliner PR-Fachmann Marc Erny. Allerdings muss er gleich darauf schlucken, als es um die Mittel geht, die dahinterstecken: Stolze 1,7 Millionen Euro gab die Bundeswehr für die Videoproduktion aus, gut sechs Millionen wurden in begleitende Werbemaßnahmen gesteckt. „Eine Menge Geld, auch wenn man erst auf den zweiten Blick erkennt, dass es sich um ein sogenanntes ‚Scripted Reality-Format‘ handelt", meint Erny. „Das hätte man auch für 200.000 Euro produzieren können." Zusätzlich hat er einen gravierenden inhaltlichen Einwand: „Die Bundeswehr wäre außerdem gut beraten gewesen, auch kritische Fragen zu thematisieren und ein objektives Bild des Soldatenberufs zu zeigen. Da kann es nun mal um Leben und Tod gehen."
Doch die Bundeswehr tut genau das Gegenteil: 2017 wurde nach dem Erfolg von „Die Rekruten" die nächste Serie produziert, Titel: „Bundeswehr exclusive". Flankiert von einer deutschlandweiten Plakat- und Printwerbung blicken drei Soldaten aus einem grafisch verfremdeten Sandsturm auf die Betrachter. „Bist du bereit für eine echte Herausforderung? Folge unseren Kameraden und Kameradinnen in den Einsatz nach Mali und sei hautnah mit dabei!" Auch diesmal ließ die Bundeswehr eine Menge Geld springen. 6,5 Millionen Euro gaben die Zuständigen 2017 für die Nachwuchswerbung aus, die intern unter der Bezeichnung „Arbeitgebermarke Bundeswehr" läuft. Die Produktionskosten der Videos hatten daran mit zwei Millionen Euro noch den geringsten Anteil. Der Rest floss in die „Mediadienstleistung", die flächendeckende Werbung. Marc Erny: „Auch für diese Clips gilt: Gut produziert, aber insgesamt viel zu teuer!"
Da fragt man sich: Wer hat denn nun Recht, was darf eine solche Videoproduktion denn kosten? Ein Anruf bei einem der größten Mediendienstleister Deutschlands, Cine Plus, bringt Klarheit. „Wir könnten das Gesamtpaket, vom Drehbuch über den Dreh bis zur Nachbearbeitung, im Schnitt deutlich billiger anbieten", rechnet ein Mitarbeiter vor. „Selbst wenn ich insgesamt 60 Arbeitstage, Drehs in Mali und eine ausführliche Nachbearbeitung in einem unserer Schnittstudios – die Postproduktion – mit einrechne, komme ich unterm Strich auf maximal 500.000 Euro Kosten. Da sind auch alle Spesen und Versicherungen mit eingerechnet."
Im Berliner Bendlerblock, dem Sitz des Bundesministeriums für Verteidigung, sah und sieht man die Dinge freilich anders: „Die Kosten sind ja nur das eine, die Erfolge gerade der Videos gaben uns Recht", berichtet der ehemalige Mitarbeiter. „Es gab schon mit unserer ersten Serie einen sprunghaften Anstieg des öffentlichen Interesses."
Das belegen auch die offiziell dokumentierten Zahlen: „Im Sendezeitraum der Serie ‚Die Rekruten‘ gab es 40 Prozent mehr Zugriffe auf die Karriere-Website, ein Viertel mehr Anrufe bei der Karriere-Hotline und 21 Prozent mehr Bewerbungen bei Mannschaften und Unteroffizieren", sagt Oberst Holger Neumann, stellvertretender Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums. Zu beiden Serien gab es nach der Ausstrahlung „deutlich erhöhte Bewerberzahlen". Was das genauer heißt, darüber schweigt man allerdings.
„Fakt ist, dass wir im Jahr rund 25.000 Soldaten neu einstellen müssen", berichtet der Insider. So viele Neuuniformierte würden gebraucht, um die Mitarbeiterzahl nicht nur zu halten, sondern leicht zu steigern. „Das Haupthindernis für die Streitkräfte bleibt aber die gute Konjunktur", erklärt er. „Wir konkurrieren eben mit allen anderen Unternehmen um die klügsten Köpfe und geschicktesten Hände. Und auch die anderen gehen massiv mit Werbung für die Mitarbeiterrekrutierung auf den Markt."
„Ist das eine Urlaubswerbung?"
Dafür hat PR-Fachmann Marc Erny Verständnis: „Ja, da musste man sich etwas einfallen lassen. Aber trotzdem sind Sprüche wie ‚Multiplayer at its best‘" einfach ethisch und moralisch fragwürdig. Da verblendet man ja junge Leute." Und genau die werden mit der neuen Werbung der Bundeswehr angesprochen. Erny: „Das sieht man ganz gut bei den Videoserien. Die sind modern und frisch gedreht und vor allem extrem schnell geschnitten. Das trifft das junge Publikum." Dass die Taktik tatsächlich funktioniert, belegen auch die Zahlen zur Mali-Videoserie: Mehr als eine Million Zuschauer klickten bislang alleine die erste Folge „Die Abreise" an.
Inhaltlich begleiten die Filme mehrere Soldaten, die zum Dienst in Mali antreten müssen. Folge eins beschäftigt sich mit dem Abschied von Freunden und Bekannten. Es fließen Tränen – aber letztlich siegen bei allen gezeigten Soldaten Stolz und Zuversicht. „Da wird für deutsche Verhältnisse schon ganz viel Pathos transportiert. Nicht nur bei den Menschen, auch bei den ‚Verpackungselementen‘ der Serie wie Texttafeln, Animationen, Opener", analysiert Marc Erny. „Keine Frage: Da hat man sich viel aus Amerika abgeschaut." Und auch inhaltlich habe man im Vergleich zu „Die Rekruten" einiges fein justiert. Erny: „In der Tat: Das Ganze ist deutlich inhaltsreicher. Aber die knallharte Realität wird weiter nicht gezeigt."
Das kritisieren auch zahlreiche Zuschauer der Youtube-Serie in ihren Kommentaren. Exemplarisch der Post von Nutzer Tobi M.: „Ist das ’ne Werbung für ’nen neuen Reiseveranstalter? Wenn ich das so sehe, kommt richtig Urlaubsfeeling. Find es schrecklich, gerade jungen Menschen (was hier wohl auch die Zielgruppe sein soll) so ein (falsches) Bild der Bundeswehr zu vermitteln." Deutlich zynischer der Kommentar von „Call Him Zombie": „Endlich gibt’s auch Scripted Reality bei der Bundeswehr. Wird der Gefreite Huber beim hübschen Buschmädchen landen können?"
Für den ehemaligen Bundeswehr-PR-Strategen sind solche Kommentare kein Problem: „Damit, dass solche Kommentare überhaupt zugelassen werden, zeigen wir doch schon, dass die Bundeswehr zutiefst demokratisch ist und dass wir andere Einschätzungen und Meinungen zulassen", meint er. Und fügt hinzu: „Alles getreu unserem Werbespruch: ‚Wir kämpfen auch dafür, dass Sie anderer Meinung sein können.‘"