Das Schicksal der Kanzlerin entscheidet sich nach den Landtagswahlen
Es ist schick geworden, auf Angela Merkel einzuprügeln. Das hat mit dem Autoritätsverlust der Regierungschefin zu tun, der sich an den Meinungsumfragen ablesen lässt. Bis zum August 2015 war sie für die Union eine sichere Bank: Werte von mehr als 40 Prozent schienen für die Partei eine einbetonierte Wahrheit. Im Land hatte sich ein Grundgefühl breitgemacht: Merkel macht’s. Sie war die Über-Kanzlerin, die in weltpolitisch turbulenten Zeiten als Fels in der Brandung galt.
Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Herbst 2008 vermittelte sie den Bundesbürgern die Gewissheit, dass ihre Spareinlagen sicher sind. In der Griechenland-Krise ab 2010 verhinderte sie das Auseinanderbrechen der EU.
Lange her. Die demoskopische Talfahrt der CDU/CSU ist derzeit fast im Monatstakt zu beobachten. Rund 27 Prozent werden in diesen Tagen angezeigt. Doch wie lange hält diese Marke? Merkels Aura der Stabilität, der Unerschütterlichkeit und der Unantastbarkeit ist durchlöchert.
Die Kanzlerin ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Eine Anekdote beim Deutschlandtag der Jungen Union in Kiel unterstreicht dies. Am Ende ihrer Rede wird Merkel ein gelber Regenmantel übererreicht. „Aus diesem Geschenk schlussfolgere ich, dass Sie mich nicht im Regen stehen lassen wollen – das finde ich toll!", bedankt sie sich. So devot, so sehr nach Zustimmung heischend, war sie früher nicht.
Drei Ereignisse im letzten halben Jahr haben schwer am Nimbus der Kanzlerin genagt. Dass sie zuletzt nicht einmal mehr ihren Fraktionschef Volker Kauder durch die Wiederwahl brachte, zeigt, wie sehr Merkels innerparteiliche Macht erodiert ist. Zuvor hatte sie eine verheerende Fehlentscheidung getroffen: Sie stimmte zunächst um des lieben Friedens willen ihrem CSU-Widersacher Horst Seehofer zu, den politisch auf Abwege geratenen Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen zum Innen-Staatssekretär mit deutlich höheren Bezügen zu befördern. Erst als eine Welle des Bürger-Unmuts über die Hauptstadt schwappte, drehte sie – zusammen mit Seehofer und SPD-Chefin Andrea Nahles – bei.
Die kräftezehrenden Auseinandersetzungen mit dem altersstarrsinnigen CSU-Vorsitzenden, den sie in der Flüchtlingspolitik immer wieder sticheln und poltern ließ, haben die Kanzlerin ebenfalls geschwächt. Für Merkel begann der Abwärtstrend im September 2015 mit einer moralisch ehrenwerten, aber politisch naiven Willkommenspolitik in der Migrantenkrise. Sie hatte die mangelnde Solidarität vieler EU-Länder ebenso unterschätzt wie die gewaltige Last der Integration und die Überforderungsängste etlicher Bürger. Viele Menschen auf der unteren Gehalts-Skala fragten sich angesichts der Milliarden-Programme für die Zugewanderten: Warum ist für uns kein Geld da? Die ausländerfeindliche AfD schürte diese Stimmung zusätzlich. Hätte die Kanzlerin frühzeitig einen Sensor für Selbst-Korrektur entwickelt, wäre es möglicherweise anders gekommen.
Natürlich machen Merkel auch Querschläger zu schaffen, die sie nicht zu verantworten hat. Die aus reiner Machtpolitik gespeisten Selbstzerfleischungs-Rituale zwischen Seehofer und dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder verhageln das Bild der Union noch mehr.
Die Partei lechzt nach einem inhaltlichen und personellen Aufbruch. Die Sozialdemokratisierung der CDU, der Moderations-Stil der Kanzlerin, das Fehlen politischer Debatten haben zu Mehltau-Erscheinungen geführt, gegen die sich Widerstand regt. Dass der bis vor wenigen Wochen im Land weitgehend unbekannte Haushaltspolitiker Ralph Brinkhaus plötzlich an der Spitze der CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht, belegt: Mit simplen Forderungen wie „Erneuerung", „Offenheit", „Diskussion" kann einer den Nerv der Partei treffen.
Die politische Konjunktur läuft gegen Merkel. Enden die Landtagswahlen an diesem Sonntag in Bayern und zwei Wochen später in Hessen für die Union in einem Desaster, wird es eng für die CDU-Vorsitzende. Sehr wahrscheinlich wird sich dann eine Dynamik aufbauen, die ihre Wiederwahl beim Parteitag Anfang Dezember in Hamburg massiv gefährden könnte. Vieles spricht dafür, dass der Brinkhaus-Effekt, der bereits in der Fraktion für Erschütterungen sorgte, dann auch auf die Partei überspringen würde. Die Formel: frische Köpfe, neues programmatisches Profil.