Am 13. Oktober wird wieder der „Mensch aus Eisen" gesucht. Der Ironman Hawaii ist eine Legende, die zuletzt viele deutsche Athleten geprägt haben.
Die Big Island von Hawaii zieht jährlich Hunderttausende Touristen an. Viele Leute besuchen die schwarzen Sandstrände im Süden oder die Orchideen-Gärten. Oder sie starten Ausflüge zu den Vulkanen oder zu den Wasserfällen Ka Uao Waianuenue. Jedes Jahr im Oktober wird die mit rund 10.000 Quadratkilometern größte Insel des US-Bundesstaates Hawaii aber von Sportverrückten bevölkert. Dann gibt es die Hölle mitten im Paradies.
Der Ironman Hawaii gilt als eine der extremsten Veranstaltungen, die der Sport zu bieten hat. Und als eine der sagenumwobensten. Hier wurden schon zahlreiche Geschichten über Schmerz, Niederlagen und Triumphe geschrieben. Am 13. Oktober dieses Jahres findet die 40. Jubiläumsauflage des härtesten Triathlons der Welt statt. 3,86 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer Radfahren, 42,195 Kilometer Laufen – und das bei teils brütender Hitze und unberechenbaren Winden. „Du denkst erst, du springst vor Verzweiflung gleich ins Meer, und kurz darauf ist es plötzlich nur noch geil", erklärt Vorjahressieger Patrick Lange die Faszination. Der 32-Jährige ist auch diesmal wieder am Start und einer der Favoriten auf den Sieg: „Etwas Größeres kann es für mich gar nicht geben."
Was macht den Mythos aus? „Hawaii ist extrem, Hawaii ist hart, Hawaii ist Emotion und Leidenschaft", sagt Jan Frodeno, der 2015 und 2016 hier gewann. „Das ist so etwas wie der Ritterschlag unter Triathleten." In diesem Jahr peilte der 37 Jahre alte Kölner seinen dritten Sieg an, doch eine Stressfraktur in der Hüfte machte ihm einen Monat vor dem Start einen Strich durch die Rechnung. „Es ist eine Erinnerung an uns alle, dass Erfolg nie in einer geraden Linie kommt", schrieb der Olympiasieger auf seiner Instagram-Seite. Zwei Wochen vor der Start-Absage für Hawaii war Frodeno über die Ironman-Halbdistanz im südafrikanischen Port Elizabeth noch Weltmeister geworden.
Jeder kommt an seine Grenze
Frodeno muss nun mindestens ein weiteres Jahr warten, ehe er die Scharte aus dem Vorjahr, als er nur als 69. ins Ziel lief, auszumerzen. Aber was heißt „nur". Jeder kommt beim Ironman auf Hawaii an seine Grenze, jeder bricht mal ein. Auch ein Ausnahmeathlet wie Jan Frodeno. „Das Rennen ist ein ständiges Auf und Ab", berichtet Frodeno aus eigener Erfahrung. „Es gibt Momente, da geht es richtig gut, da meine ich, fliegen zu können. Und dann gibt es Momente, wo ich sage: Es geht nicht mehr, ich will nicht mehr." Aber Aufgeben, das kommt für einen Ironman nicht infrage. Das verbietet quasi die Historie des Rennens. „Beim Ironman geht es darum, das zu beenden, was man begonnen hat", erklärte einmal Gründer John Collins. „Vielleicht nicht so schnell wie der Kerl vor dir, aber auf jeden Fall schneller als jemand, der gar nicht erst gestartet ist."
Der Legende nach war ein Streit der Ursprung des Ironman Hawaii. Während einer Preisverleihung 1977 für örtliche Rennläufer und Schwimmer wurde mal wieder diskutiert, wer denn der bessere Ausdauersportler sei: der Läufer, der Schwimmer oder der Radfahrer? Collins schlug daraufhin vor, die drei auf der Insel O‘ahu existierenden Rennen (Waikiki Roughwater Swim, Around-Oahu Bike Race und Honolulu-Marathon) zu kombinieren. Und dann soll er gesagt haben: „Derjenige, der das Rennen als Erster beendet, werden wir den Menschen aus Eisen nennen."
Aber nicht nur die Sieger entwickeln fast übermenschliche Kräfte während des Rennens. Jedes Jahr sieht man Menschen, die sich körperlich völlig erschöpft ins Ziel auf dem Alii Drive in Kailua-Kona im wahrsten Sinne des Wortes kämpfen. Besonders dramatisch war der Zieleinlauf 1997, der als „The Crawl" (Das Krabbeln) in Erinnerung blieb. Die völlig erschöpfte und dehydrierte Amerikanerin Sian Welch erlitt 200 Meter vor dem Ziel einen Schwächeanfall. Von hinten kam ihre Landsfrau Wendy Ingraham angerannt, sie schien im Kampf um Platz vier nun die besseren Karten zu haben. Doch plötzlich zog es auch ihr den Boden unter den Füßen weg. Beide Kontrahentinnen versuchten mehrfach aufzustehen – doch ihre Muskeln gehorchten ihnen nicht mehr, und sie fielen immer wieder hin. Ingraham kam schließlich auf die Idee, ins Ziel zu krabbeln. Welch tat es ihr nach und wurde am Ende sogar von Ingraham noch über die Linie gezogen. Was für ein Bild!
