Wer über Industriemessen flaniert, macht nicht selten Bekanntschaft mit Roboterarmen, die einen freundlich in ihren Bann ziehen. „Cobots" sollen Menschen bei anstrengenden und eintönigen Aufgaben unterstützen. Ein Rundgang über die Automatica-Messe in München.
Erschöpfte Messebesucher lehnen sich, nach Erfrischung lechzend, über einen Tresen. Direkt neben ihren dichtgedrängten Köpfen wird alkoholfreies Bier in Gläser gefüllt. Das dauert ein wenig. Gut eingeschenkt braucht nun mal seine Zeit, denn das Resultat soll nicht nur aus Schaumschlägerei bestehen. Die Durstigen schauen zu, wie ein elektrischer, kräftetechnisch genau programmierbarer, reaktionsfähiger Greifer auf Roboterarmen der Augsburger Firma KUKA den Flaschenhals vorsichtig in ein schräg gehaltenes Bierglas kippt und das Bier allmählich einfließen lässt. Mit einem klassischen Industrieroboter, der präzise und schnell arbeitet, dabei via Pneumatik hohe Kräfte aufbringt, gäbe das Scherben.
Der fast schon zärtliche Umgang mit dem Glas ist eine meisterbare Herausforderung für den Maschinen-Anweiser. „Schüler aus Gymnasium und Realschule konnten nach einer Einführung auf einer Plattform innerhalb von acht Stunden eine Bier-Einschenk-Maschine programmieren", berichtete Simon Haddadin, Geschäftsführer beim Münchener Start-up Franka Emika, jüngst auf der Digital Business Preview.
Panda-Roboter im Allgäu produziert
Steht dort etwa Alexa hinter dem Tresen? Smarte, gestaltlose, persönliche Assistenten und die handfeste Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine in der Industrie 4.0 werden gern verwechselt. Stefan Lampa, CEO Germany bei KUKA Roboter, begrüßt das sogar, weil die Amazon-Sprachassistentin die „Kollaboration" anschiebe: „Consumer-Anwendungen bringen Roboter den Menschen näher. Getrennte Produktion erscheint im Vergleich zu Alexa-Umgebungen altmodisch."
„Manipulation", die Nutzung des Werkzeuges Hand, ist eines der großen Themen der Robotik und des auf Maschinen transferierten Verständnisses des menschlichen Armkomplexes. Feinfühlige, flexible, sichere und begleitende Manipulationsassistenten für den interagierenden Menschen, von jedem leicht bedienbar, waren daher auch der Traum der Brüder Sami und Simon Haddadin und weiterer Forscher von Franka Emika, für dessen Umsetzung sie nach 15-jähriger Entwicklung 2017 vom Bundespräsidenten den deutschen Zukunftspreis erhielten. Jenseits der Industrie könnten diese ersten feinfühligen und lernfähigen Leichtbau-Roboter mit dem Namen „Panda" künftig Menschen im Alltag oder in der Pflege unterstützen. Produziert wird dieser erste Massenmarkt-Roboter der Welt in einem ehemaligen Nokia-Werk im Allgäu. Von Robotern, zusammen mit Menschen. Kollaboration ohne teure, physische Absicherungen macht „made in Germany" wieder wirtschaftlich, entlastet.
Der Franka-„Panda"-Arm, für 9.900 Euro als Basisversion zu haben, soll mit Steuerung, Greifer, Control Interface und Research Interface in einer halben Stunde zusammengebaut und via Apps und Bewegungseinführung programmiert sein. Die vorzugebenden Aufgaben sind auf 1.000 Roboter weltweit zugleich übertragbar. Im April holte das Heidenheimer Unternehmen „Voith" mit seinem Einstieg bei Franka Emika deren Leichtbau-Roboter auf die große Industriebühne, ein 5G-Netze-Anbieter kooperiert für „Connected Machines" mit Franka.
Zunehmend wenden sich kleine und mittelständische Unternehmen, sogenannte KMUs, flexiblen, preisgünstigen Roboterlösungen zu. Bei Komplettlösungen aus Roboterarmen, -greifern, -sensoren und -software, etwa auch der dänischen Firma Universal Robots, können sie ihre Selbstbau-Roboter schnell in Betrieb nehmen.
Immer wieder trifft man bei den Industriemessen auf „Franka"-Roboter für konkrete Soft-Intelligence-Anwendungen in KMUs. Andere Start-ups passen ihre intelligenten, sensibel reagierenden Aufsätze und Greifer an die gewünschten Lösungen für kollaborierende Roboter, „Cobots", an.
Teilautomatisierung ohne große Robotik-Kenntnisse ist möglich. Der Mensch zeigt der Maschine, wie es geht. Der Werker führt den Arm des freistehenden Cobots beispielsweise zu verschiedenen Positionen, lernt ihn an. „Das kommt immer häufiger vor", erzählen Entwicklungsprojektleiter. Der Kollege Roboter arbeitet aber auch vor, wenn giftiger Staub beseitigt werden muss, wenn in Laboren Präzision und Schutz der Forscher wichtig sind, wenn eine Schraube bei Fahrradmontagen kräftig festgezurrt werden muss, ohne den begleitenden Kollegen mit körperlicher Beeinträchtigung dabei zu verletzen.
Der Mensch lehrt die Maschine
Wo Wiederholgenauigkeit, etwa beim Kleben von Folien, notwendig ist, übernimmt der Cobot, während der Werker eine neue Aufgabe angeht. Komplexe Fügearbeiten, die sehr schwierig zu programmieren sind, kann Kollege Roboter mithilfe eines Repräsentationsmodells, des vom Arbeiter vorgeführten „Wie’s", mithilfe seiner Feinfühligkeit und kleiner Lern-Algorithmen, in kurzer Zeit lernen.
Eine der schwierigsten Aufgaben für einen intelligenten Service-Roboter wäre es, eine Spülmaschine ein- und auszuräumen. Vielerlei gilt es hier wahrzunehmen, zu improvisieren und situationsgemäß anzupassen. Franka Emika forscht dennoch daran. Auch wenn „wild" Herumlaufen bei Maschinenwesen, anders als intelligente „End-of-Arm"-Lösungen, in absehbarer Zukunft nicht gehen wird.
Humanoide Roboter wie der THK R-7, die einem beispielsweise als Wegweiser entgegenkommen oder das Anlegen von Sicherheitswesten vorführen, sind in vielfacher Hinsicht eingeschränkt und „dumm", spulen auch als Antworten lediglich Vorgegebenes ab. Ihre linearen Greiffunktionen werden programmiert.
Sensoren sorgen bei Greifern für immer mehr Sicherheit in der Qualität und im Arbeitsprozess. Dennoch: In Haushalt, Pflege oder Produktion sollte nach Meinung vieler Robotik-Experten, -Entwickler und -Praktiker nie ein Roboter ohne anleitende und kontrollierende Menschen arbeiten oder assistieren. Er könnte in diesen Szenarien den humanen Helfern und Werkern aber das Leben und Heben erleichtern.
Merkwürdig mutet es angesichts der unübersehbaren Abhängigkeit der Roboter von Menschen, die sie entwickeln, steuern, programmieren, kontrollieren oder ihnen Bewegungsabläufe vormachen, an, wenn die Unternehmensberatung McKinsey vorhersagt, dass 800 Millionen Menschen weltweit bis 2030 durch Automatisierung und Robotik ihre Jobs verlieren werden. Einer Prognose des Weltroboterverbands IRF zufolge werden bereits 2020 mehr als drei Millionen Industrieroboter in den Fabriken der Welt im Einsatz sein.
Ist das angesichts der Alterspyramide gar nicht so schlimm? Reinhard Karger, Unternehmenssprecher beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), sagte beim Preview-Trend-Talk: „Es gibt sehr viele Arbeiten, die gut sind, um die Existenz zu sichern, aber sie sind keine gut genutzte Lebenszeit. Wir sollten nicht Arbeiten behalten, die wir selbst nicht verrichten wollen, weil wir zu faul sind, uns neue Jobs auszudenken."
KUKA-Chef Lampa, in dessen Werk Roboter bereits von Robotern gebaut werden, wenn es um eintönige und körperlich belastende Arbeiten geht, äußerte kürzlich beim Weltroboterverband IFR CEO Roundtable zum Thema „Roboter und KI – Vision und Realität": „Ich würde meine Kinder nicht in einer klassischen, manuellen Fabrik arbeiten lassen wollen. Wir brauchen Automation."
Über drei Millionen Roboter im Einsatz
Markus Glück, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Schunk, schränkte beim Automatica-Forum ein: „In kleinen Serien wird immer der Werker der Gewinner sein. Es geht um Teilautomatisierung bei mittlerer Stückzahl und Variantenvielfalt". Ergonomische Entlastung und eine Flexibilisierung der Arbeitsprozesse seien vor allem da gefragt, wo drei Millionen Menschen in den nächsten Jahren aus den Arbeitsprozessen ausscheiden werden und die Wirtschaft doch weiter produzieren und florieren muss. „In der Smart Factory mit MRK (Mensch-Roboter-Kollaboration, Anm. d. Red.) als einem Schlüsselelement vereinen Menschen und Roboter ihre Stärken."
Auch sei es bei Teilautomatisierung typisch und wirtschaftlicher, wenn der Mensch die Greif-, Sicht- und Fühlkontrolle eines fertigen Werkstückes übernehme, das Teil zügig von allen Seiten inspiziere, dabei Abweichungen wahrnehme, reagiere, auch improvisiere, als wenn eine komplexe Bilderkennung aufwendige Zuordnungen vornehmen müsse, ergänzte Werner Kraus vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung.
Kollaboration als Lösung? Dazu prophezeit Karger: „Mensch plus Werkzeug, das sind ungeahnte Möglichkeiten." Smarte Roboter-Kollegen, die keine Spielzeuge oder Illusionen auf Leinwand sind, „Cobots" und ihre Greifarme üben sich im Nachahmen menschlicher Verhaltensweisen und Reflexe, dürfen weder gefährlich wirken, noch sein. Eine Art „robotoner" Entdeckung der Langsamkeit ist zu beobachten, wenn im Umfeld von kollaborierenden Systemen immer mehr (sanft) zupackende Maschinen, ohne Sicherheitsabgrenzungen, direkt neben und mit Menschen arbeiten.
In krasser Unterscheidung zu abgesperrten Highspeed-Anwendungen mit Greifern. „Schnell geht nicht", erklärt Wilhelm Ganslmeier, Greifsysteme-Berater beim Spann- und Greiftechnik-Unternehmen Schunk. Höchstens im Hintergrund, solange kein Mensch in der Nähe ist, arbeiten kollaborierende Industrieroboter mit Tempo. Bis es wieder heißt: „Kollege Roboter, mach mal weiter."