Es sind Geschichten wie diese, die den Mythos Ironman Hawaii ausmachen. Geschichten, bei denen auch Frodeno Gänsehaut bekommt: „Da gab es spannende Rennverläufe, da gab es extreme Höhen, aber auch Tiefen, wo Sieger vor Erschöpfung kollabiert und über die Ziellinie gekrochen sind." Der Leidensfaktor sei auf Hawaii „noch mal eine Spur größer". Die Luftfeuchtigkeit, die Hitze und der Wind machen die vielen Kilometer im Wasser und an Land zu einer reinen Tortur.
Aber natürlich spielten Welch und Ingraham damals mit ihrer Gesundheit, wie viele andere es auch heute tun. Auch das gehört zu dem Event. „Der Ironman ist eine Grenzerfahrung, und jede Grenzerfahrung ist irgendwo gefährlich", sagte Ironman-Veteran Hannes Blaschke in einer ARD-Dokumentation.
Neben den Triathlon-Profis nehmen aber auch viele Amateure das Risiko auf sich, um beim wichtigsten Rennen ihres Sports teilnehmen zu können. Während die Profis um den Sieg, Geld und Ruhm wetteifern, kämpfen die rund 2.000 Amateure jährlich ums Ankommen. Teilweise sind sogar über 80-Jährige dabei. Das Startgeld beträgt 800 Euro – Anreise und Unterkunft nicht inbegriffen. Die Ausrüstung ist ebenfalls recht teuer. Und die Vorbereitung und Qualifikation „frisst" noch viel mehr Geld und Zeit.
Und dennoch tun sich die Sportler diese Strapazen an. Warum? Diese Frage stellen sie sich selbst während des Rennens immer wieder, vor allem auf der Straße zum Natural Energy Lab. Irgendwo zwischen Kaulia und Kawaihae, bei Kilometer 25 der Marathonstrecke. Eine Schlüsselstelle. Sieben Kilometer nur geradeaus. Auf flimmerndem Asphalt. „Hier haben manche Leute vielleicht sogar ein spirituelles Erlebnis", sagt Frodeno. Für ihn ist die Nähe zwischen Profis und Amateursportlern etwas Außergewöhnliches, „die sucht man in anderen Sportarten vergeblich". Und Sebastian Kienle, Hawaii-Gewinner von 2014, ergänzt: „Das hilft auch mir, motiviert zu bleiben und die Perspektive nicht zu verlieren. Ich verdiene zwar Geld mit dem Sport, aber andere tun sich das alles ohne diesen Anreiz an und bringen vielleicht sogar noch größere Opfer als ich."
„Über die Ziellinie gekrochen"
Einer davon ist Thorsten Schröder. Der ARD-Tagesschausprecher belegte vor einem Jahr den 989. Platz von 2.364 Teilnehmern. „Das Rennen ist ein Höhepunkt – die Quälerei, Schinderei, aber eben auch das Glück im Ziel, die Belohnung – das ist großartig", sagte er. Und das nach fast elf Stunden größter Anstrengung.
Damit war Schröder sogar schneller als der erste Gewinner des Ironman Hawaii bei der Premiere 1978, Gorden Haller (USA). Heutzutage knabbern die besten Triathleten an der Acht-Stunden-Marke. „Für mich als Athlet ist das eine Marke, die mich nicht interessiert, weil ich weiß, dass sie nicht primär von meiner persönlichen Leistung abhängt", sagt Kienle. Aus Marketinggründen wäre es aber „sicher eine tolle Sache", der erste Mensch zu sein, der den Ironman auf Hawaii unter acht Stunden absolviert. Derzeit liegt der Streckenrekord bei 8:01:40 Stunden, aufgestellt von Lange im Vorjahr.
In der jüngeren Vergangenheit haben die deutschen Triathleten den Ironman Hawaii dominiert. Die Sieger der vergangenen vier Jahre kommen allesamt aus Deutschland: Lange (2017), Frodeno (2016 und 2015), Kienle (2014). Auch Thomas Hellriegel (1997), Normann Stadler (2004, 20006) und Langes Trainer Faris Al-Sultan (2005) hatten sich schon in die Siegerliste eingetragen. „Die Struktur des Triathlons scheint einfach zu uns Deutschen zu passen", sagt Frodeno und meint damit vor allem das akribische und bis ins kleinste Detail strukturierte Training.
Zur deutschen Geschichte beim Ironman Hawaii zählt aber auch der Dopingfall der Nina Kraft. Die Braunschweigerin gewann 2004 das Rennen bei den Frauen, wurde anschließend aber wegen eines Epo-Nachweises nachträglich disqualifiziert. Kraft leugnete erst gar nicht, mit verbotenen Mitteln nachgeholfen zu haben. „Ja, ich habe Epo von jemandem bekommen, ich habe es genommen, ich bin die Schuldige", sagte sie dem Hessischen Rundfunk. Sie habe sich „selbst das Herz rausgerissen".
Kraft lenkte zumindest den Fokus auf Doping im Triathlon, insbesondere auf der Ironman-Distanz. Kritiker behaupten, dass der Dreikampf genau wie alle anderen Ausdauersportarten auch heute ein Doping-Problem habe. Aber dass die Kontrollen eben nicht so flächendeckend und gezielt sind wie zum Beispiel beim Radsport. „Ich bin für lebenslange Sperren für Dopingsünder. Ich stelle mich dem Thema und tue alles, um zu beweisen, dass ich sauber bin", sagt Frodeno.